In unregelmäßiger Folge werden an dieser Stelle Berichte aus der Werkstatt der Übersetzungsrevision des Ulysses vorgestellt, die einen Eindruck davon vermitteln sollen, auf welchen Überlegungen die vorgenommenen Änderungen beruhen. – Hier gibt Ruth Frehner, die seit 2010 dem Revisionsteam von Harald Beck angehörte, einen Einblick in die Übersetzung der Lästrogonen-Episode und des Monologs der Molly Bloom. Aus rechtlichen Gründen wird die revidierte Ulysses-Ausgabe nicht erscheinen. Das Vorwort von Harald Beck können Sie hier nachlesen.
Noch bevor ich auch nur einen Satz des Ulysses gelesen hatte, blieb einer in meinem Gedächtnis hängen, und zwar aus der deutschen Übersetzung von Hans Wollschläger:
»Und er ging hinaus und weinte Buttermilch.«
Das war 1976, als in einer Schweizer Radiosendung Wollschlägers neue deutsche Übersetzung diskutiert wurde, der mit diesem fast schon dadaistisch anmutenden Satz Buck Mulligans »And going forth he met Butterly« übersetzt hatte. Natürlich wusste ich damals noch nicht, was es mit diesem Satz alles auf sich hat – es ist sehr viel –, aber eines wurde mir klar: Literarisches Übersetzen war neben vielem anderen auch ein Handwerk, wo Kreativität gefragt ist, und offensichtlich brachte Hans Wollschläger diese in nicht unerheblichem Masse ein.
Die folgenden Beispiele zeigen nun nicht nur Textänderungen, die sich aus der kritischen Ausgabe von 1984 ergeben, sondern auch solche, die zeigen, dass Erkenntnisse der Joyce-Forschung der letzten vier Jahrzehnte eine Überarbeitung wünschbar machen.
Leopold Bloom in der Lästrogonen-Episode
Eine Stelle, die einem Übersetzer besonders viel abverlangt, ist wohl der Satz, um den sich eine Anekdote rankt. Frank Budgen erzählt in seinem 1934 erschienenen Buch James Joyce und die Entstehung des Ulysses, dass er Joyce einmal fragte, ob er mit seinem Roman vorwärts komme.
»Ich habe den ganzen Tag hart daran gearbeitet«, sagte Joyce. Budgen fragte zurück, ob er viel geschrieben habe. »Zwei Sätze«, war die Antwort. Worauf er wissen wollte, ob er nach dem mot juste gesucht habe? »Nein«, antwortete Joyce. »Die Wörter hab ich schon, ich suche nach der vollkommenen Anordnung der Wörter im Satz. Es gibt eine in jeder Beziehung angemessene Anordnung. Ich glaube, ich hab’ sie gefunden.«
Es ist Mittagszeit und Bloom, langsam hungrig, kommt auf der Suche nach einem Pub an den Schaufenstern des vornehmsten Seidenhändlers in Dublin vorbei. Schimmernde Seide und Damenwäsche und Strümpfe vom Feinsten bringen ihn in Wallung:
»His brain yielded. Perfume of embraces all him assailed. With hungered flesh obscurely, he mutely craved to adore.«
Wollschläger: »Sein Hirn gab sich hin. Parfüm von Umarmung fiel ihn allseits an. Mit ausgehungertem Fleisch, dunkel, flehte er stumm darum, Anbeter sein zu dürfen.«
Wollschläger revidiert: »Parfüm von Umarmungen fiel allseits ihn an. Mit ausgehungertem Fleisch, dunkel, ersehnte er stumm anzubeten.«
Die Übersetzer sind natürlich einen Schritt hinter Joyce in diesem Fall: Sie müssen zuerst auch noch die Worte finden. Aber fokussieren wir auf die Wortstellung. Was hier etwas erstaunt, ist die ganz gewöhnliche Satzstellung des lexikalisch gut gewählten »fiel ihn allseits an« für »all him assailed«, und der doch eher holprige erweiterte Infinitiv im zweiten Satz. Schade, denn die zwei erotisch geladenen Sätze verlieren so auf dem Weg ins Deutsche ihr Geheimnis.
