Die Zumutungen im Leben eines Autors sind die Eingriffe des Lektorats in seinen Text. Jedes Verlangen nach Streichung einzelner Passagen oder gar ganzer Kapitel ist für ihn eine narzisstische Kränkung. Das Einverständnis des Autors und seiner Lektorin, dass die Streichung den übrigen Text besser machen wird, macht den Eingriff erträglich. Hilfreich ist aber auch die Zusage, einen der gestrichenen Texte im Online-Magazin des Verlags zu veröffentlichen. Hier ist er.
Helge Petersen ist eine Heulsuse. Sein Kaninchen ist in den Osterferien gestorben. Er hat es aus dem Käfig gelassen, es ist auf die Straße gehoppelt und mit einem Wagen vom Gartenbauamt zusammengestoßen. Es hat sich das Genick gebrochen, sein Hinterfuß ist zermalmt gewesen und sein Schwanz ab. Nur seine Ohren sind heil geblieben.
»Das ist die Hauptsache«, meint Andy Senkbach.
»Es ist aber schon das zweite«, jammert Helge Petersen.
»Ist das erste auch von einem Laster platt gefahren worden?«, fragt Andy Senkbach.
»Nein, das hat einen Stromschlag abgekriegt. Es hat das Kabel vom Radio durchgebissen und ist innerlich verschmort. – Rübezahl«, heult Helge Petersen. So hat das Kaninchen geheißen. Das erste. Und das zweite auch.
Beate Seibert mischt sich ein, ein totes Kaninchen sei längst nicht so schlimm wie ein toter Schäferhund. Als ihr Wotan gestorben sei, habe die ganze Familie getrauert, ihre Mutter habe sogar für Wotan gebetet, und es habe drei Wochen gedauert, bis die Familie sich einen neuen Wotan zulegen konnte.
Dagmar Vollrath erzählt ausnahmsweise auch etwas. Sie habe sich, weil sie keine Haustiere halten dürfe, heimlich eine Wasserschildkröte gekauft und sie in ihrem Schrank aufbewahrt. Die Salatschüssel, in der die Schildkröte gelebt habe, habe aber zu stinken angefangen. Ihre Mutter habe das Versteck entdeckt und die Schildkröte ins Klo gespült und Rohrreiniger hinterher geschüttet. Jetzt lebe die kleine Wasserschildkröte unter der Stadt und schwimme durch die Rohre der Kanalisation.
»Und kriegt auf den Kopf gekackt«, lacht Andy Senkbach.
»Du bist so ein Vollidiot, Andreas Senkbach«, sagt Dagmar Vollrath. Sie setzt sich auf ihren Platz und verschwindet hinter ihrem Pferdeschwanz.
Der Nymphensittich von Dorothea Böger ist eines Morgens von seiner Stange gekippt und in seinen Wasservorrat gefallen, und die Eidechse, die Sven Kähler im Spanienurlaub eingefangen hat, hat nicht einmal die Rückreise überlebt.
»Tiere sterben nun mal«, sagt Ben. »Wir hatten zum Beispiel immer Hamster. Knöpfchen, Kismet, Konrad, Kasimir, Kalle Blomquist, Kolumbus, der Entdecker, weil er seine Gurkenscheibe wie ein Schiffssteuerrad gehalten hat, und Komet. Die sind alle tot. Meine Eltern haben früher in Dänemark immer Streichholzschachteln gekauft, weil die da größer sind als bei uns. Da passten die Hamster dann rein, und wir hatten Särge für sie. Nur Kasimir hat da nicht reingepasst, weil er Übergewicht hatte. Die liegen alle bei uns im Garten begraben.«
»Mit Grabsteinen?«, fragt Arno Barkhahn.
»Nein«, sagt Ben, »mit Holzkreuzen aus Eisstielen. Die sind aber längst verrottet.«
»Und was habt ihr jetzt für Tiere?«, fragt Beate Seibert.
»Einen Schäferhund mit einem riesigen Kopf«, lügt Ben.
Nur Guido Borgmann tröstet Helge Petersen. Er sagt, die toten Tiere kämen alle in den Himmel, in eine Spezialabteilung für Tiere, dort freundeten sie sich an, die Löwen und die Möwen, die Haie und die Schnecken, die Giraffen und die mit den Streifen, sogar die Bakterien, weil man sich im Himmel nicht gegenseitig essen müsse, sondern von der guten Luft dort lebe und von Jehovas barmherziger Liebe.
»Ich habe übrigens einen Hamster vergessen«, sagt Ben. »Kuno, die Knalltüte. Der hat aber nur kurz gelebt.«