Wer seid ihr?
Wir sind ULF. ULF ist das erste Festival des Vereins der Unabhängigen Lesereihen, das vom 12. bis 15. September 2019 im Z-Bau in Nürnberg stattfindet und hinter dem über 25 Lesereihen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz stecken.
Was uns zusammenhält, ist nicht eine einheitliche Ästhetik, sondern sind gemeinsame kulturpolitische Ziele und ein gemeinsamer Anspruch daran, wie zeitgenössische Literaturpräsentation aussehen kann. Wir wollen vernetzen, und wir vernetzen uns.
Im Namen des Verbunds sind bei ULF vor allem verantwortlich: Clara Kopfermann, Tristan Marquardt, Chris Möller, Tillmann Severin, Lara Sielmann, Frederik Skorzinski und Ayna Steigerwald.
Was wollt ihr?
ULF hat zwei große Ziele: next level zeitgenössische Literaturvermittlung und Sichtbarmachung unserer Arbeit. Dazu kommen zwei kulturpolitische Forderungen: eine bessere Förderung der freien Literaturszene und mehr Diversität im Literaturbetrieb.
Seit Jahren veranstalten die Lesereihen in verschiedenen Städten Lesungen, die wenig mit einer klassischen Wasserglas-Lesung zu tun haben: Wir bespielen Cafés, Kneipen, Kinos oder ganz andere Orte mit Gegenwartsliteratur – mit Autor*innen, die sich dezidiert mit Gesellschaft auseinandersetzen oder dezidiert für L’art pour l’art stehen. Wir stellen die Literatur einem breiteren und weniger homogenen Publikum zur Verfügung, bringen die Literatur dahin, wo sie hingehört und diskutiert werden soll – ohne Hochkultur-Hemmschwellen.
Gleichzeitig ermöglicht uns die Unabhängigkeit von Institutionen auch einen freieren Umgang mit Formaten. Wir können experimentieren, Literatur auf verschiedene Arten inszenieren und Facetten herausarbeiten – ohne den Druck bestimmter Auflagen. Dabei legen wir Schwerpunkte auf neue Lyrik, Prosa und Dramatik – und weit darüber hinaus: aufs Szenische, auf Bildende Kunst, auf Übersetzungen, auf Musik oder Performance.
Umgekehrt – und das ist das Zweite – bedeutet unsere Unabhängigkeit aber auch finanzielle Unsicherheit: Wir bekommen keine festen Gelder, müssen für einzelne Lesungen/Projekte/Reihen eigene Anträge schreiben, die zeitintensiv sind und keinesfalls garantieren, dass wir die Mittel auch bekommen. Dementsprechend bedeuten ULF und der Verein stärkere Sichtbarmachung unserer Arbeit innerhalb des Betriebs und darüber hinaus auch auf kulturpolitischer Ebene – bei den Menschen, die über Fördergelder entscheiden. Auf längere Sicht möchten wir eine gesicherte Förderung sowie verschiedene Förderprogramme und -töpfe für die freie Literaturszene etablieren, ähnlich wie es sie auch in der freien Theaterszene gibt.
Was bietet ihr?
Einen absoluten Rundumschlag zeitgenössischen Literatur-Kuratierens und einen tiefen Einblick in das, was aktuell geschrieben, verhandelt und publiziert wird – ein großes Panorama, das im Übrigen nicht nur aus der deutschen Sprache besteht, sondern aus vielen Sprachen, Kulturen und Nationen. Diese Heterogenität können wir abbilden, weil wir so viele sind – ein Verein aus Kurator*innen, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Themen arbeiten.
Neben dem Kernprogramm der Reihen zeichnet ULF ein sehr umfangreiches Rahmenprogramm aus, das den Fokus auf aktuelle Debatten und aktive (Nachwuchs-)Förderung legt. So haben wir zum Beispiel »handverlesen« mit dabei, ein Projekt zur Übersetzung von geschriebener Lyrik in Gebärdensprache und umgekehrt. Oder »Weiter Schreiben«, ein Tandemprojekt zwischen deutschen Autor*innen und Geflüchteten, die in Deutschland natürlich weiterhin schreiben und publiziert werden sollen. Lyrix, der Bundeswettbewerb für junge Lyrik, gibt Workshops auf dem Gelände, und auch diese jüngsten Texte werden dann auf einer Bühne präsentiert.
Wie wählt ihr aus? Autor vor Text, Text vor Autor?
