… und sagst, während du dein Brot auf dem Teller ablegst, als sei es plötzlich zu schwer: Als die Mauren Spanien besetzten, beklagten europäische Kirchenmänner, dass immer mehr junge Adelige besser Arabisch als Spanisch oder Französisch sprächen. Es war in Mode.
Und gehst aus dem Haus, ohne noch was zu ergänzen. Und kommst zurück und sagst, übergangslos: Aber seit ein paar hundert Jahren fühlt man sich nicht genötigt, diese Sprache zu lernen, Muttersprache von mindestens zweihundertvierzig Millionen Menschen, für eineinhalb Milliarden Muslime von Bedeutung. Und gehst ins Bad und siehst in den Spiegel und sagst: Ich finde auf einmal keinen Genuss mehr. Mein Nein war tatsächlich einmal mein Genuss. Aber jetzt schallt es mir draußen entgegen. Das übelste, wüsteste Nein. Nein, nein, nein, schreit jetzt die Straße.
Und als der Abend durch die Tür in unsere Wohnung quillt und mit ihm die Leute, und als die Gespräche mitunter abstürzen, in anlasslosen oder halb scherzhaften Rassismus (falls das geht), ins Ressentiment, in vorgegebene Sorgen, auch hier!, vielleicht wegen des Alkohols oder auch nicht, aber immer wieder jetzt abstürzen wie Schlamm von alten Bergen, weil Gedanken oder nur Vorstellungen einer verkalkten Kultur brodelnd und malmend zu Tal gehen, höre ich dich plötzlich sagen: Zucker. Oder: Koffer. Koffer, antwortest du, dabei hatte nur einer bedenklich geguckt und gefragt, ob du dich denn etwa (etwa, sagte er!) nicht sorgst. Nicht um deine Sprache sorgst, wo sie doch … usw. Und hatte was von Deutsch geredet. Und du stammelst nur wieder: Koffer, Koffer. Und redest plötzlich von Magazinen, Algorithmen und Matratzen. Nestelst Wortschnüre hervor. Wirfst mit Worten um dich, die gemeinsam eine alte Geschichte erzählen, eine Geschichte der schönsten Begegnung, des Handels, des Luxus, der Gesundheit. Von Gamaschen und Gitarren, von Baldachinen und Benzin, Almanach und Artischocken, Kaliber, Lack und Natron. Zerrst einen auf den Balkon und weist zum Nachthimmel und stammelst: Aldebaran, Rigel, Beteigeuze. Ist das etwa nichts? Die Sterne?! Wie ein Verwirrter stehst du da, als zeigtest du auf etwas Ungewisses.
Und als wir schlafen gehen, sagst du: Stalin beschloss, die Neinsager nicht nur zu töten, denn dann wäre ihr Nein zum Schrei angewachsen, unüberhörbar für die ganze Welt. Er beschloss, sie zu einem Ja zu zwingen. Nur so, das wusste er, würde er die gesamte Intelligenzija wirklich und auf immer zerstören. Und heute? Was denn tun, wenn jemand neben einem sein entrüstetes Nein schreit? Muss man mich überhaupt noch von diesem Wort abzubringen versuchen?
Dein Gesicht liegt wie ausgeräumt neben mir. Muss man? Haben wir jetzt irgendwie alles zu Ende gedacht? Und jetzt denken es die anderen, wer immer das ist, nur umgekehrt? Denken sie uns in die Vergangenheit zurück, mit ihrem umgekehrten Nein? »Niemand lügt so viel als der Entrüstete«, schrieb Nietzsche.
Wir sind in der Falle, sagst du und drehst dich unruhig auf dem Kissen und schläfst nicht. Und wachst doch wieder mit diesen Worten auf den Lippen auf, all den Verschönerungen unseres Lebens und unserer Bequemlichkeit: Sofa, Limonade, Sirup, Risiko, wie begehrenswert dir plötzlich das Risiko erscheint. Eine Karaffe voll Risiko, bitte, murmelst du und schläfst noch ein Stück.
