Daniel Acksteiner
Ich klopfte, obwohl mir mulmig war. Dann noch mal. Ein Summer ertönte, die Tür ging auf. Ich betrat den Raum. Er war so leer wie mein Kopf. Drinnen roch es nach Brathähnchen und Ketchup. Ein schäbiger, mannhoher Schrank stand zwischen den Fenstern, in der Mitte des Zimmers ein Stuhl. Eigentlich hatte ich gehofft, dass da so was wie ein Casting stattfinden würde, dass sich viele um den Job bewerben, sich förmlich drum reißen würden. Okay, die Welt zu retten, ist kein Kinderspiel, eben eine echte Herausforderung und endlich mal was anderes, als jahresbester Chef de Cuisine oder Next Topmodel oder Formel-1-Champion zu sein. Ehrlich gesagt, hoffte ich, dass es sich nicht um so eine TV-Show im Big-Brother-Format handelte. Erst wirst du in einen dunklen Container gesperrt, bis du fast wahnsinnig bist vor Angst und Halluzinationen, dabei schauen dir dann Millionen von Menschen über Nightshot-Modus zu, und dann verfolgen sie live, wie du dich und alles vergisst, dich da zum Affen machst und auszubrechen versuchst. Aber danach sah’s hier nicht aus. Es sah leider nach einem schlechten Witz aus, danach, dass sich jemand lustig über Leute wie mich machte. Doch dann kriegte ich Riesenschiss, ich meine, jemand hat mich ja reingelassen, jemand muss den Summer bedient haben, das hier könnte auch eine Falle sein. Ein kranker Psycho, so ein frustrierter Old Gringo, lockt Naivchen wie mich mit großspurigen Anzeigen in verwaiste Häuser, um ihnen mit einem Skalpell bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen. Mein Puls raste wie verrückt. Als ich mich gerade verdrücken wollte, öffnete jemand die Tür. Ein anscheinend Wahnsinniger im Gorillakostüm stand vor mir und glotzte mich an. Ich schwör’s, ich hab wie verrückt geschrien, und er hielt mir einen Pappbecher vor die Nase. Vor Angst hielt ich die Luft an, sonst hätte ich gleich gemerkt, dass da Kaffee drin war.
Er sagte. »Ouh? Du bist ja ain Frow?« Er kämpfte um eine deutliche Aussprache, klang aber ganz klar wie ein Amerikaner, allerdings wie ein junger. In der anderen Hand hielt er noch einen Becher. »Sorry, ich hab nur Koffie geholt.«
Ich kam langsam runter und nahm einen Schluck. Du glaubst gar nicht, wie behämmert ich mir vorkam. Auf Brusthöhe hatte er an seinem Fell ein Schild befestigt: Gibt es ohne den Gorilla Hoffnung für den Menschen? Was für ein kranker Psycho, hab ich gedacht. Ich weiß noch, ich stieß vor lauter Erleichterung einen Seufzer aus und kriegte sofort einen Lachkrampf, bis der falsche Gorilla endlich die Maske vom Kopf nahm. So ein Typ, vielleicht ein paar Jahre älter als ich, eine Mischung aus Vietnamese und Europäer kam zum Vorschein.
Emma Braslavsky: Leben ist keine Art, mit einem Tier umzugehen. Suhrkamp 2016
Julia Ketterer
Schließlich, als ich nicht mehr konnte, hielt ich mich für hinreichend vermummt. Ich ergriff noch einen großen Stab, den ich, soweit der Arm reichte, neben mir hergehen ließ, und schleppte so, nicht ohne Mühe, aber, wie mir vorkam, voller Würde, in das Fremdenzimmer hinein auf den Spiegel zu. Das war nun wirklich großartig, über alle Erwartung.
Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. insel taschenbuch, 1982
Doris Plöschberger
Wenn sie nicht in die Pedale trat, gab das Hinterrad ein leises frrrrr von sich. In manchen Augenblicken hörte sich das so an, als wäre ein anderes Fahrrad hinter ihr. Selbst wenn sie sich vornahm, nicht immer auf diese Illusion hereinzufallen, narrte sie das Geräusch, und sie wich zur Seite aus, damit das Geisterfahrrad sie überholen konnte. Aber nach einer Weile gewöhnte sie sich an das Phantom hinter ihr und gab ihm einen Namen, den ein zufällig am Radweg vorbeiziehendes Gebäude trug: TROCKENBAU STÖR. Eigentlich der perfekte Name für eine Punkband. Jetzt hieß ein unsichtbares Fahrrad so.
