Brücken geben mir das Gefühl, verstanden zu werden, denn Brücken stellen immer die richtigen Fragen. Wo kommst du her, wo gehst du hin, kannst du noch, schaffst du es auf die andere Seite, und wenn ja, was erhoffst du dir davon?
Auf Brücken fühle ich mich aufgehoben, vielleicht laufe ich deshalb so gern durch meine Stadt, denn meine Stadt hat viele Brücken, Brücke hier, Verständnis da, und an allen Ecken Menschen mit tiefen Augen, mit Gruben im Herzen und Blicken, die etwas herstellen, einmal zu lange reingeschaut, schon an der Angel.
Die beste Brücke von allen ist die Brücke 10, da gibt es Fischbrötchen, wie es sie sonst nirgendwo auf der Welt gibt, der Fisch ist kühl und frisch und zart und salzig, er schmeckt wie das Meer, die Brötchen sind warm und weich und knusprig, wahrscheinlich sind sie wirklich aus Getreide gemacht. Immer eine Traube von Hungrigen vor dem Tresen, eiskaltes Bier dazu, dann hinsetzen und die Schiffe weiterwinken.
Das ist die eine Möglichkeit. Das Laufen, hin und her und quer durch und rundherum.
Die andere Möglichkeit ist, im Sommer auf dem Balkon zu sitzen, den ganzen Tag, es hat 30 Grad, es ist ein Sonnenbalkon im vierten Stock, der heizt sich auf, der heizt mich auf, so kann ich arbeiten, ich bin dann mein eigener Hochofen und produziere, auch wenn in dem Moment nie ganz klar ist, was jetzt eigentlich genau. Und irgendwann wird es Abend, es ist immer noch warm, der Rotklinker speichert jeden einzelnen Sonnenstrahl und gibt ihn wieder ab, wenn er gebraucht wird, unten auf der Straße füllen sich die Kneipen und die Restaurants, die Gehwege und die Luft mit Stimmen, die vielen Lichter ersetzen das eine Licht, die Farben werden für kurze Zeit stärker. Als hätten auch sie die Wärme des Tages gespeichert und jetzt aber raus damit, volle Kanone, bei der Hitze kann ja später keiner schlafen.
Die schönsten Frauen des Viertels laufen einzeln vorbei, als wäre das ein geplanter Aufmarsch der schönsten Frauen, sie heißen Julia und Maysun und Karen, sie sind alle dunkelhaarig. Karen trägt Spaghettiträger oder nur Spaghetti, Maysuns Kleid wickelt sich beim Gehen um ihre Knie, Julias Jumpsuit ist einen Tick zu kurz aber ach, egal, irgendwo singt Grace Jones.
Benutz deine Schuld.
Benutz deine Defekte.
Sie benutzen ihre Vollkommenheit, sie teilen sie mit den anderen, das ist sehr freundlich von ihnen.
Ich denke an jede Menge gesellschaftliche Debatten, und dann denke ich: Grace Jones könnte doch die Antwort auf alle Fragen sein, womit wir wieder bei den Brücken wären.
Oder hätte ich heute lieber ins Freibad gehen und mit Arschbomben werfen sollen?
Aber irgendwie finde ich den Gedanken kaputt.
Und plötzlich kommt Wind auf.