Vom 6.-15. Mai 2015 fand in der Lettrétage in Kreuzberg unter dem Titel »RealFiktionen« ein Symposium für zeitgenössischen Theatertext statt. Die Veranstalter Thomas Köck und Carolin Beutel hatten dazu zehn Autorinnen und Autoren eingeladen, die an der Schnittstelle von Theater / Prosa und Performance arbeiten, um gemeinsam über Theater, Text und Autorschaft nachzudenken.
am ende steht der veranstalter dann beim aufräumen im veranstaltungsraum und überlegt, ob die ganze arbeit jetzt irgendwas gebracht hat.
dem veranstalter fallen eigentlich nur fragen ein, aber keine antworten darauf, nicht einmal ahnungen von solchen. er ist im sogenannten debriefing-modus. so nennt er das jetzt einfach. er überlegt jetzt hin und her, ob sich inhalte »übertragen« hätten, ob etwas »angekommen« sei (wo denn, fragt er sich dazwischen immer wieder). ein befreundeter lyriker erklärt dem veranstalter dann später, welche teile des abends »funktioniert« hätten, welche nicht. auf die nachfrage, was er mit »funktioniert« meine, erklärt er, die parts, die er gut fand, die hätten funktioniert. eine befreundete fotografin erklärt, es sei ja alles in allem interessant gewesen. eine vertraute regisseurin meint, sie hätte viel nachgedacht. die co-veranstalterin meint, noch nie seien so viele leute über drei tage hinweg da gewesen. und dann: es hätte gut funktioniert.
im debriefing modus kann man auch mal wieder eine rauchen und sich umhören, denkt sich der veranstalter, und schummelt sich unter die menschen, die tatsächlich noch geblieben sind. da sind zum beispiel solche, die jetzt erzählen, dass es natürlich komisch sei, dass man eine bestimmte textform eigentlich kaum noch als solche, als eigenständige textform rezipiere. jemand anders bläst rauch nach oben und fragt gleich zurück, ob das überhaupt je so war, dass immer alle stücke umgehend gedruckt wurden. wie war das eigentlich früher? jemand fragt dazwischen, ob irgendwer zigaretten? molière wird genannt. der veranstalter geht weiter.
dann erklärt jemand: einer der regisseure hats auf den punkt gebracht, schließlich sei der roman als buch vorliegend ein gebirge, in das sich eine regie zu versteigen hat, in der eine sehnsucht aufzufinden sei, die in keinem zeitgenössischen theaterstück so existiert. dann wieder jemand anderes: ist das nicht das problem, genau das, dieses klischee. da liegt ein bedrucktes ding mit cover, umschlag, einband und natürlich wird das zum repräsentationsobjekt, bekommt »tiefe« zugesprochen, wie das für unverständliche weil eigenständige dreidimensionale objekte im raum so der fall ist – was eine pdf als zweidimensionale fläche natürlich so vielleicht gar nicht leisten kann. ein pdf sieht ja schon als digitales produkt so schutzbedürftig aus, wenn man es in die luft wirft, zerfleddert das und segelt unchronologisch zu boden. so viel zur widerständigen form, meint eine und dann noch: nicht »tief« und »gebirge« usw. und als pdf schwirren doch heute die meisten theaterstücke um die welt, oder, sagt die freundin. der veranstalter stimmt zu, ist aber gleichzeitig überfragt und geht deshalb lächelnd und nickend zu einer anderen gruppe.
der theatertext ist im theater zuhause, sagt jetzt eine, und gerade deshalb muss er sich dort daneben benehmen, damit er nicht die wirklichkeit reproduziert, die auf dem theater eh schon zuhause ist. eine andere bestätigt erst mal, der veranstalter stimmt auch zu. fürs debriefing tut das gut. es wird diskutiert. sogar gestritten wird, vielleicht ist ja doch etwas angekommen. vielleicht gehen die leute jetzt öfter ins theater? oder bestellen sich pdfs? warum eigentlich nicht books on demand, sagt jetzt einer? oder gar ins internet stellen? dramen-ebooks? dramenflat? print-at-home-boulevard? dann eine im trenchcoat, die sich kurz vorstellt und dann meint, sie verstünde nicht, woher das denn kommt, dass immer alle über den autor, aber keiner über die hierarchien? gemurmel. man fragt nach, man interessiert sich, das haus war gut besucht, irgendwo schleicht ein kritiker durchs dunkel. der veranstalter überlegt, ob er sich jetzt schon eine entspannung erlauben darf. er muss noch fotos sortieren, fällt ihm dann ein.
ein anderer dann, als der veranstalter schon mit der nächsten herbeigeschnorrten wieder reingegangen ist, die stühle wegräumen: text fürs theater muss man sich vielleicht als gabe und gift gleichzeitig vorstellen. etwas, von dem man immer mehr möchte, bis man sich vergiftet, und dann schmeißt man es gegen die wand, weil man es eh nie gebraucht hat, weil man sich abhängig davon gemacht hat, bis irgendwann der große moment der befreiung naht. alle jahre wieder, sagt eine, kommt das schließlich vor. aber ohne gings halt auch nicht. die gleiche etymologische wurzel, sagt jetzt einer, beim bier öffnen, gift und gabe, und im englischen die bedeutung genau verkehrt herum, oder? zwei oder drei singen jetzt. der autor muss das dann aushalten, meint eine andere im vorübergehen, dass andere sich manchmal an dem zeug vergiften, das er abgibt, wird dann noch nachgesetzt. eine andere fragt nach zigaretten, ein unachtsamer fuß stößt ein bier zur seite, das beleidigt zu boden springt, der veranstalter kommt zurück und fragt, wohin man noch gehen kann, jemand winkt bereits aus der ferne, ein anderer sagt, man müsse im kontakt bleiben und alle diese fragen weiterdenken, der veranstalter schließt ab, jemand schlägt vor, gleich um die ecke zu gehen.