Es gibt sie, diese leuchtenden Literaturveranstaltungen, Lesungen als Gemeinschaftserlebnis, als Zusammenhalt und Textur, die wiederum selbst aus Texturen besteht, aus Körpern im Raum, literarischen Verdichtungen, Perspektivierungen, aus erst im Sprechen richtig ausformulierten und weitergesponnenen Erkenntnismomenten, Lichtbögen zwischen Positionen auf dem Podium und Reaktionen aus dem Publikum.
Vergangenen Samstag im Roten Salon der Volksbühne fand eine solche Veranstaltung statt: »Be connected! Die literarische Volte« von und mit:
María Cecilia Barbetta, Shida Bazyar, Jan Böttcher, Paul Brodowsky, Jakob Dobers, Daniela Dröscher, Kübra Gümüşay, Dilek Güngör, Svealena Kutschke, Svenja Leiber, Sharon Dodua Otoo, Olivia Wenzel.
Angekündigt war ein literarisch/ diskursiver Abend, der die Großdemonstration der #unteilbar-Plattform am kommenden Samstag (13.10.2018) als Rahmenprogramm begleiten sollte.
Svenja Leiber spricht zum Auftakt, es entsteht eine Art Manifest:
Jedem Denken, jeder Haltung, jedem Weltbild, jeder Veränderung geht Sprache voraus. Texte, Reden und Bücher haben emanzipatorische Bewegungen, gesellschaftliches Umdenken und humane Entwicklung immer schon angestoßen und ermöglicht.
Momentan findet ein autoritäres und zunehmend gewaltsames Vokabular – auch in der Camouflage mancher mehr oder weniger intellektueller Rede – wieder Eingang in die Alltagssprache und erreicht ein beinahe kakophonisches Ausmaß.
Übertreibungen und »biologistischer Unfug« schwirren durch alle Kanäle, und das Ausschließen von Menschen und nationale Säuberungsfantasien, zusammen mit pseudorevolutionärem Gebaren, sind die neue, uralte rassistische Parole, denn man will jetzt endlich wieder über Ethnien, also Rassen schwadronieren, statt sich z. B. mit dem Problem der Klassen auseinanderzusetzen.
Drei dichte Lesungs- und Diskursblöcke, mit insgesamt 11 Autor*innen:
Die kurzen Lesungen als konzise Einblicke in neues Material, oder bereits veröffentlichte Bücher, Musik kommt von Jakob Dobers und Jan Böttcher, die eigene Songs beisteuern. Alle Texte kreisen um die Themen Solidarität/ Ausgrenzung/ Diskriminierung/ politische Aktion. Daraus ergibt sich ein dichter Teppich von unterschiedlichen Stimmen, Inblicknahmen, Zugriffen auf jeweils unterschiedliche Szenen, Diskurse und Unterthemen.
Nach jedem Lesungsblock folgt eine kurze Diskussion, jeweils einer Frage folgend: Die erste Runde spricht über politisches Schreiben im Roman und die Frage, wie man sein Narrativ in der Narration unterbringt, wie man erzählend zu seinen Aussagen kommt. Svealena Kutschke erzählt etwa von der Problematik, den Überhang des recherchierten Wissens zu vermitteln ohne an Subtilität zu verlieren; María Cecilia Barbetta weist auf das Potential einer Vielstimmigkeit im Roman hin und wie das beim Schreiben einer gewissen Empathie bedarf und beim Lesen selbige ermöglicht, was beides politische Vorgänge sind.
Moderatorin Christina Clemm, Svealena Kutschke, Dilek Güngör, Olivia Wenzel, María Cecilia Barbetta
Wir weigern uns, dieser Art von Sprache, dem ihr zugrunde liegenden Denken und der ihr folgenden Gewalt weiter Raum abzutreten.
Unsere Hintergründe und Erfahrungen, unsere Arbeitsweisen und Texte mögen verschieden sein, auch ist uns allen die Fragilität eines »Wir« vollkommen bewusst – uns eint aber die Arbeit mit und an Sprachen, uns eint auch die Perspektive der Migration, auf die Gesellschaft der Vielen.
Migration betrachten wir als eine Tatsache, die es immer gab und immer geben wird, und ohne die Entwicklung und Veränderung nicht möglich sind.
Shida Bazyar hält fest, dass Solidarität erst dann wertvoll wird, wenn diejenige, die sie ausspricht, auch wirklich aktiv wird, damit etwas riskiert, und sei es nur die Irritation anderer im Diskursraum. Kübra Gümüşay erzählt, wie sie als Mitverfasserin für die Aktion #ausnahmslos viele Zuschriften von Aktivist*innen aus dem Ausland erhielt, die häufig mit dem Gruß »In solidarity, (Name)« unterzeichneten – ein Bekenntnis, das sie aus Deutschland so nicht kennt. Vielleicht ist Solidarität etwas, das man hier erst wieder lernen muss. Das Verschanzen hinter realen Thujaheckenfestungen und geistigen Jägerzaunparzellen, die Tendenz zum inwändigen Granteln, bis dann etwas in Zorn explodiert – diese bundesrepublikanischen Grundmodi könnten Gründe sein für das Fremdeln gegenüber dem Begriff und Konzept von Solidarität.
Jakob Dobers, Shida Bazyar, Kübra Gümüşay, Daniela Dröscher
Die dritte Runde spricht über Ambivalenz und Ambiguität, produktiv irritierende Uneindeutigkeiten als Privileg der Literatur (und von Kunst allgemein) – die sich abgrenzt gegenüber Texten und Taten politischer Aktion. Diese Ambivalenz kann sich in erzählenden Texten in der Sprache, den Figuren, der Vielstimmigkeit der Anlage, dem Narrativ wiederfinden. Zeit und Energie für diese Sorten Text aufrechtzuerhalten fällt nicht immer einfach mit Blick auf die sich immer weiter verhärtende politische Situation „da draußen“. Trotzdem ist es wichtig, diesen Raum aufrechtzuerhalten – als mögliches Korrektiv, als Verfremdung, als kritische Distanz, die sich einstellt. Zudem ist man gezwungen, selbst Stellung jenseits dessen zu beziehen, was ein Text vorgibt – etwas, das faschistische Ästhetiken nicht zulassen wollen. Sharon Otoo wendet ein, dass diese Gegenüberstellung auch eine künstliche sein kein: es gibt die produktiven Übergänge zwischen politischer Aktion und literarischem Text. Nicht jeder Text bedarf der Ambivalenz.
Jan Böttcher, Sharon Dodua Otoo, Paul Brodowsky
Wir beharren als Sprechende auf der Wahrheitsfähigkeit, auf der gesellschafts- und gemeinschaftsbildenden Kraft und auf der Diskurstauglichkeit von Sprache und Poesie, bei ihrer gleichzeitigen, selbstverständlichen Autonomie.
Wir wehren uns gegen Hetze, Diskriminierung und Brutalität, zu welchen unsere gemeinsamen Sprachen derzeit von anscheinend friedensmüden Menschen missbraucht werden.Wir sind viele und wir sind vielstimmig und ja, wir wollen in einer vielfältigen, vielgeschlechtlichen, vielfarbigen, vielgestaltigen, vielsprachigen, vielinteressierten und vor allem emanzipierten, solidarischen und gerechten Gesellschaft der Diversität leben!
Schlusswort von Jan Böttcher: »Ich hatte auf jeden Fall schon mal mehr Angst vor Agit-Prop.«