Mitte November bin ich zum ersten Mal seit Monaten wieder unterwegs. Ich konnte einige Zeit nicht verreisen, but that‘s a whole different story; auf jeden Fall sitze ich jetzt im ICE nach Münster und kann es kaum fassen.
Donat Blum, Lann Hornscheidt, Ronya Othmann und das Burg Hülshoff-Center for Literature haben zum Gipfeltreffen queeres Erzählen auf der Burg Hülshoff eingeladen. Drei Tage lang sollen sich 20 queere Autor*innen aus dem deutschsprachigen Raum in Münster begegnen. Sie kommen aus Lyrik, Prosa, Wissenschaft, Journalismus, Theater, Poetry Slam, sind unterschiedlich alt, haben unterschiedliche Erfahrungen. Ich weiß nicht, was genau passieren wird. Ich bin hyped.
Durch die Glasfront des Hotel Conti am Bahnhof sehe ich schon Lann und Donat in der Lobby sitzen. Zum ersten Mal treffe ich Lann irl, das letzte (und erste) Mal, als wir uns begegnet sind, waren wir klein und zweidimensional, Lann an der Ostsee, ich in Berlin, und Lann hat das erste Seminar in meinem Studiengang geleitet, in dem ich nicht nonstop mit Zweigenderung und Heterosexismus konfrontiert war und wo plötzlich eine Anspannung von mir abfiel, von der ich nicht geahnt hatte, wie allgegenwärtig und riesig sie auch in diesem Kontext war.
Nach und nach treffen die eingeladenen Autor*innen ein. 17 Mal geht die Tür. Ich kenne vielleicht die Hälfte vom Sehen, und drei, vier Personen kenne ich besser, allen anderen bin ich noch nie begegnet, and that‘s something, ich meine, unter Queers, unter Schreibenden, und eben: queeren Schreibenden.
Schon beim Einsteigen in den Extra-Bus sind Eva, Jchj und ich total aufgedreht. Es ist wie Klassenfahrt, nur etwa fünfzehn Jahre später, ohne Lehrer*in und ohne cis-hetero Mitschüler*innen. Wir fahren 20 min. aufs Land raus. Steigen aus, laufen über das Anwesen der Burg Hülshoff an alten Bäumen und einem Weiher vorbei (dem Weiher, über den Annette von Droste-Hülshoff ihr Gedicht Der Weiher geschrieben hat).
Eine der ersten Sachen, die die Initiant*innen sagen, ist: Das mit dem »Gipfeltreffen« ist natürlich Quatsch. Wir sollen uns alle zusammen bis zum Ende der Konferenz einen passenderen Titel ausdenken. Oder ist Konferenz falsch? Vielleicht eher Symposium?
Gerade weil, oder obwohl das antike Saufgelage unter Männern waren?
Die ersten Vorschläge aus unserer Runde: Q15, Quipferltreffen, Unkonferenz queeres Erzählen.
Wir stellen uns einander vor. Nach der Vorstellungsrunde hält Angela Steidele einen Vortrag. Sie hat einen kleinen Trolley mit Büchern dabei, die sie vor sich auf den Tisch stapelt: alles queere, insbesondere lesbische Geschichte, von ihr aufgearbeitet. Hingebungsvoll liest sie Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff vor. Dann setzt sie auseinander, wie offensichtlich Droste-Hülshoffs Nature Writing Gedichte mit lesbischer Erotik aufgeladen sind, wie offenkundig die lesbischen Motive, die sich durch ihr gesamtes Schaffen ziehen, und wie störrisch die Germanisten das wiederum leugnen, indem sie zum Beispiel erklären, Droste-Hülshoff hätte im Schreiben lediglich dem Autoren-Mainstream folgend die männliche Perspektive eingenommen und nicht als Frau auf eine andere Frau geblickt.
Cecilia Joyce Röski schrieb vor kurzem im Edit Magazin: Ich schließe die Augen, lege den Kopf in den Nacken und erröte vorsorglich in der Annahme, unser Beisammensein könnte in einem folgenden Jahrhundert als platonisch interpretiert werden.
