Wenn ein Umzug naht, beginne ich, mein Bücherregal mit anderen Augen zu betrachten. Plötzlich ist es kein nützliches Möbelstück mehr, in dem gelesene und ungelesene Bücher und zerknickte oder intakte Zeitschriften und viel oder kaum oder nie genutzte Nachschlagewerke platzsparend untergebracht werden können, deren Buchrücken ein Register von Lektüreerfahrungen bilden, Erfahrungen also, die sich ohne ein solches Register zu umranken beginnen, ineinander fließen, ihre paratextuellen Einkerbungen (Name, Jahr, Verlag) abzuschütteln drohen, sich manchmal als traumhaftes Geschehen tarnen, von dem man nicht mehr sicher sein kann, wie es einem ins Hirn gekrochen kam.
Mein leeres Gesicht, wenn ich, am abgeräumten Buffet lehnend oder im Bus an einer Haltestange baumelnd oder in ein Mikrophon sprechend, aufsagen soll, wen ich am liebsten lese; in Gedanken gehe ich die Buchrücken ab, die plötzlich leer sind oder verschwommen, dahinter die verleimten Seiten, die gesetzten Sätze, jetzt ganz unzugänglich und verschlossen.
Wenn ein Umzug naht, wird das Bücherregal zur Last, die Kartons liegen feucht im Keller, einige schimmlig und durchgeweicht, unbrauchbar geworden in den zurückliegenden Starkregensommernächten, andere schon lange defekt, mit eingerissenem Griff oder marodem Boden, nur noch für leichteste Fracht zu gebrauchen.
Mit dem Fahrrad zu Shurgard, wo sie Verpackungsmaterial verkaufen, das in Verpackungsmaterial steckt, erst, als ich es zwischen Sattel und Lenker zu klemmen versuche, merke ich, dass das eine dumme Idee war, der Taxifahrer lacht, als er mich am Straßenrand sieht, er hält und stößt die Tür auf, ohne dass ich winken musste oder konnte, keine Hand war frei.
Wenn ein Umzug naht, wird einem klar, dass Räume sich hörbar äußern, zu einem sprechen, sie zeigen an, wie hohl oder angefüllt sie sind, wie porös oder absorbierend oder glatt und abweisend ihre Oberflächen beschaffen sind. Zwar bedürfen sie dafür eines Menschen, der in ihnen auf und ab geht und dabei auf die eigenen Schritte lauscht, oder eines lose an der Wand lehnenden Regalbretts, das plötzlich zu Boden fällt, sie bedürfen, zum Beispiel, eines zunehmend Wehmütigen, der, so sagt man, die Zelte abbricht, und die Zelte sind in erster Linie dieses Bücherregal und die Leselampe und, o je, das Sofa, der liebste Leseplatz unterm Fenster, der Schreibtisch außerdem, der Rechner, die Kommode, die Kleiderstange, das Schuhregal, und so weiter und so weiter.
Man sollte aufhören, man zu sagen, denkt man sich, weil eigentlich hat man nur sagen wollen: Leer klingen die Räume unter meinen Schritten, dabei fehlt erst ein Regal.
Die Räume brauchen also unsere Äußerungen, um sich äußern zu können, sie modulieren uns, was wir tun und was wir dabei von uns hören lassen, sie überformen uns. Sie bewohnen uns, wie wir sie bewohnen, nur dass sie dabei keine Mietverträge brauchen, die brauchen nur wir, wir heften sie zwischen Stromrechnungen und Kontoauszüge in unsere Leitzordner, mit denen wir dann die Regale verunstalten.
Es wäre pathetisch zu sagen, ein Leben in Kartons verpacken, und falsch wäre es auch, weil leben kann man auch außerhalb von Kartons, Leben lässt sich nicht reduzieren auf das Einkartonierbare, im Gegenteil, meist ist es das Leben, das verlangt, das Einkartonierbare einzukartonieren, überhaupt die elende Wehmut immer, das dusselige Kleben an diesem einen Ort, der sicher schön war, der sicher gut war, aber anderswo ist es doch auch schön, anderswo ist es doch auch gut.
Der knurrende Motor, der Fahrtwind, die schmerzenden Arme, das verschwitzte T-Shirt, auf der Brücke der Funkturm, der Dom, der Fluss, die Schiffe. Dann die Abzweigung in den Wald, weg bin ich.