Im Juni 2019 erhielt Thomas Köck für sein Stück atlas den Mülheimer Dramatikerpreis – und auch den Publikumspreis. Aus diesem Anlass entstand dieser Text, den der Autor bei der Preisverleihung mit der Schauspielerin Marie Rathscheck las.
the pure always act from love
the damned always act from love
the pure and the damned – oneohtrix point never / iggy pop
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ich habe ja noch nie über das publikum nachgedacht
also ja mal von erfahrenen theatermenschen wurde mir früher vor vielen jahren so vor einem halben jahrzehnt in etwa
also vor fünf jahren
ja sowas um den dreh plus minus paar monate waren das schon
auf jeden fall wurde mir da mal erklärt wer das sei dieses publikum jetzt so wesenhaft also an sich wie das so sei dieses publikum
dass das wohl in jeder stadt völlig anders sei und bisweilen unvorhersehbar
und auch welche stoffe in welcher stadt und so weiter und so eine sarah kane ist dann eher schwierig vielleicht so in einer hauptstadt irgendwie gut begleitet mit so einer broschüre vielleicht der müller auf keinen fall im westen wobei osten auch kritisch mittlerweile und in österreich am besten irgendwas mit musik und jux und tollerei aber nicht zuviel ballast die wollen eher kurz zuschauen da
wurde mir alles so gesagt
und mir wurde auch gesagt dass man dem publikum gegenüber auch höchst skeptisch und vorsichtig begegnen würde in vielen städten
aber immer nur im theater
also wenn man jetzt dem publikum im supermarkt begegnen würde wäre das nicht so problematisch aber so im theater ist das immer ein bisschen wie wenn man sich auf dem weg ins dampfbad verläuft und irgendwie plötzlich in der falschen umkleide steht und da halt jetzt irgendwie durch muss
also wenn sich das theater und das publikum im theater begegnen ist es immer erstmal sehr außergewöhnlich und auch ein bisschen schamvoll für alle beteiligten
also man will schon miteinander sprechen aber gleichzeitig auch irgendwie nicht
es ist man muss das so sagen ein einziges missverständnis
ein grundsätzliches missverständnis vielleicht auch irgendwie weil man ja durch all dieses präexistente wissen ja irgendwie eine art wunschpublikum sich herbeidichtet und dann hat man es da und weiß unter umständen gar nicht was man damit jetzt machen soll wo man sich so in der umkleide zufällig begegnet
oder halt im theater an der bar oder so
bob dylan meinte mal die frage ob man literatur mache oder was das sei oder ob die publikumswirksam sei oder was das heiße
die frage ob dies oder das theater im sinne von theater sei oder was das sei oder wer das entscheide oder was das genau heißt
die frage wer das zielpublikum und wie man es erreichen und was man dann damit macht wenn man es erst einmal erreicht hat
also die frage was man denn jetzt hier mit dem zielpublikum macht wenn man zufällig gematcht hat
dann muss man sich ja auch noch unterhalten und zeit miteinander verbringen wobei man vielleicht gar keine zeit miteinander verbringen möchte
man will vielleicht lieber was ganz anderes und danach ists auch wieder gut
man muss sich nicht zwingend anfreunden um hie und da miteinander spaß haben zu können
ja und vielleicht kommt man ja dann plötzlich drauf dass das zielpublikum eigentlich gar nicht das publikum ist zu dem man gerne sprechen würde
also diese frage nach dem außen der literatur nach dem außen der kunst die macht leider für mich einfach nicht wahnsinnig viel sinn die ist sogar irreführend
sagt bob dylan
und immer wenn ich dann über literatur und publikum und wirksamkeit und wirklichkeit und geschichte und mein eigenes verschwinden in absehbarer zeit nachdenke denke ich mir eigentlich immer das gleiche
ich repräsentiere texte
ich bin angehöriger eines bestimmten sounds
ich bin vertreterin einer melodie
ich bin advokatin einer spezifischen form
ich suche eine bestimmte sprache eine erzählweise eine konkrete form die erstmal einfach spricht die singen will die rumschreit die pöbelt und aneckt die nicht zufrieden sein wird mit sich und der welt in die hinein sie geworfen wurde und in die hinein sie die welt auch gleich noch wirft mit der sie schmerzhaft verwickelt ist ein einziger phantomschmerz diese sprache voller verletzungen verdrängungen geister gespenster und verwirrende metaphern die laut wahrheit schreien während unter ihnen tonnen an leichen ruhen
ich suche eine sprache die aggressiv wird die attackiert die sich zurückzieht die sich verteidigt die sprechen will in diesem raum die nichts anderes will als sprechen erzählen die keine lust auf satzzeichen hat keinen bock auf jedwede repräsentation keine lust auf vorhergehende grammatiken auf regeln die versucht jede ihr zugrunde liegende struktur in frage zu stellen ohne dann zu sagen das sei eine politische sprache oder das sei eine spätmoderne oder dramatische oder spätdramatische oder prädramatische oder undramatische sprache oder was auch immer für eine sprache sich andere wünschen dass das sein soll
ich suche eine form die meinen tod miteinschließt radikal die mich dem aussetzt diesem wissen um dieses mein verschwinden die mich durchstreicht und vogelfrei macht zum abschuss freigibt und gleichzeitig irrelevant werden lässt