ULF ist bottom-up. Sprich, wir sieben Festivalorganisator*innen haben den Lesereihen keine programmatischen Vorgaben gegeben, und deswegen können wir die Frage auch nicht im Namen der Reihen beantworten. Jede gestaltet ihre Lesung, wie sie möchte. Die Tatsache, dass für uns sieben das Line-up aber voller neuer Gesichter ist, freut uns sehr, gerade weil es bedeutet, dass sich nicht eine Szene oder blinder Autor*innenkult reproduziert.
Moralische, inhaltliche, formale Grenzen?
Wir stehen ganz klar für ein offenes Gesellschaftsbild, das sich gegen Rassismus, Sexismus und Diskriminierung wendet. Ansonsten sind wir grenzenlos: #ulfsindviele.
Inhalt oder Form?
Natürlich die Verzahnung von beidem. In unserem Selbstverständnis ist ein literarisches Event dann gelungen, wenn die Art und Weise, wie ein Text präsentiert wird, mit seinen Motiven und Themen in einen Dialog tritt und dadurch etwas Neues, Eigenes entsteht – eine Vermittlungsstrategie, die über das bloße »Lautlesen« eines Textes hinausgeht. Inszenierungen verstehen wir nicht als Beiwerk, die Jazzband nicht als Lückenfüller in der Pause. Selbst die Häppchen werden bei uns passend zum Coverdesign belegt.
Quoten bei der Textauswahl, Genres, Geschlechter, Themen?
In unserem Verbund gibt es eine sehr große Awareness, was die aktuellen Debatten, die dazugehörigen Wordings oder Quoten betrifft. Wenn man sich die Selbstbeschreibungen und Programme der Reihen anschaut, steht da meist eine Formulierung wie »etwas eine Bühne bieten, das sonst nicht so oft vorkommt«. Das kann eine Personengruppe, ein Genre oder ein Text sein, der nicht marktkonform ist.
Natürlich wäre es vermessen, zu behaupten, dass wir diese Ansprüche immer erfüllen können, dass man von heute auf morgen die Muster des ganzen Literaturbetriebs sprengt. Aber die Frage nach Quoten ist fester Teil von Redaktionssitzungen. Und diese Frage überflüssig zu machen, weil sich irgendwann hoffentlich eine andere Verteilung einstellt, ist erklärtes Ziel.
Wie finanziert ihr euch?
Wir haben verschiedene Förderungen bekommen, die größte von der Kulturstiftung des Bundes. Das freut uns ganz besonders, denn eine Förderung der KSB ist natürlich ein Ritterschlag. Ein Literaturprojekt der freien Szene in ULF-Größenordnung wurde bisher noch nicht gefördert, und wir hoffen, dass das ein Zeichen setzt, das auf die bisherige Unterförderung der meisten Reihen in den meisten Städten ausstrahlt.
Viele der Reihen haben über Jahre ohne Mittel ein qualitativ hochwertiges Programm gemacht – dafür gab es bisher vor allem Schulterklopfer.
Erst dadurch, dass wir auch selbst über faire Bezahlung für unsere kulturelle Arbeit nachgedacht und uns vernetzt haben, konnten wir auf größerer Ebenen agieren und gleich ein ganzes Netz an Co-Förderern gewinnen (ohne die ein Antrag bei der KSB gar nicht erst möglich gewesen wäre). Das sind: die Förderungen des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst, des Kulturreferats der Stadt Nürnberg, der Zumikon Stiftung, des Verlagshaus’ Berlin sowie des Bezirks Mittelfranken. Danke!
Welchem Autor, welcher Autorin würdet ihr eine Sonderausgabe widmen?
Allen Ulfs.
Wer sollte eure grafischen Erzeugnisse einmal illustrieren?
Am Look von ULF waren im Wesentlichen zwei Gestalterinnen beteiligt, die in Nürnberg – und hoffentlich bald weit darüber hinaus – als Studio Stulle ästhetische Konzepte aller Art machen. Grafik und Logo sind von Susanne Wohlfahrt und die Raumgestaltung auf dem Festivalgelände von Claudia Holzinger.
Was hätte Marcel Reich-Ranicki über eure Lesereihe gesagt?
Wir hoffen, er dreht sich ein bisschen im Grabe um, weil er die Party des Jahres verpasst.
Ist die Wahrheit oder die Lüge der Literatur immanent?
Ulf kann keine Truismen. Möp!
Und was habt ihr abonniert?
Das ganze Programm von unserer gedruckten Zwillingsschwester im Geiste: NULZ.
Was kommt als Nächstes?
Finanzielle Sicherheit und nachhaltige Förderung der freien Literaturszene, ganz klar.