Es war Jerusalem, das kleine braune Schloss – das kleine Zuhause, das kleine Zuhause.
Das Haus stand auf dem höchsten Punkt des Berges, strategisch positioniert – die kleine Festung, die kleine Festung. Mittagessen, Abendessen, Mittagessen, Abendessen, die Mutter kocht: Tomatenmark, Margarine, Salz und Pfeffer – wir nennen es Opferspaghetti.
Über dem Haus: fallen Projektile vom Himmel.
Neben dem Haus: sterben die Nachbarn, vielleicht in unseren Träumen, vielleicht in echt.
Regenschirme in allen Farben schützen die Dächer, Nylondecken versiegeln die Fenster.
Die Mutter und der Vater ziehen braune Streifen Paketband um alle Rahmen aller Luftzugänge, es ist 1990, 1991, im Fernsehen nennen sie es »Golfkrieg«, und das braune Paketband wird auch um unsere Körper geschnürt, um uns vier aneinanderzubinden.
Nasse Handtücher am Fuß der Zimmertüren werden das Eindringen chemischer Substanzen blockieren, falls und wenn. Falls und wenn. Unsere Zimmer. Unsere Zimmer werden durchbohrt. Tag und Nacht. Von Sirenen, oder war es das Geschrei des Premierministers zur Primetime, oder war es nur die Stimme des Vaters, der im Schlaf weinte.
In einem kleinen braunen Haus rennt das Hologramm von Saddam Hussein vier Köpfen hinterher, die unter ihren Gasmasken keuchen. Am Ende des Spiels wird er sie zu Bett bringen und ihre Fantasien und Alpträume dirigieren, für immer. Wenn sie aufwachen, ziehen sie sich die Gasmasken von den Köpfen und laufen los, voller Wut, links rechts, zu dem arabischen Dorf am Fuß des Berges [Sehr geehrte Frau Yishan Ben, ich bin Journalistin und Theaterkritikerin, schreibe dann und wann für ein paar Magazine Geschichten], sie lassen das Dorf evakuiert hinter sich zurück, in ihren Händen: mit Hummus gefülltes Pitabrot. Am nächsten Tag: kommen Delegationen von Kindern aus den lokalen Grundschulen, um im Namen der Nation Baumgruppen auf dem verlassenen Grund des zerstörten Dorfes zu pflanzen. Die Bäume werden nach den Namen der Kinder benannt, die sie gepflanzt haben [Dort werden in erster Linie Geschichten interessanter Personen erzählt. Ich würde gern ein Porträt von Ihnen anbieten und wollte Sie fragen, ob Sie dazu bereit wären].
Interessante Personen
Jerusalem. Auf vier schmalen Matratzen sind die Träume identisch und synchron: Riesige Keiler, Gasmasken, Saddam Hussei– [Für Sie als israelische Autorin, dachte ich, könnte es interessant sein, über Ihre Geschichte und die Geschichte Ihrer Familie zu sprechen]. Familie. Drohnen sirren vor unseren Stirnen, Familienträume, und die Keiler stoßen und werfen ihre Körper gegen die Eingangstür des braunen Hauses [Ich war sehr neugierig, und ich denke, unsere Leser werden es auch sein: Was haben Sie in Israel gemacht? Warum haben Sie sich entschlossen, nach Deutschland auszuwandern? Wie leben Sie hier? Was ist anders, was ist gleich?]. Die Mutter und der Vater versuchen die Tür zu schützen, die Tritte, die Tritte, auf ihren Köpfen Gasmasken, sie tragen nur ihre Unterwäsche, jede Nacht, in jedem Traum, stemmen sie die Tür gegen die Keiler. Das Schloss bricht langsam, haarige Hufe treten jetzt gegen [Es gibt so viele Israelis in Berlin, ist das nicht interessant?] mich. [Haben Sie das Land wegen der wirtschaftlichen Situation verlassen? Wie würden Sie die Verhältnisse in Israel heute beschreiben? Wie war es in Jerusalem zu leben? Wie religiös ist Jerusalem? Haben Sie antisemitische Vorfälle in Deutschland erlebt? Natürlich soll es auch um Ihre Kunst gehen –]
Auch um Ihre Kunst
Weiße Tage. Das kleine braune Schloss wurde von Raketen ausgebombt und ist in einer Schüssel Tomatenmark versunken. Oder vielleicht ist das Haus immer noch da [Haben Sie Jerusalem in letzter Zeit besucht?] und es ist nur die Familie, die auseinandergefallen und zerstreut ist [Wie war die Reaktion auf Ihren Umzug nach Deutschland?]. »Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorre meine Rechte. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben.«1 Die Haustür ist eingebrochen, die Keiler sind aus unseren Träumen raus auf die Straßen Jerusalems gelaufen, ihr Grunzen ist zur offiziellen Nationalhymne geworden. Zeit der Keiler, Siegesparaden. Saddam Hussein wurde hingerichtet, sein Bart hat sich verheddert, als sie ihn an den höchsten Baum gehängt haben. Der Baum. Der Baum trug unseren Namen [Wie leben Sie hier? Haben Sie antisemitische Zwischenfälle in Deutschland erlebt? Können Sie mit Ihrer Kunst hier Geld verdienen? Ihre Kunst. Haben Sie die Inspiration für Ihren letzten Text aus der Lebenswirklichkeit in Israel bekommen?].
