Am 8. Januar 2008 erhielt ich einen Anruf aus dem Büro Donald Trumps. Ja, bei der Nummer seien sie richtig. Ja, sie wollten mit Samanta Schweblin sprechen. Ich hatte damals eine kleine Werbeagentur, und alles spielte sich bei mir zu Hause im Wohnzimmer ab. Wir waren ein langsames, unerfahrenes Team, aber wir waren gute Programmierer – in einer Zeit, in der man Google noch austricksen konnte. Deshalb erschien, wenn jemand am anderen Ende der Welt »graphic design« bei Google eingab, als erster Eintrag auf der ersten Seite unsere Agentur, und zwar immer. Darauf waren wir stolz. ABB, Amnesty International, die Tourismusbehörde von Houston und selbst die Stadtverwaltung von Buenos Aires riefen bei uns zu Hause an und gaben immer mehr Projekte in Auftrag, weshalb wir manchmal sogar im Pyjama und mit Zahnbürste in der Hand den Hörer abnahmen und unser Sprüchlein »Arte-y-medios-guten Tag, womit können wir Ihnen dienen?« aufsagten.
Es war also Januar, und obwohl fast die ganze Welt in Urlaub war, hatte ich mich damit abgefunden, dass ich das Meer erst im nächsten Jahr wiedersehen würde. Ich hatte Schulden abbezahlt und war absolut blank. Da kam der Anruf aus den Büroräumen Donald Trumps. Sie wollten einen Kostenvoranschlag. Sie seien in der Dominikanischen Republik, und wenn wir bei der Ausschreibung mitmachen wollten, müssten wir sofort kommen. Sie würden die Kosten übernehmen. Ich rief Maxi an – weil ich immer Maxi anrufe, wenn man mir abstruse Dinge vorschlägt –, und Maxi meinte »super, dann machen wir eben Urlaub«, und noch am selben Mittwoch flogen wir nach San José, wo uns ein Privatjet erwartete, der uns nach Punta Cana bringen sollte. Einer der Projektleiter kam uns abholen, sein Chauffeur trug weiße Handschuhe. Es wurde dunkel, wir fuhren eine halbe Stunde lang durch den Urwald und gelangten zum Hotel, vor dem ein großer freier Steinplatz lag mit Palmen und goldenem Licht und einer Rezeption ohne Wände, inmitten der Natur. Erst als wir ausstiegen und uns ein paar Schritte von dem Lichterglanz entfernten, begriffen wir, dass jenseits des großen Damms der Strand lag. »Morgen wird ein anstrengender Tag«, sagte unser Gastgeber, und ich weiß sogar noch, wie er es sagte: erneut mit einem überraschten Blick, vielleicht enttäuscht darüber, dass wir so jung waren oder dass die Stoffreisetaschen, die wir von meiner Mutter geerbt hatten, so armselig wirkten. Ein Chauffeur sollte uns am nächsten Tag in aller Frühe abholen. Würden wir Donald Trump sehen? Das fragte ich mich, als wir uns verabschiedeten, doch zum Glück sprach ich es nicht aus. In Wahrheit sollten wir etwas viel Außergewöhnlicheres sehen.
Am nächsten Tag wurden wir von der Architektin abgeholt, die uns das Projekt vorstellen sollte. Wir fuhren circa dreißig Minuten lang durch den Urwald, bis der Weg vor einer riesigen Mauer endete und der Range Rover, mit dem wir unterwegs waren, vor dem Tor stoppte. Vier schwer bewaffnete Sicherheitsleute wiesen uns an auszusteigen. Sie tasteten uns ab und stellten Fragen, dann durchsuchten sie den Wagen. Erst als sie uns hineinließen, lächelte die Architektin wieder.
Für welche Art von »Projekt« sollten wir einen Kostenvoranschlag machen? Besorgt sah ich Maxi an. Vor uns lag eine makellose, leere zweispurige Straße. »Willkommen in CapCana«, sagte die Architektin, und allmählich begannen wir zu begreifen. Wir gelangten an einen Kreisverkehr mit fünf Ausfahrten und fuhren in ein Tal. Zu beiden Seiten erstreckte sich eine Landschaft aus Lagunen, Klippen, Wasserfällen, Wäldern, Bergen und Mangrovenhainen, so erfunden und perfekt gemacht wie jene in Jurassic Park oder Westworld. Von einer seltsamen Schönheit, die mir Gänsehaut machte. Die Architektin deutete auf einen Punkt auf der Landkarte, um uns zu zeigen, wo wir uns befanden. Die Stadt, sagte sie, sei in neun thematische Stadtviertel aufgeteilt, die abgestimmt seien auf die Lieblingssportarten ihrer Bewohner: Golf, Tennis, Wassersport, Reiten … CapCana verfüge zudem über neun Hubschrauberlandeplätze, zwei Oberschulen, eine Universität, zwei Einkaufszentren, über Theater, Gastronomiegebiete, Banken, zwei Golfplätze, ein Polo-Spielfeld, Strände und Naturreservate.