Und erzählst beim Frühstück von deinem Freund. Er habe heiraten wollen, in Amman. Eine Frau von dort. Also Konversion. Er! Ein deutlicher Katholik. Aber die Liebe, habe er gemeint, mit der Liebe hopse man über jeden noch so behaupteten Graben. Darum diese kleine Prozedur. In irgendeiner Moschee, mit irgendeinem Imam. Aber er hatte doch keine Ahnung davon. Sag immer nur Ja, hatten ihm die Paten nahegelegt. Antworte einfach auf alles mit Ja. Rest klären wir.
Jetzt ist er ein Moslem, sagst du. Durch ein Ja. Ein Gläubiger also.
Aber ich? Muss ich jetzt auch mit dem Glauben anfangen? Jetzt, wo das Nein dem Denken vielleicht unmöglich geworden ist?
Aber wann hat das angefangen? Wann trat das Denken vom linken auf den rechten Fuß? Oder besser, wann wechselte es vom Spielbein des Denkens aufs Standbein der Meinung?
Und als wir im Park spazieren, der sich uns in hochpreisigem Gold herbstlich entgegenwirft, sagst du: Immerhin sind wir aus dieser Amnesie erwacht. Aber zu was für einem Tag? Wollen wir ihn beschreiben? Oder lieber einen neuen errichten? Und was ist denn Deutsch? Das heißt ja nichts als Volk. Das Volk, das dieselbe Sprache spricht. Demnach sind wir eine reine Ansammlung. Denn wir haben unzählige Sprachen verinnerlicht. Sprache half nie, eine Gemeinschaft zu bleiben, sondern immer, eine zu werden. Seit eh und je. Eine Gemeinschaft ist ein Lebewesen, kein Status quo, und die Wahrheit ist doch nie fertig.
Und du setzt dich müde auf eine der Bänke und bist ein bisschen älter jetzt. Ein bisschen gebrechlicher, seit man dir die Rolle des Revoltierenden gestohlen und sie verzerrt hat. Und versuchst dich noch an diesem neuen, sanftmütigeren Kleid, welches man dir überwarf, um dich zu beschimpfen, als Gutmenschen zu verspotten. Du lachst. Zündest dir eine Zigarette an und bebst sogar vor Lachen.
Trotz aller Diskurse sind wir ja doch noch ziemlich primitiv, sagst du. Denn wie werden wir uns eigentlich verteidigen? Hast du je geschossen? Geschlagen? Sie haben ja recht, wenn sie über uns lachen. Über unseren Pazifismus, unsere Ideen, unsere achtsame Ernährung, Kleidung und Sprache. Wir sind denkbar schlecht gerüstet. Dabei würden wir durchaus einiges verteidigen wollen. Einige Kindheit, die eigene und die der anderen, einige Überzeugungen, einiges brausendes Glück vergangener Begegnungen im In- und Ausland, einige Lieben. Aber uns fehlt womöglich die Einübung in die Brutalität. Denn ihr hatten wir ja das Nie wieder angeheftet, komme was wolle. Und da kam es plötzlich. Die Brutalität selbst kam zurück und schrie, eure Achtsamkeit kotzt mich an. Und wir taumeln verdutzt rückwärts und können es gar nicht fassen.
Wie hat es so weit kommen können? Waren wir nicht mit dieser Frage aufgewachsen? Und nun kommt es so einfach wieder daher, kommt von weit und kommt so weit oder weiter.
Was lässt sich in der allgemeinen Verwirrung noch entziffern, fragst du. Und sagst, die Ziffer ist im Arabischen die Null.
Dann siehst du auf den trüben eingezäunten Teich, auf dem die Reste des Sommers schwimmen und sagst: Wir sind mal wieder bei Null. Ent-ziffern wir also.