Halloween. Natalie erinnerte sich noch gut an eine Zeit ohne dieses Fest. Dann irgendwann hatten die Kinder angefangen, sich so wie amerikanische Kinder zu verhalten, und die Eltern mussten mitmachen. Bei ihr zuhause hatten sie das idiotische Fest nie gefeiert. Ihre Verkleidung war unpassend, ein einfacher Karateanzug mit schwarzem Gürtel. Im Souterrain hatte man ihr erzählt, Mario habe die Zettel schon vor längerer Zeit abgeholt. Seither keine Nachricht von ihm. Ich hätte mich als Mario verkleiden sollen, dachte sie. So wie Magier in Afrika sich als Regen verkleiden, um ihn anzulocken, um sich mit ihm zu vereinigen.
Clemens J. Setz: Die Stunde zwischen Frau und Gitarre. Suhrkamp, 2015
Dorothea Studthoff
The night Max wore his wolf suit and made mischief of one kind.
Maurice Sendak: Where the wild things are. Red Fox Books, 1963
Jacob Teich
Ich weiß nicht, ob es an diesem blinden Tasten gelegen hat, dass ich mich plötzlich an eine Szene aus unserer Schulzeit erinnerte, an einen Faschingsball in der Aula, zu dem alle Schüler verkleidet gekommen waren und wo es eine große, den ganzen Abend andauernde Schlacht gegeben hatte zwischen Cowboys und Indianern. Andere Kostüme hatte es an diesem Abend kaum gegeben.
Ich selbst war als Ninjaturtle gekommen, mit grüngeschminktem Gesicht und einem umständlichen Schildkrötenkostüm, in dem ich fast nicht ohne fremde Hilfe aufs Klo gehen konnte und sie, das fiel mir jetzt wieder ein, hatte sich als ein eher umständliches Konzept verkleidet – die Wiedervereinigung vielleicht oder das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Roman Ehrlich: Das kalte Jahr. DuMont Buchverlag, 2013.
Martina Wunderer
Ich war im Begriff, wieder in meine Hose zu steigen, als sich das rote Haar an meinen Schenkeln aufstellte. Milas Katze stürzte herein, sie war aufgebracht. […] Ich mutmaßte, daß mein Erscheinungsbild sie provozierte.
Ich stand in Unterhosen, die Katze jedoch ging voll bekleidet. Sie trug ein dunkelblaues Zorro-Cape.
Die Katze war daran gewöhnt, daß sie zu bestimmten Anlässen angezogen wurde. Ihre Vorgängerin hatte ich im Verlauf unserer Kindheit regelmäßig in Puppenkleidern und Karnevalskostümen gesehen. In abgemilderter Form setzte Mila diese Verkleidungsaktionen mit dem Folgetier fort. Sie probierte Stoffe, die sie zu verarbeiten plante, zunächst an der Katze aus. Etwas konsterniert, war diese zunächst immer versucht, den Stoff abzuschütteln, sie kratzte sich ausgiebig, vergaß dann die Sache. Manchmal spielte sie mit einem Flattergewand wie junge Kätzchen mit ihrem Schwanz. Test auf Reißfestigkeit, nannte Mila das, Bewegungsstudie, nannte sie es, sie wollte sehen, wie ein Stoff fiel, wie er anlag, wie er Falten warf, wenn der Körper in Aktion trat.
Jetzt knurrte die Katze, zerrte am Cape, knurrte mich an und versuchte den Umhang abzuzerren, sie schlug Krallen und Zähne hinein, strangulierte sich dabei, ließ es wieder bleiben.
Meine Schwester bügelte meine Schlafanzughose. Ihre Katze wälzte sich auf dem Boden, giftsprühend, Krallen zeigend, Mähne schüttelnd.
Im Grunde hatte ich mich vor diesem Tag gefürchtet. Ich hatte befürchtet, daß meine Schwester sich in einer Aufwallung von Schmerz das Haar ausreißen, sich verzweifelt die Kleider vom Leib fetzen könnte. Aber nur die Katze regte sich auf, sie wandelte wütend in ihrem Erdenkleid und fletschte die Zähne. Ich sei schuld, sagte mir die Katze, ich sei an allem schuld.
Man sagt, daß Tiere die Gefühle ihrer Halter übernehmen können, daß beispielsweise ein Hund, als Waffe verwendet, den Zorn seines Herrchens agiert, oder daß ein Kaninchen, apathisch und abgemagert, den unterdrückten Kummer seines Besitzers in Handlung umsetzt.
Beruhige dich, Rächercat, sagte ich streng zu der Katze, die in die Durchreiche sprang und sich dort auf die Lauer legte.
Marion Poschmann: Die Sonnenposition. Suhrkamp Verlag, 2013