Mit dem WM-Extrablatt begleiten wir die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien vom 12. Juni – 13. Juli 2014. Unser Team: Imran Ayata, Friedrich von Borries, Paul Brodowsky, Petra Hardt, Heinz Helle, Verena Güntner, Thomas Klupp, Katja Kullmann, Matthias Nawrat, Christoph Nußbaumeder, Albert Ostermaier, Thomas Pletzinger, Doron Rabinovici, Lutz Seiler, Stephan Thome, Stefanie de Velasco.
Gleich drei Übertragungswagen portugiesischer Fernsehsender parken vor dem Eingang des Goethe-Instituts in Lissabon. Das hat es zuletzt bei der Wahlparty zur Bundestagswahl im Herbst gegeben. Vom heutigen Ereignis fühlen sich die meisten Portugiesen allerdings direkter betroffen – ihr Team spielt gegen Deutschland, und nicht wenige Fußballfans entscheiden sich dafür, das Duell im schönen Garten des Instituts zu verfolgen.
Die jungen Damen, die beim Warmlaufen in Verzückung geraten, als ihr Held mit der Nummer 7 durchs Bild trabt, wissen noch nicht, dass sie die vorerst letzte Gelegenheit nutzen, eine Aktion von Cristiano Ronaldo zu bejubeln. Um kurz vor fünf Uhr Ortszeit herrscht unter den portugiesischen Anhängern Zuversicht. Das Duell der Hymnensinger entscheiden sie klar für sich. Inbrünstig und martialisch schallt es durch den Garten: »Às armas! Às armas! Pela Pátria lutar! Contra os canhões marchar, marchar!« (An die Waffen, an die Waffen! Um das Vaterland zu verteidigen! Den Kanonen entgegen marschiert, marschiert!) Einigkeit, Recht und Freiheit werden dagegen schwachbrüstig und hauptsächlich von Vertretern der benachbarten Botschaft beschworen. Aber die Entscheidung fällt ja auf dem Platz. Leider sorgen die Lichtverhältnisse dafür, dass das Geschehen ebendort nur zu erahnen ist. Außerdem stiften mysteriöse Untertitel, die immer wieder auf der Leinwand erscheinen, Verwirrung im Publikum. Entweder ist es ein Schreibprogramm oder ein uninformierter Praktikant der ARD, welcher den Namen Mesut Özil zu »melodiös« verschleift und auch sonst den Kommentar von Gerd Gottlob in originellen Variationen wiedergibt.
Nach gut zehn Minuten plötzlich Aufregung. Alle ahnen, dass im Schattenreich des portugiesischen Strafraums etwas passiert sein muss. Und tatsächlich, ein Blick zum Sitznachbarn, der das Spiel auf seinem Smartphone verfolgt, bringt die Bestätigung: Elfmeter. Gesehen hat es niemand, aber für die Deutschen war es ein klares Foul, für die Portugiesen eine glatte Fehlentscheidung. Thomas Müller verwandelt den Strafstoß und damit auch die Stimmung im Goethe-Garten. Deutsche Jubelposen, Abklatschen, Zuprosten. Die Gegenseite erinnert daran, dass auch Spanien gegen die Niederlande in Führung gegangen sei.
Spätestens nach dem zweiten Tor von Hummels und allerspätestens nach der roten Karte für Pepe ist die Luft raus. Die portugiesischen Fans singen weiterhin ihre Schlachtgesänge, aber sie klingen bereits trotzig, und die Aufmerksamkeit lässt trotz allmählich besser werdender Sichtverhältnisse nach. Hier wird ein Kind gestillt, ein anderes fällt in den Teich beim Eingang und wird schreiend geborgen. An eine Wendung zugunsten der Seleção glaubt niemand mehr. Als auch noch Fábio Coentrão verletzt vom Platz getragen wird, konstatiert der Kommentator: »Heute kommt es für die Portugiesen ganz dicke«, und der unbekannte Autor der Untertitel variiert sachlich und treffend: »Es ist kein guter Tag für Portugal.«
Nach Spielende bemühen sich die anwesenden Kamerateams um Stimmen zum ungleichen Duell. Die jungen Damen, die vor zwei Stunden begeistert den Aufwärmübungen von Cristiano Ronaldo applaudiert haben, werden gebeten, ihren Jubel noch einmal für die Kameras des staatlichen Fernsehens zu wiederholen. Als das aufgrund allgemeiner Niedergeschlagenheit nicht klappen will, hat der Reporter einen richtig guten Tipp: »Stellt euch einfach vor, ihr würdet das Ergebnis noch nicht kennen.«