Mit dem WM-Extrablatt begleiten wir die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Bevor es am 12. Juni losgeht, heizen wir die Stimmung schon mal etwas an, u.a. mit einem Erlebnisbericht von Thomas Klupp aus den Armenvierteln Rio de Janeiros (am 10. Juni). Dort trifft die Autorennationalmannschaft, unmittelbar vor Beginn der WM, auf eine Favela-Auswahl. Heute, laut und direkt: Stefanie de Velascos Aufruf zum Boykott.
Ich kann Fußball nicht ausstehen. Muss ich noch groß erläutern, weshalb? Nein, nur so viel: Fußball gucken ist wie Blutwurst essen. Hat man nur früh genug damit angefangen, merkt man später gar nicht mehr, dass sie genau genommen scheiße schmeckt. Von Fußball wird mir schlecht, genauso wie von Blutwurst. Von mir aus kann aber jeder so viel Blutwurst essen, wie er möchte, und so habe ich es bisher auch mit dem Fußball gehandhabt.
Bis vor einigen Jahren blieben Fußballfans unter sich, doch seit parallel zur WM 2006 in Deutschland das Public Viewing ausgebrochen ist, sind auch viele meiner Freunde infiziert. Es wird nicht einfach nur Fußball geschaut, sondern das Ganze wird zum Event erhöht, inklusive aller kulturellen Codes, die dafür nötig sind: Jubeln an den richtigen Stellen, sich über »Schiris« ärgern, Fanartikel bedienen – natürlich alles mit einem Augenzwinkern. Auch Frauen beherrschen den Habitus des Fußballfans inzwischen so perfekt wie ihre Mütter noch das Flechten eines französischen Zopfs. Dass das mit Feminismus so viel zu tun hat wie Conchita Wurst mit Wladimir Putin, sei nur am Rande erwähnt.
Selten zuvor hat der Fußball sein Blutwurstgesicht so deutlich gezeigt wie bei der bevorstehenden WM in Brasilien. Selten war der Fußball so boykottwürdig wie in diesem Jahr. Während in Brasilien Millionen von Menschen auf die Straße gehen, um der Welt zu zeigen, dass im Namen des Fußballs vertrieben, umgesiedelt, ausgebeutet und betrogen wird, ist hierzulande niemand wirklich bereit, sich »deswegen« den Spaß verderben zu lassen. Dies bekräftigt nicht nur mein linksliberales, vegetarisches Umfeld, sondern auch FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke: »Das Stadion ist nicht der Ort, irgendeine politische Meinung zu äußern. Egal, welche es ist. Wir stellen sicher, dass das Spiel nicht missbraucht wird.«
Sport ist schon immer politisch gewesen. Das wusste bereits der Sinto Johann Trollmann, seinerzeit Deutscher Meister im Halbschwergewicht, als er 1933 gegen den Naziboxer Gustav Eder in den Ring stieg. Trollmann verkleidete sich für diesen Kampf als arische Karikatur, blondierte sich die Haare, bedeckte sein Gesicht mit weißem Puder und ließ sich demonstrativ von seinem arischen Gegner niederboxen. Trollmann verlor seine Boxerlizenz und starb 1942 im KZ Neuengamme. Auch die Fußball-WM 2014 hat bereits ihren ersten Toten gefordert: Als die Polizei 50 Tage vor der WM ein Armenviertel in Rio räumte, erschlugen sie bei Protesten der Bevölkerung den jungen Tänzer Douglas Rafael da Silva Pereira.
Fußball WM 2014? Dann lieber Blutwurst essen.