Die Architektin redete, und wir schrieben mechanisch mit, wobei wir uns immer wieder besorgt ansahen. Sie bauten eine Stadt für Reiche, in der sich auch nur Reiche aufhalten durften.
Wir fuhren durch einige Viertel. Immer wieder hielten wir kurz an: Zu Fuß besichtigten wir eine Marina und Dutzende von Kanälen im Stil Venedigs – nur mit türkisfarbenem, glasklarem Wasser und über dem Wasser makellose Fußgängerbrücken; wir betraten ein Musterhaus, in dem man seine Jacht direkt im Wohnzimmer parken konnte; wir umrundeten große Villen ohne Mauern, mit Blick auf den Urwald und jener Ruhe, die das Leben in einer abgeschlossenen Welt bietet.
Manchmal kamen uns Laster mit Tagelöhnern entgegen oder mit Angestellten der Anlage. Die Hautfarbe diente als Arbeitsuniform. Die Dunkelsten waren – ohne erkennbare Ausnahme – Arbeiter. Ein hellerer Farbton verschaffte Zugang zum Bereich der Reinigung. Ein noch hellerer Ton qualifizierte zum Kundenkontakt: Gastronomie, Hotelrezeption, jede Art von Dienstleistung. Als Argentinierin hatte ich noch nie eine so radikale Klassentrennung gesehen, und ich fragte mich, ob es wohl auch eine festgelegte Hautfarbe für uns, die wir einen Kostenvoranschlag machten, gab.
Wir aßen unter der Nachbildung einer gigantischen japanischen Pagode zu Mittag. Das Restaurant diente zudem als Showroom und befand sich auf der »Trump-Klippe«, von der aus man einen Großteil des Tals überblicken konnte.
Jemand erzählte uns eine Anekdote zu diesem Showroom. An dem Tag, als die Grundstücke für den Verkauf freigegeben wurden, reichten die neun Hubschrauberlandeplätze nicht aus. Nie zuvor waren an einem Tag so viele Grundstücke für so viele Millionen Dollar verkauft worden. Sämtliche Tageszeitungen der Welt berichteten über diesen Immobilienrekord. Angeblich stand der Sohn eines mexikanischen Milliardärs damals in ebendiesem Restaurant, als sein Vater auf das Tal deutete und ihm das Grundstück zeigte, das er gekauft hatte. Enttäuscht erklärte der Junge dem Vater, dass diese Welt sich in die Oberen und die Unteren aufteilen würde, und er sei nicht bereit, mit denen Unteren zusammenzuleben. Also kaufte der Vater ein zweites Grundstück, diesmal eines auf der Klippe. Der Junge war acht Jahre alt.
Die Architektin bestellte Kaffee und die Rechnung. Unsere Arbeit wäre es, die Beschilderung der ganzen Stadt zu entwerfen und aufzubauen, sagte sie. Es ginge selbstverständlich um einen Millionenetat. Ob wir bereit wären, an der Ausschreibung teilzunehmen? Könnten wir innerhalb der nächsten zwanzig Tage einen Entwurf vorlegen? Für jegliche Fragen stünde sie uns zur Verfügung. Wir verabschiedeten uns, und der Chauffeur brachte uns zurück ins Hotel.
Einen Monat später verriet uns die Architektin, dass unser Entwurf bis zuletzt in Erwägung gezogen wurde. Nur eines hatte sie stutzig gemacht: Der Etat von zwei Millionen Dollar kam ihnen verdächtig niedrig vor. Beim Aufschreiben dieser Geschichte aus der Vergangenheit erfuhr ich, dass CapCana niemals verwirklicht wurde. Trump verklagte seine Partner, und die Landeigner verklagten die Gesellschaft, oder so ähnlich. Ich frage mich, ob ein Teil von Trumps Geschäften vielleicht darin besteht, sie platzen zu lassen. Und ich frage mich, wer wohl jetzt den Kostenvoranschlag macht für die Arbeiten in dieser neuen Welt, die er in den Händen hält.
In jenem Januar des Jahres 2008 blieben wir noch ein paar Tage länger in dem Hotel, da ja alles bezahlt wurde. Wir dösten mal im weißen Sand, mal in der Hängematte, aßen und tranken, so viel wir konnten, und sprachen mit anderen Gästen: »Ja«, antwortete ich einmal, »wir haben unser Grundstück bereits ausgesucht«. Ich erklärte, welches es sei, und unsere neuen Freunde fanden, das sei eine hervorragende Wahl. »Dann werden wir Nachbarn!«, meinten sie. Kurz vor der Abreise mussten wir buchstäblich unsere Portemonnaies auf der Empfangstheke ausleeren. Es gab da ein kleines Missverständnis: Das Wasser in den Zimmern war nicht im Preis inbegriffen. Sie entschuldigten sich und kassierten unser Geld.