Wir sitzen auf diesem Platz gleich neben dem Hafen, wir sind zu zweit, wir sind zwei blonde Frauen in der Mitte ihres Lebens, vielleicht auch schon ein bisschen darüber hinaus, man weiß ja nie, wie lange es noch geht, es ist sommerlich. Es ist für mich nie ganz einfach, auf genau diesem Platz zu sitzen, unter genau diesen Kirschbäumen, die gerade ihre allerletzten rosa Blüten zu Boden segeln lassen, denn ich hab auf diesem Platz mal getanzt, in einer Frühlingsnacht, im Kirschblütenregen. Der Freund, mit dem ich getanzt hatte, ist ein paar Jahre später – es war wieder Kirschblütenzeit – aus dem Fenster gesprungen. Am Tag seiner Beerdingung war es bewölkt und für die Jahreszeit zu warm.
Deshalb ist es manchmal etwas schwierig auf dem Platz, je nach Kirschblütenstand fange ich auch mal an zu weinen, denn es ist so: dieser Freund ist jetzt wirklich schon lange tot, und wir haben uns gar nicht so häufig gesehen, aber wenn wir uns gesehen haben, hatten wir die besten Nächte der Welt zusammen. Wir haben auf Kopfsteinpflaster getanzt, und er hat dazu gesungen, und ich weiß bis heute nicht, ob ihm diese Nächte etwas bedeutet haben, aber für mich waren sie etwas Großes, ich hab ihn so sehr gemocht, und hin und wieder war diese Zuneigung auch an der Grenze zu etwas anderem. Trotzdem müsste ich mich langsam daran gewöhnt haben, dass er nicht mehr da ist, weil er eben auch gar nicht so oft da war, aber ich gewöhn mich nicht dran. Er hat ein ziemliches Loch hinterlassen, und das Loch kann ich mir anschauen, wenn ich in einer dieser warmen Spätfrühlingsnächte auf diesem Platz sitze.
Wir sitzen da also. Wir essen, wir trinken, wir erzählen uns Geschichten von früher und jetzt und für alt und für neu und für morgen, der Wein ist golden, könnten wir vielleicht ein paar Eiswürfel …? Danke, danke, so geht’s, und ach ja, das schwarze Loch hinter mir? Achte nicht drauf, das ist hier eben so, das muss so, das geht immer auf, wenn ich hier bin, manchmal geht es auch in einem anderen Teil der Stadt auf, es kann unter einem x-beliebigen Kirschbaum passieren, oder auch, wenn ein Mann auf einem Fahrrad vorbei fährt, dessen Gesicht mich an etwas erinnert.
Meine Freundin nimmt einen Schluck von dem Goldwein, sieht mich an, lächelt, und sagt: »Was für ein schönes, wertvolles Loch du da mit dir rumschleppst.«
Und dann tutet ein Schiff, es tutet sehr laut, es hört sich an wie eine Aufforderung, und wir trinken automatisch schneller, vielleicht kann man ja heute Nacht noch tanzen.