18.1.2014
»Messieurs, wir erheben uns von den Plätzen!« Und wir bleiben gleich stehen, mit einem Glückwunschstrauß aus »Feuerfaxen, Flameusen & Pikotten«: Arno Schmidts hundertster Geburtstag ist heute zu feiern. Der kühnste Autor der deutschen Nachkriegsliteratur verstarb 1979 mit 65 Jahren, geblieben ist ein Werk wie ein Kontinent. Immer noch gibt es darin weitgehend unerforschte Archipele wie den großformatigen Roman Zettel’s Traum, der mit seinen umgerechnet 5000 Normalseiten etwa ein Viertel von Schmidts Gesamtwerk ausmacht. »Wir haben vor, es mit Trageriemen binden zu lassen, und den größten Teil der Auflage unserer Bundeswehr, für Gepäckmärsche, zu offerieren«, schrieb Schmidt an seinen Kollegen Hans Wollschläger.
Warum ich ein Leben lang Schmidt lesen kann? Weil er nie langweilig wird. Die zartesten Liebesgeschichten wechseln mit derbsten Scherzen, flachen Kalauern und dem puren Tiefsinn. Das Ende von Seelandschaft mit Pocahontas ist so sanft und traurig wie sonst nichts zwischen zwei Buchdeckeln: »Mein Kopf hing noch voll von ihren Kleidern und ich antwortete nicht.«
Seine Sprache steckt voller anregender Neologismen. Kennen Sie schon die Farbe buntlos? Sehen Sie, wie der Gartenschlauch im Gras nattert? Es werden aber auch ältliche, nahezu ausgestorbene Wörter für die Zukunft aufbewahrt. Ich sage nur Xaldnipter.
Schmidts Sätze führen in wunderbarem Prosatakt durch seine frühen knappen Kurzromane wie Brand’s Haide und Schwarze Spiegel. Keines seiner Bücher klingt wie ein »Schüdderump voll abgemurkster Idyllen« (was er einmal Goethes Hermann und Dorothea attestierte). In den großen Romanen Das steinerne Herz und Kaff auch Mare Crisium behauptet Schmidt seine eigene Stimme, mitten im Stillstand und Anpassungsdruck der Adenauer-Restauration. Und in den großen Spätwerken Schule der Atheisten, Abend mit Goldrand und Zettel’s Traum kann man sich immer wieder neu verlieren.
Schmidt selbst sah seine Stärke übrigens »in Beobachtungen. Und in Witzen.« Genauso ist es, egal, ob es um die Liebe geht – »Gebügelte Hosen hätt ich anhaben mögen: so bescheiden dieser Wunsch auch war, das Schicksal erfüllte ihn wieder nicht.« –, die Literatur (»Stell’n Sie sich ma vor: ›Stifter, ›Nachsommer‹, Deutsch von Arno Schmidt‹ – capitaler Einfall; ich lach’ jetz schon!«) oder das Leben: »Das Leben des Menschen ist kurz; wer sich betrinken will, hat keine Zeit zu verlieren!«
Zum Weiterlesen: Arno Schmidt – Sagn Se mal, könnse den eigentlich noch lesen? Ein informeller Bericht aus der Bargfelder Arbeitstube zum 100. Geburtstag des Autors.
Von Susanne Fischer