Anlässlich des 85. Geburtstages von Thomas Bernhard haben wir einige Übersetzer zu ihren Erfahrungen mit den Texten Bernhards befragt. Wir erkundigten uns nach den Herausforderungen und Freuden bei der Arbeit am Text, fragten nach Lieblingsworten oder -sätzen im Werk Bernhards und nach der Eignung seiner Texte zum Deutschlernen. In vier Teilen präsentieren wir nun die Antworten der Übersetzer, die Bernhard ins Ungarische, Chinesische, Italienische und Tschechische übertragen.
Ich gestehe es: Als ich 1985 als Italiener nach Wien kam, um mein Studium der Germanistik fortzusetzen, war mir Thomas Bernhard wenig bekannt. Gelesen hatte ich nur einige kurze Erzählungen, freilich in italienischer Übersetzung, die mir zwar gefallen, mich aber nicht besonders beeindruckt hatten. Und plötzlich geriet ich in eine Stadt, in der Thomas Bernhard in aller Munde war! Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde für mich eine Auseinandersetzung mit seinem Werk notwendig. Ich las und las, mit Bleistift und Wörterbuch, in der Angst, dass meine Deutschkenntnisse für einen so komplexen Autor nicht ausreichen würden. Und je mehr ich mich in seine Prosa vertiefte, desto mehr liebte ich nicht nur seine wunderschöne, geometrisch gegliederte Sprache, sondern auch die Möglichkeiten, die ihm das Deutsche bot. Zum ersten Mal verstand ich, dass man den verwickelten deutschen Satzbau, den ich so mühsam gelernt hatte, spielerisch einsetzen konnte, und dass der Konjunktiv I keine Tortur für Deutsch Lehrende und Lernende, sondern die geniale Erfindung einer Welt aus luftigen Worten war. Kurzum: ich lernte Thomas Bernhard kennen und ich lernte Deutsch, d.h. eine Sprache, die in der Literatur meiner Zeit, und nicht nur in jener der Vergangenheit, frisch und lebendig wirkte. So wurde für mich 1986 ein Bernhard-Jahr. Da waren die Peymann-Aufführungen im Burg- und Akademietheater, die ich mit der Leidenschaft eines Eingeweihten einer Kultusgemeinde verfolgte und mehrmals besuchte; da erschien der Roman Auslöschung, den ich innerhalb einer Woche verschlang.
Die Beschäftigung mit Thomas Bernhard dauerte an, sprachlich, wissenschaftlich, geistig. Obwohl ich viel über sein Werk geschrieben habe, habe ich mich als Übersetzer nie an seine großen Prosabände gewagt, deren glänzende Wiedergabe ins Italienische ich bewundere. Nur zwei kleine Bücher habe ich übersetzt: die Ereignisse und In hora mortis. Dabei betrachte ich die erste Arbeit (die Übertragung dieser verschlüsselten, kompakten Miniaturen, welche Welten erschließen) als eine meiner Jugendsünden, die ich einmal in der Übersetzerhölle abbüßen werde. Anders steht es mit dem Gedichtzyklus, den ich vor vielen Jahren in einer kalten Osterwoche im Waldviertel ohne Laptop und Wörterbuch mit Bleistift in ein Heft übersetzte. Denn der Lyriker Thomas Bernhard wird wegen des langen Schattens seiner Prosa-Meisterwerke noch immer unterschätzt. Wer aber versucht, seine Verse wiederzugeben, der begegnet einer rhythmischen, bildreichen Sprache, die die Grundlage seiner Erzählungen und Romane darstellt; der wird mit jenem Spiel der Präfixe konfrontiert, das die Wirklichkeit zerlegt und wieder zusammensetzt. Welch phantastische Herausforderung, die Möglichkeiten der eigenen Sprache auf die Probe zu stellen! Und wenn diese Herausforderung, wie jede andere auf der Welt, naturgemäß zum Scheitern verurteilt ist, so bleibt sie dennoch für den Herausfordernden ein Grund, weiterzumachen!
Luigi Reitani, Thomas-Bernhard-Übersetzer ins Italienische