Ich liebe diesen Satz.
Die drei Tage in Münster sind intense. Wir reden unglaublich viel. Es gibt Fauxpas, es gibt Reibung, es gibt Unverständnis. Es gibt einen langen Tisch, an dem wir Suppe essen. Es gibt weite Spaziergänge in Kleingruppen, meine fragt sich: Was gab es? Was gibt es? Was fehlt? Damit meinen wir: Lesbische Archive, Kneipen, Clubs, Begegnungsorte, Shows, Seilschaften, Landkarten, Vereine. Während wir den Rehen im Gatter beim Kauen zuschauen, zählen wir auf: Diese eine legendäre Kneipe, die in den Neunzigern pleitegegangen ist, Spinnbodenarchiv, Möbel-Olfe. Das schwule Museum, das x-mal so viel Geld hat wie das Lesbenarchiv im Spinnboden. Also: Geld für lesbische Forschung und Bibliotheken. Ein Begegnungszentrum, das ausnahmsweise nicht von einer anderen Gruppe überrannt wird.
Die Plenumsdiskussion danach ist chaotisch; not in a bad way, aber alle wollen ihre Interessen und Ideen unterbringen, eine*r sagt etwas, die nächste Person springt von lesbischen Aktionsplänen zu schwuler Poetik, einige kommen unter, einige kommen zu kurz, wir reden miteinander und aneinander vorbei, alle sind müde, aber wir sind noch lange nicht fertig, die beiden Autor*innen, die online zugeschaltet sind, kommen kaum zu Wort und verstehen wahrscheinlich nur die Hälfte, und wo sind überhaupt all die anderen?
Dear Kulturförderinstitutionen, es braucht mehr, und ich meine: massiv viel mehr Fördergelder für Formate wie dieses, damit am nächsten Autor*innentreffen queeres Erzählen, wie wir es jetzt genannt haben, nicht 20, sondern 200 Autor*innen teilnehmen können und damit die Initiant*innen eines möglichen nächsten Treffens nicht vor der unmöglichen Aufgabe stehen, die queere Literatur mit 20 Personen abzubilden, weil es sowieso noch x parallel stattfindende Treffen gibt. Damit Kim de l‘Horizon nicht alleine ist mit der Aufgabe, dem Schweizer Bildungsbürgertum Genderqueerness zu erklären, sondern es neben Kim noch unzählige weitere Enbys gibt, die dem Mainstream genauso bekannt sind. Damit wir queere Autor*innen nicht ständig auf Literaturveranstaltungen vor mehrheitlich straightem Publikum queere Basics erklären müssen, sondern auch untereinander diskutieren und uns verbünden können. Damit wir auch innerhalb des queeren Topfs, in den wir geworfen werden, differenzieren und gezielt Banden bilden können. Die Erkenntnis aus unserer Abschlussdiskussion ist nämlich sehr einfach: We‘re not all the same. Wir haben unterschiedliche Bedürfnisse, Privilegien, Erfahrungen und Anliegen.
Donat, Lann und Ronya haben mit ihrer Initiative zwei großartige Sachen hinbekommen:
Erstens sind wir alle rausgegangen mit einem klaren Gefühl von Wow, wir sind alle so unterschiedlich, weil die drei so eingeladen haben, dass wir zumindest einen glimpse erhaschen konnten auf die Heterogenität queerer Stimmen der Gegenwart.
Zweitens waren die Tage in Münster unglaublich empowernd, ist ja klar, aber ich bin trotzdem geflasht davon, was es mit mir gemacht hat, drei Tage lang nur mit Queers zu sprechen, zum ersten Mal in meinem Leben mit Lesben aus der Generation meiner Eltern an einem Tisch zu sitzen und nach den irgendwie rauschhaften drei Tagen zu wissen, wen ich nach meiner Rückkehr in Berlin alles treffen will.