Die neue Version versucht es mit verbesserter Rhythmisierung und weicherem Klang:
Dank der Doppelung des l-Lauts und den zwei auslautenden »n« in »fiel allseits ihn an« entsteht etwas Fließendes, und das kommalose »ersehnte er stumm anzubeten« hat einerseits die Schnörkellosigkeit des Originals, und andererseits auch den Vorteil, dass »stumm« in dieser Fassung zu schillern beginnt, da es sowohl dem Ersehnen als auch dem Anbeten zugeordnet werden kann.
Kleiner Exkurs zum Vergleich: Joyces erster Übersetzer Georg Goyert machte daraus »Sein Hirn gab nach. Duft von Umarmungen bestürmte ihn. Mit hungerndem Fleisch raste er dunkel, stumm nach Liebe.« Zwar »normalisierte« auch er die Wortstellung, und er traf mit seiner Wortwahl nicht ganz ins Schwarze (»hungernd«, »raste … nach Liebe«), doch rettete er etwas von diesem unbestimmten Ziehen in der Brust hinüber.
Als Bloom nach seiner Reverie ein passendes Lokal gefunden hat, sinniert er, was er denn essen soll:
»Like a few olives too if they had them. Italian I prefer. Good glass of burgundy take away that. Lubricate. A nice salad, cool as a cucumber, Tom Kernan can dress. Puts gusto into it. Pure olive oil.«
Wollschläger: »Paar Oliven möchte ich wohl auch ganz gern, wenn sie die dahaben. Italienische sind mir am liebsten. Ein Gläschen guter Burgunder: räumt sie weg, diese ganze. Rutscht dann wie geschmiert. Dann noch einen schönen Salat, dann bin ich wieder die Ruhe selbst. Tom Kernan, der versteht was vom Anmachen. Bringt Pfiff in die Sache. Reines Olivenöl.«
Wollschläger revidiert: »Ein paar Oliven wär schön, wenn sie die hätten. Italienische am liebsten. Gutes Glas Burgunder nimmt das. Ölt. Ein schöner Salat, kühl wie ne Gurke, Tom Kernan, der versteht was vom Anmachen. Bringt Pfiff in die Sache. Reines Olivenöl.«
Wollschlägers Vorlage hatte noch einen Punkt nach »cool as a cucumber«. Und da diese Redewendung auch so viel wie »seelenruhig« bedeutet, ist verständlich, dass Wollschläger sie Bloom zugeordnet hat, da dessen Gemütszustand wohl noch nicht ganz abgekühlt war. Das Komma in der Gabler-Ausgabe verschiebt die Sache etwas: nun ist nicht mehr so klar, ob der Ausdruck nicht auch Tom Kernan, dem man eine gewisse Eitelkeit nicht absprechen kann, zugeordnet werden könnte. Doch ist hier wohl sein Talent für Salatsaucen im Vordergrund und syntaktisch könnte, nun mit dem Komma, auch Tom Kernan »cool as a cucumber« sein.
Die neue Version hat nun auf die übertragene Bedeutung des Ausdrucks verzichtet, um diese Doppelfunktion zu ermöglichen. Auch nimmt sie Wollschlägers ausformulierten Sätze, die den Text von 38 auf 56 Wörter etwas gar üppig erweitern, etwas zurück.
Mollys Stimme
Die Themen der seit den 1970er Jahren erschienenen Studien zu Joyce und insbesondere seiner Sprache sind breit gestreut, und so wurde auch den lexikalischen, semantischen und syntaktischen Sedimenten in Joyces Spiel mit irischen Varianten des Englischen nachgespürt, was in den nächsten drei Beispielen gezeigt werden kann.
(1)
Molly denkt in der 18. Episode an die ersten Annäherungsversuche von Bloom und ihre eigene Lust dabei, denkt an einen Brief »mit all den Wörtern drin« und kommentiert die Situation bei der nächsten Begegnung so:
»making it so awkward after when we met asking me have I offended you«.
Wollschläger übersetzt mit »dass es hinterher richtig peinlich war dann wie wir uns wieder trafen fragte ob er mich vielleicht gekränkt hätte«. Es handelt sich im Originaltext um die irische Art, in der indirekten Rede eine Frage wiederzugeben, d.h. statt »he asked me if he had offended me« die Frage nach dem einleitenden »asked me« direkt mit einem Fragesatz wiederzugeben. Die Revision übersetzt nun analog: »dass es hinterher richtig peinlich war als wir uns wieder trafen fragte hab ich Sie gekränkt«.