ich suche eine sprache die sich nicht um mich dreht die nichts mit mir zu tun hat und die dabei andauernd nur von mir erzählt
ich suche keine lösung ich suche probleme
und ich suche ganz sicher keine wahrheit
ich bin angehöriger von sounds
ich repräsentiere worte
ich verschwinde in ihnen
ich existiere in ihnen
ich töte mich in ihnen
ich verletze mich in ihnen
ich erinnere mich an mich in ihnen
ich erinnere mich an andere in ihnen
ich erinnere mich an falsche erinnerungen in ihnen
ich erinnere mich an verkehrte zeiten in ihnen
ich lüge mich an in ihnen
ich schreie mir ins gesicht in ihnen
ich gerate an punkte an denen nicht mehr gesprochen werden kann
an denen ich aufhören müsste zu sprechen
und ich höre auf zu sprechen in diesen texten
und ich schreie der welt ins gesicht in ihnen
und ich rette mich vor mir selbst in ihnen
und ich markiere mich in ihnen
und ich lösche mich aus in ihnen
und ich streiche mich durch
während ich mich neu einsetze
und ich mich in ihnen erfinde
und ich die welt anlüge in ihnen
und ich eine welt herbeilüge
und ich chaos in ihnen verbreite
und ich alle welt in ihnen täusche
und ich ein anderer in ihnen werde
ich verbringe zeit mit ihnen
und ich tue das nicht fürs publikum
und ich tue das nicht für einen verlag
und ich tue das nicht für ein theater
und ich tue das nicht für die welt
ich tue das nicht um irgendwem eine sprache zu geben oder um irgendetwas zu verarbeiten
ich tue das nicht um wahr zu sprechen
ich tue das nicht um irgendwen zu retten
und schon gar nicht mich selbst
ich tue das nicht um gehört zu werden
ich tue das nicht für irgendwelche erfahrungen ich tue das nicht weil ich den tod gesehen habe vielleicht mehrfach vielleicht auf überraschend banale weise
ich tue das nur für diese sprache
ich tue das nur für diese texte
mit denen ich zeit verbringe
konkrete zeit
eigene zeit
die niemanden etwas angeht
so habe ich angefangen zu arbeiten
so werde ich nach wie vor gearbeitet haben
wer auch immer das sagt
hier und jetzt
wer auch immer all das jetzt sagt
ich nicht
ich auch nicht
mir fällt nur andauernd bob dylan ein jetzt schon wieder der sagt
shakespeare hat sich damals ganz konkrete fragen gestellt der hat sich nicht gefragt ob das zeug in vierhundert jahren noch als kunst durchgeht oder wer sein zielpublikum ist oder wie man es ansprechen muss damit es zuhört
der hat sich ganz konkrete fragen gestellt
sagt bob dylan
so wie sind die schauspielerinnen ordentlich bezahlt
haben die hinten genug rauch für die nebelschwaden gespeichert
gibt es genug gute plätze in der ersten reihe für die geldgeber
und wo kriege ich jetzt noch einen menschlichen schädel her
in diesem sinne muss ich tatsächlich gestehen
ich habe noch nie übers publikum nachgedacht
und vielleicht macht das so eine zufällige begegnung ich möchte fast sagen eine zufällige übereinkunft wie in diesem fall noch viel schöner weil man gar nicht damit rechnet einander hier zufällig auf der straße in der umkleide an der bar in der u-bahn womöglich in einem völlig missverständlichen moment zu begegnen
weil man gar nicht damit rechnet dass man sich gerade hier gerade jetzt gerade dazu über den weg läuft
dass man gerade hier plötzlich sich gegenseitig die hand reicht zwei drei sätze austauscht und etwas entdeckt hat irgendwie von dem ich vielleicht gar nicht wusste dass es da drin ist
man legt es nicht darauf an man will den anderen nicht funktionalisieren und ihm oder ihr nichts verkaufen oder eine beziehung aufschwatzen nur weil man gerne zeit miteinander verbringt
man hängt halt seinen ganz konkreten ganz eigenen fragen nach:
wie kann man über geschichte schreiben
wie kann man diese welt in sätzen erfassen die diese welt nicht festlegen
wie kann man diese sätze sprechen
stimmen die metaphern stimmt der sound
ist das die richtige form für diesen stoff
ist dieses theater hier das richtige für meine arbeit
und was mache ich jetzt am ende mit all diesen satzzeichen
roland barthes meint andauernd man schreibt immer für die leserschaft der zukunft – nie für die gegenwart
und ich habe tatsächlich noch nie über das publikum nachgedacht
und ich werde das auch in zukunft nicht machen
weil dann freue ich mich umso mehr darüber wenn wir uns doch ganz unverhofft zufällig unterwegs wieder einmal in naher oder ferner zukunft irgendwo begegnen ohne einander irgendetwas bedeuten zu wollen oder etwas voneinander zu wollen ohne dass wir damit gerechnet haben werden dass wir uns genau hier begegnet sein werden und dann doch plötzlich und endlich angefangen haben miteinander zu sprechen womöglich mit einem sehr schwierigen gespräch zu einem unter umständen hochsensiblen thema dem wir lange aus dem weg gegangen sind weil es in dieser sprache kaum zu führen gewesen war und jetzt vielleicht doch plötzlich stattfindet und die sprache in zukunft verändert haben wird
jemand sagte mal das mülheimer publikum sei das beste publikum in diesem land
das wollte ich ihnen eigentlich nur kurz gesagt haben
und ich ihnen ebenso
und ich ihnen auch
und außerdem vielen dank unbekannterweise wo auch immer sie jetzt sind
auf bald