Die häufigste Frage, die mir bezüglich der Verfilmung meines Grenzgang gestellt wird, lautet, ob es mir schwer gefallen sei, den Stoff fremden Händen zu überlassen. Nein, ist es nicht. Allerdings war ich mir der Schwierigkeit bewusst, aus Romanfiguren, die viel nachdenken und wenig handeln, interessante Charaktere eines Spielfilms zu machen. Wie werden die wirken, fragte ich mich, wenn man nicht ihre Gedanken lesen, sondern ihnen nur zuschauen kann? Nach der Lektüre des Drehbuchs von Hannah Hollinger war ich erfreut, weil es reichlich Text aus dem Roman enthielt, aber auch skeptisch, ob die Verwandlung von inneren Monologen in gesprochene Dialoge die Filmfiguren authentisch und lebendig erscheinen lassen würde.
Ein Beispiel: In einer Szene stehen Thomas Weidmann (Lars Eidinger) und Kerstin Bamberger (Claudia Michelsen) abseits des Festes auf einer Brücke und kommen einander gerade näher, als Weidmann von den historischen Wurzeln des Grenzgangs zu sprechen beginnt. Das tut er im Roman nicht, und mir kam die Szene im Drehbuch gezwungen vor. Warum sollte Weidmann an dieser Stelle plötzlich anfangen zu dozieren? Beim Anschauen des fertigen Films wurde mir klar, dass ich das Drehbuch zu sehr als Text und zu wenig als Vorlage für Schauspieler gelesen hatte, die ihre Figuren individuell interpretieren können. In der Filmszene nämlich doziert Lars Eidinger nicht, er flirtet. Als Einheimischer umgarnt sein Weidmann die zugezogene Fremde mit seinem Wissen, zieht sie in den Bann seiner Erzählung – und dann küssen sie sich. Es ist eine ungezwungene, organische Sequenz, die viel über Thomas Weidmann verrät und im Einklang mit dem steht, was die Figur im Roman ausmacht. Beim Lesen des Drehbuchs hatte ich das buchstäblich nicht gesehen.
Dass es bei der Ausstrahlung von Grenzgang trotzdem einen Bruch gab, war nicht die Schuld der Filmemacher. Statt dem Zuschauer das mit Schubert-Musik unterlegte Schlussbild des nächtlichen Feuerwerks in voller Länge zu gönnen, entschied sich die ARD für einen harten Schnitt, um noch schnell Werbung für den nächsten Kluftinger Krimi zu machen. Wie so oft im Fernsehen wurde der Zuschauer um den Abspann betrogen und unsanft aus dem Film geschmissen. Wer wissen will, was er/sie verpasst hat, kann sich in der ARD Mediathek davon überzeugen, dass mein Stoff in den Händen von Drehbuchautorin und Regisseurin besser aufgehoben war als in denen der Programmgestalter.