Nach welchem System ordnen Sie Ihre Bücher?
Ich bin ein Augenmensch, mein Gedächtnis, mein Erinnerungsvermögen sind bildhaft und biographisch, zu einem bestimmten Alter gehören bestimmte Bücher. So ist auch meine Bibliothek: Sie spiegelt meine Leserbiographie, mein Lesergedächtnis. Im einen Zimmer ist die deutschsprachige Literatur, zeitlich geordnet vom 20. Jahrhundert bis heute. Im Arbeitszimmer ist die Geschichte der deutschen Literatur von ihren Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, auch ein Spiegel des Lesens im Gymnasium und im Studium, die ersten Reclambände aus dem Internat, Grillparzers Der arme Spielmann zum Beispiel, die ganze Klassik. Das schafft auch Leseerinnerungen: Deutschunterricht in Klosterräumen.
Nah am Schreibtisch, griffbereit, die Wörterbücher, essayistische Texte zur Literatur- und Geistesgeschichte, Adorno und Benjamin: eine schwarze stw-Kollektion und die Regenbogenfarben der es. Und auch nah, die aktuelle Lektüre: Heinz Helle, Clemens J. Setz.
Im Wohnzimmer, wo ich lese und Musik höre, ist die sogenannte Weltliteratur und ein Gestell mit Lyrik. Das ist für das Lesen spätabends, Literatur als Einkehr und Vergnügen, Celan, Poschmann und viel Faulkner.
Welches Buch lesen Sie gerade?
Ich habe gerade Heinz Helle, Eigentlich müssten wir tanzen mit Begeisterung gelesen, ein apokalyptisches Buch, radikal in der sprachlichen und szenischen Gestaltung. Freunde sind unterwegs in einem Day-After-Szenario, bizarre, beklemmende Bilder, genau gesehen, lakonisch formuliert, und doch immer wieder von zärtlich bezaubernder Poesie. Eine atemberaubende und atemlos packende Lektüre, die verrät, Literatur kann uns auch da erfreuen, wo sie vom – apokalyptischen – Unglück spricht.
Wie weit reicht Ihre Sammlung zurück?
Meine Bücher sind, wie angedeutet, auch eine Leserbiographie, spiegeln meine Lektüre (ohne die Kinderbücher), von den ersten Reclambänden der Internatszeit, den edition-suhrkamp-Bänden des Studiums bis heute. Bibliophile Bücher besitze ich nur vereinzelt, und sie sind meist zufällig erworben, etwa die Erstausgabe von Robert Walsers Der Spaziergang, oder Rilkes Cornet als Nummer 1 der Insel-Bücherei, eine Reihe, die ich über alles schätze.
Welche Bücher liegen Ihnen besonders am Herzen?
Ich bin ein passionierter Leser, liebe Romane, die Geschichten erzählen, in Sprache bringen, was uns angeht. Wer erzählt, hat es mit dem Einzelnen zu tun, seinen Ängsten und Gefährdungen, also mit dem Wie des Individuums, seiner fragilen Gestalt. Das in Sprache gesetzt, in einen Rhythmus, der packt und über eine allfällige Handlung hinausweist: Ein solches Buch liegt mir am Herzen.
Welches Buch hat Ihr Leben verändert?
Ein einzelnes Buch gewiss nicht, aber die Bücher, das Lesen haben mich geprägt und mich als Person in meinem Denken, in meinen Empfindungen. Literatur kann viel: Sie lehrt uns, langsam zu sein, genau hinzuschauen, Gefühle zu entziffern, Erfahrungen nachzuvollziehen, die Vielschichtigkeit der Zeit zu erleben. Und manchmal kann im Erzählen das Schwere leicht werden, weil es in Sprache gebannt, in einen Rhythmus gebracht ist. Bücher, die das einlösen, klingen nach, diese Erfahrung, dass sich im Lesen die gewohnte Welt auflöst in Sprache und aus Sprache eine andere Welt entsteht. In meinem Roman Ombra sagt es einer so: »[…] nirgends sind wir so sehr bei uns wie im Lesen und Schreiben, nur die Sprache kann das Entfernte, das nur Gedachte und Geträumte uns nahebringen und mit dem verbinden, was uns aus der Gegenwart erreicht; lesend übersetzen wir Gegenwärtiges in Zeichen, gewinnen wir aus Zeichen Gegenwart.«
Welches Buch haben Sie zuletzt verschenkt?
Peter Handke, Notizbuch, Insel-Bücherei.
Wer soll Ihre Bücher einmal bekommen?
Ein ausgewählter Teil (Bücher, die mir wichtig und voller Anstreichungen sind) geht zusammen mit meinem literarischen Nachlass ins Schweizerische Literaturarchiv in Bern. Für den großen Rest wünsche ich mir Freunde und Bekannte, die sich bedienen, oder auch einfach solche Menschen, die lesen möchten.
Wie sieht/sähe Ihre ideale Bibliothek aus?
Wenn ich ein Buch gelesen habe, behalte ich es, auch mit dem Gedanken, es vielleicht einmal wieder zu lesen. Das geschieht aber nur selten. Die ideale Bibliothek bestünde aus den wenigen Büchern, zu denen ich immer wieder zurückkehre, einige Romane, Lyrikbände, wenige philosophische Titel. Diese Bibliothek wäre klein, das Entstauben der Buchrücken entfiele: ideal.