Inspiration
Auf ihrer Einzelmatratze, in der Dämmerung, kann Jerusalem nicht schlafen. Sie liegt, die Augen weit offen, wie ein Kind, das auf das Morgenlicht wartet, mit dem sein Geburtstag endlich anfängt.
Als das Morgenlicht kommt, rennen Hunderte von Teenagern aus dem ganzen Land in die Stadt, in Flaggen gehüllt, feiern ihren Tag, ihren Tag, Jerusalems Tag.
Jeder Jugendliche wird von vier Soldaten beschützt [Ich habe gehört, der Militärdienst sei verpflichtend? Haben Sie Ihren absolviert?], die Gewehre der Soldaten zucken in ihren Händen, strecken sich weiter als argwöhnische Fangarme, als sie alle in den besetzten Teil der Stadt vordringen, auf die Seite, die heute unter Ausgangssperre steht.
Eine lange Reihe Toilettenwagen wurde für die Feiernden organisiert. Davor ist eine weitere Reihe mit Hotdog-Ständen aufgebaut. Man kann einen Hotdog essen und danach sofort in eine der Toilettenkabinen rennen.
Zwischen der Reihe der Hotdog-Stände und der Reihe Toilettenkabinen liegt.streckt sich.schläft Jerusalem.
Auf die Plätze, fertig, Wakef-walla-batuchak:2 Feuerwerk. Die schweren, busenförmigen Wolken über der Stadt sprühen warme, mit Konfetti vermischte Flüssigkeit auf die rot glühenden Gesichter der feiernden Menschen und die geschlossenen Fenster derjenigen, die ihre Häuser zu ihrer eigenen Sicherheit nicht verlassen dürfen. Happy Birthday, Jerusalem, Liebes [Wenn Sie Israel und Deutschland vergleichen: Was ist anders? Was ist gleich? Welcher Ort ist besser?].
Das Biografische müsste auch vorkommen
1947 hat die Großmutter Europa verlassen. Heute, unter Jerusalems nassem Himmel, bedeckt sie ihren Kopf mit der Flagge und lässt das Radio aus [Natürlich soll es auch um Ihre Kunst gehen, aber das Biografische müsste auch vorkommen].
Ich komme zweimal im Jahr in ihr Haus [Können Sie etwas über die Reaktionen Ihrer Familie erzählen, als Sie Israel verlassen haben und nach Deutschland gegangen sind?], vertreibe die Keiler aus ihren Träumen und wickle die Nylondecken um sie herum, als wäre sie ein Baby. Ein Baby. Mit jedem Baby ist ein Zahn ausgefallen, und jetzt, mit leeren Mündern, verstreut auf der ganzen Welt, wälzt sich die Familie auf schmalen Matratzen, mit Zahnschmerzen.
Die Ärzte sagen [Erst wenn Sie einverstanden sind, frage ich bei den Redaktionen an.], dass das Phantomschmerzen sind, es tut nicht weh, es ist nur ein Traum, das sind Phantomschmerzen, sie tun nur so, als würden sie existieren, der Schmerz ist nicht echt, er ist nur ein Traum, die Zähne sind längst weg. [Es kann auch sein, dass die Zeitungsredaktionen nicht interessiert sind. Ich danke Ihnen und Shalom!]
Aus dem Englischen von Maren Kames
1 Psalm 137, 5-6.
2 »Stehen bleiben oder ich schieße« – »Wakef-walla-batuchak« ist ein Befehl auf Arabisch, den jeder israelische SoldatIn auswendig können muss.