isabelle h. entstand 2011/12, eigentlich als kommentar auf die damals im theaterfeuilleton recht hitzig geführte blackfacing debatte. ich habe am 2014 aufgelösten refugee camp am oranienplatz in berlin-kreuzberg zeitweilig als aushilfe gearbeitet und wollte über jede/n einzelne/n dieser menschen erzählen. und stand immer vor dem problem: kann man über fremdheit erzählen, ohne mit traurigkeit zu protzen, kann man eine wehrhafte form und eine figur erschaffen, die am ende sich eben nicht einfangen lässt, die in ihrer ganzen würde am ende erhaben bleibt, die dann doch, wenn auch auf der bühne nicht darstellbar, letztlich all diesen stimmen wieder etwas zurückgibt an widerstand, sich unseren mitteleuropäisch verdrehten vorstellungen eines erschütternden opferschicksals widersetzt und einen immer wieder auf die nicht-repräsentierbarkeit dieses in europa produzierten leids hinweist? weil das wär ja noch das schönste! zuerst bomben auf diese körper in failed states abwerfen und sie dann noch auf den theaterbühnen als traurige schicksalsfiguren wieder kaputtrehabilitieren – not in my name.
das waren und sind keine flüchtlinge, weder hier und heute noch damals am oranienplatz. es sind auch keine asylanten und schon gar keine schubhäftlinge. das sind körper, die leben wollen. die dem schicksal einen dicken fetten stinkefinger ins gesicht gehalten haben. das imponierte. kein schicksal, keine traurigkeit, nur: der mit aller kraft gelebte wunsch, zu leben. deshalb der verweis im titel auf isabelle huppert, als hommage an jene schauspielerin, die vielleicht überhaupt als einzige fähig wäre, dieses leiden darzustellen, ohne es auszustellen.
ich recherchierte damals für das stück mit einem anwalt, der sich für schubhäftlinge einsetzte, der mir von den praktiken erzählte, die schutzsuchende praktizieren, um sich zu anonymisieren, und umgekehrt staatlich sanktionierten praktiken, wie man menschen, deren zugehörigkeit sich nicht mehr feststellen lässt, trotzdem noch ausweisen kann. am ende stand ich immer vor der frage: was passiert mit der identität von menschen, die alles verlieren und sich einen neuen namen, eine fiktive biographie, ein neues leben zusammenbasteln müssen, um wieder staatsbürger werden zu dürfen? in dem fall, als schrei, allen grenzbeamten dieser welt ins gesicht: mein name ist huppert! und ich habe ein recht, hier zu sein! als variation von adorno: huppert kann jede/r sagen.
mir graust heute davor, mich durch die zeitungen zu klicken, man müsste dieses stück hier stündlich aktualisieren, mit einem liveticker umschreiben, so wie gerade alle grenzen neu gezogen werden und das mitteleuropäische, humanistische projekt in diesem moment für wählerstimmen auf dem postdemokratischen medienaltar geopfert wird. diese fliehenden menschen hingegen träumen den europäischen traum, den europa womöglich gerade aufhört zu träumen.
es geht nur noch um bilder heute. die ekelhaften bilder von kindern, die von tränengas vertrieben werden, kindern, die zum teil unbegleitet mehrere tausend kilometer reisen, diese bilder hat die österreichische bundesregierung verantwortet, auch wenn sie an der sogenannten »außengrenze« geschossen werden, die bilder und das tränengas, darum muss sich hier, in wien, das ist die klare absicht dahinter, niemand mehr kümmern. und es ist schön, dass dieser text, der vor drei jahren entstand, um mit seinen damals noch bescheidenen und vorsichtigen mitteln, seiner tolpatschigkeit und seinem viel zu lauten organ für seine damals vielleicht noch etwas ungelenken gehversuche versucht hat, europa und seine grenzen abzuklopfen, ein thema, das damals noch kaum jemanden interessierte und zu dem sich jetzt jeder äußern möchte, dass also diese isabelle, hier und heute, genau jetzt, in dieser unglaublichen zeit, diese bilder vielleicht wieder zurückholt und sie dort zeigt, wo sie genau jetzt hingehören.
Isabelle H. (geopfert wird immer), ein europäisches volksstück wurde ausgezeichnet mit dem Else-Lasker-Schüler-Stückepreis 2015 und im Januar 2016 am Pfalztheater Kaiserslautern uraufgeführt.