(2)
»you might as well be in bed with what with a lion God Im sure hed have something better to say for himself an old Lion would«
Wollschläger: »aber da könnte man ja gleich mit einem ja was eigentlich ins Bett mit einem Löwen mein Gott also bestimmt wäre mit dem was besseres anzufangen so ein alter Löwe der würde na ja«
Wollschläger revidiert: »…mein Gott also bestimmt hätte der was Besseres vorzuweisen so ein alter Löwe aber sicher«
Hier legt Molly wiederum eine irisch gefärbte Wendung in ihren Gedankenfluss. Sie empört sich in ihrer farbigen Art über das vulgäre Benehmen ihres derzeitigen Liebhabers Blazes Boylan: »An old Lion would« kann im irischen Englisch eine abschließende Verstärkung des eben Gesagten ausdrücken. Deshalb ändert die neue Fassung nun auf »so ein alter Löwe aber sicher«, was Mollys Gedanken hier ganz klar zu einem Abschluss bringt im Gegensatz zum unsicher ausfransenden »na ja«.
(3)
»and the hat I had with that feather all blowy and tossed on me«.
Wollschläger: »und der Hut den ich hatte mit der Feder total ramponiert und verbeult auf meinem Kopf«
Wollschläger revidiert: »und den Hut den ich hatte mit der Feder hat mir der Sturm zerzaust«.
Hier denkt Molly an eine Bootsfahrt mit Bloom, bei der ein Sturm aufkommt und beklagt ihren Hut. Nun übersetzt Wollschläger das »on me« zwar plausibel mit »auf dem Kopf«, jedoch geht es Molly nicht um die Tatsache, dass sie ihren Hut auf dem Kopf hatte – wo denn sonst sollte sie ihn haben beim Rudern? Vielmehr es ist wiederum eine gängige irische Wendung, die sie hier braucht: wenn etwas »on me« geschieht, dann heißt das, dass es mir geschieht, ohne dass ich es verhindern kann. Deshalb verzichten wir hier auf den Kopf.
In allen drei Beispielen kann eine irische Färbung im deutschen Text nicht wirklich sichtbar werden, jedoch versucht die Revision, wenigstens auf der Bedeutungsebene die Abweichungen auf ein Minimum zu beschränken.
Zum Schluss ein kleines musikalisches Postskriptum, eine kleine Vignette auf die Problematik der Liedzitate im ganzen Roman…
»yes hold them like that a bit on my side piano quietly sweeeee theres that train far away pianissimo eeeee one more tsong«
»piano still sweet swiiiii da ist der Zug noch mal weit weg ganz pianissimo iiiiiiii noch einen song«.
»piano leise süüüü da ist der Zug noch weit weg pianissimo üüüüü noch ein ßeslied.«
Als Sängerin verfügt Molly über einen großen Schatz an Liedern, und ihre Gedankengänge sind oft durchdrungen von Melodien und Liedzeilen. So auch als sie, wach im Ehebett, in der Ferne den klagenden Ton eines Zuges hört – frsiiiiiiiiiiiiiiiiiiiifrong – und danach wehmütige Fragmente von Der Liebe süßes Lied durch den Abschnitt klingen. Dieser endet dann stimmig mit dem Schluss des Liedes, wobei sie gleichzeitig mit aller Vorsicht versucht, einen Wind abgehen zu lassen:
Wollschläger hatte sich beim ersten längeren Zitat von Love’s Old Sweet Song für eine sprachliche Mischform entschieden, wobei er einzig den Titel des Liedes englisch beließ. Deshalb wich er dann wohl auf die Doppelform »sweet swiiiii« aus, mit der Absicht, den Kontext zum Liedtitel zu erhalten und wohl auch um den lange gehaltenen Ton zu verdeutlichen, was aber mit dem doppelten Ansetzen genau nicht geschieht. Da Wollschlägers Vorlage noch »one more song« war, übersetzte er mit »noch einen song«. In der Gabler-Edition von 1984 steht nun »one more tsong«. Die revidierte Version hat nun konsequenterweise auch den Liedtitel übersetzt. Durch das »ßeslied« wird eine schöne Möglichkeit geschaffen, Molly sozusagen beim Singen zuzuhören. Und es wird beim bloßen Lesen erfahrbar, dass Molly hier nach dem lange gehaltenen Ton das Lied ausklingen lässt.
Lesen Sie hier das Vorwort von Harald Beck zur revidierten Ulysses-Ausgabe »