Anlässlich des 85. Geburtstages von Thomas Bernhard haben wir einige Übersetzer zu ihren Erfahrungen mit den Texten Bernhards befragt. Wir erkundigten uns nach den Herausforderungen und Freuden bei der Arbeit am Text, fragten nach Lieblingsworten oder -sätzen im Werk Bernhards und nach der Eignung seiner Texte zum Deutschlernen. In vier Teilen präsentieren wir nun die Antworten der Übersetzer, die Bernhard ins Ungarische, Chinesische, Italienische und Tschechische übertragen.
Im Jahr 2004, als ich in den Ruhestand trat, habe ich begonnen, Bernhards Bücher zu übersetzen. Bis heute sind zehn Bücher von ihm in meiner Übersetzung in China erschienen: Ereignisse, Der Stimmenimitator, Beton, Ja, Wittgensteins Neffe, Alte Meister, Alte Meister (gezeichnet von Mahler), Der Hutmacher, Der Präsident, Die Macht der Gewohnheit, Heldenplatz, Meine Preise. Durchschnittlich übersetzte ich jedes Jahr ein Buch, das (im Sinne von Bernhards Diktum, nach dem eine Übersetzung stets eine von einem Auto bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Leiche sei), mit dem Original nichts mehr zu tun hat. Übersetzer – so Bernhard – seien was Furchtbares und machten lauter furchtbare Arbeit. Diese unerhörte Übertreibung verstehe ich so, dass das literarische Übersetzen furchtbar schwierig ist, wenn nicht überhaupt unmöglich, und dass Bernhard großes Mitleid mit den armen Übersetzern hatte, die für so grauenhaft schwierige Arbeit ein himmelschreiend niedriges Honorar erhalten, was auch hierzulande der Fall ist. Ich habe seine Bücher trotzdem übersetzt und übersetze sie weiterhin, weil ich sie für höchst interessant halte. In Bernhards Büchern werden grundlegende existenzielle Probleme verhandelt, es werden scheußliche Dummheiten der Menschen und die durch und durch verkommene Welt bloßgestellt– wobei der Autor ein hohes Maß an Humor und Witz, Wagemut und erhabener Schnoddrigkeit besitzt.
Bernhards eigenartige Erzählweise, seine oft wie ein Musikstück strukturierte spätere Prosa und die Musikalisierung der Sprache bereiten zwar einerseits dem Leser große Freude, die sich daraus ergebenden äußerst langen, sich teilweise wiederholenden Sätze von zwei bis drei Seiten Länge bereiten aber andererseits dem Übersetzer Schwierigkeiten. Ich habe einmal sogar drei Zeilen beim Übersetzen übersehen und weggelassen und konnte sie erst nach langem Suchen wiederfinden. Ich beneide die Übersetzer, deren zu übersetzender Text sich in übersichtliche Abschnitte einteilt und zum Beispiel kurze Dialoge enthält, was für den Übersetzer große Erleichterung bedeutet – kann er doch nach langem intensivem Denken endlich einmal aufatmen. In Bernhards Büchern gibt es so etwas leider nicht, man findet dafür aber große Freude an einzelnen Wörtern, z.B. stumpfsinnig. Dieses Wort etwa spielt in Bernhards Werk eine unersetzbar wichtige Rolle zur Darstellung der Ursache des Unglücks unserer Welt. Für den chinesischen Mund ist das Wort Stumpfsinn ganz schön anstrengend und unangenehm, weil sich unser Mund bei der Aussprache geradezu akrobatisch bewegen muss. Zur Abwechslung benutzt der Autor zwar oft noch ein anderes Wort, nämlich stupide, doch kann sich das Wort stumpfsinnig unsereinem körperlich wie geistig sehr tief einprägen.
Bernhards Texte sind, vor allem die spätere Prosa, mehrdeutig, menschenfreundlich und sauber, sehr geeignet als Diskussionsstoff für Unterricht und Seminar, ich habe da gute Erfahrungen mit meinen Studenten gemacht. Zweimal bin ich in der letzten Zeit zu Thomas Bernhard interviewt worden, die Gespräche erscheinen in Life Week (Beijing) bzw. in Die erste Tageszeitung für Finanz und Wirtschaft Shanghai, und sorgen hoffentlich dafür, dass sich immer mehr Leute in China für diesen Autor interessieren.
Ma Wentao, Thomas-Bernhard-Übersetzer ins Chinesische