Ein Gruß zum 100. Geburtstag in 10 Folgen
Folge 1
Meine Begegnung mit Arno Schmidt
Arno Schmidt war einst mit Robert Krafts Heftreihe Detektiv Nobodyʼs Erlebnisse und Reiseabenteuer großgeworden, das wußte ich. Mein Freund und Lektor Hans Dieter Müller verfolgte damals, 1964, die Absicht, Schriftsteller in einem Autorenbüro zu organisieren. Ich selbst hatte den Fimmel, daß wir Schreibenden das Feld der Bücher verlassen und uns auf Groschenhefte konzentrieren sollten. Arno Schmidt war zu diesem Zeitpunkt ein Mann von 50 Jahren. Man darf ihm nicht zu nah auf den Pelz rücken, hatte Müller mir eingeschärft. So standen wir auf Abstand, gerade daß der eine im Stimmengewirr des Empfangs hören konnte, ob der andere etwas sagte. Es sagte aber niemand etwas.
Wir Preisträger wurden fotografiert. Viel Zeit verging durch die Reden, die Preisverleihung selbst und später durch das gesetzte Essen, bei dem diejenigen, die miteinander reden wollten, weit voneinander entfernt saßen.
Innerlich Weltbürger, schien mir Schmidt in seiner Haltung, was Geselligkeit betrifft, gesperrt, bis zur Unhöflichkeit zurückhaltend. Für die Anfertigung der Groschenhefte hatte ich die Vorstellung, daß jeweils eines abwechselnd von Kunrat von Hammerstein, eines von mir und eines von Schmidt geschrieben würde. Unsere Leserschaft: in allen Nahverkehrszügen des Landes.
Die Zeit verrann. Ich brach das Schweigen und erläuterte, daß das einzelne Heft jeweils 32 Seiten lang sein sollte, also zwei Bogen. Was für ein Heft? fragte Arno Schmidt zurück. Wir wurden unterbrochen, ihm wurden Leute vorgestellt, die er seinem Gesichtsausdruck nach nicht zu sehen wünschte.
Ich nahm mir vor, sobald sich eine Gelegenheit ergäbe, sein Ohr zu erreichen, ihn auf die Publikationsart der Reiseberichte Karl Mays hinzuweisen, die aus Fortsetzungsbeiträgen bestand (ähnlich der Länge von Groschenheften). Meine Mutter trug denselben Vornamen wie Schmidts Ehefrau: Alice. Meine Mutter hätte diesen Holzstock, was Gesprächigkeit betraf, sicher zu lockern gewußt. Eine Anregung wäre willkommen gewesen. Sechs Schnäpse und ein Bier.
Dann schob sich der Pulk schon zu den Eßtischen. Die rituellen Vorgaben der Akademie der Künste waren unerbittlich. Es kam zu keiner Verabredung. Die Speerspitze der Literatur (»aus dem Geiste der Philologie«) in Form der Groschenhefte blieb Idee. Wenn doch solche Hefte, als wir beide lesen lernten, uns so lebhaft umgeben hatten. Das Exemplar zu 32 Seiten hätte 99 Pfennig gekostet, was mit dem Begriff »Groschen« falsch bezeichnet war.
Hans Dieter Müller hat Schmidt noch mehrfach besucht. Noch während des Essens war der Dichter verschwunden. Für unser Leben waren wir zu hastig. Ich habe ihn nie wieder gesehen.
»Gleich werden wir uns näher kennenlernen
und geschickt mit den Tellern
unserer Geschicke hantieren«