Wer seid ihr?
Neulich hat jemand KOOKread die Mutter aller Lesereihen der freien Literaturszene Berlins genannt. So was stimmt natürlich immer nur aus historischen Perspektiven heraus. Und ist zu viel der Ehre. Anyway – um 2001 herum verspürten wir den Wunsch, tolle Texte unbekannter Autorinnen und Autoren an unkomplizierten Orten zu Gehör zu bringen. Wir hatten die Literaturabteilung des KOOK-Labels gerade erst aus der Taufe gehoben und nicht den leisesten Schimmer, wie sich unsere Ideen einer freieren Literaturvermittlung entwickeln würden. Alles war sehr spontan, gemeinsam, aus einem direkten Bedürfnis heraus, ohne Geschäftsabsichten.
Die damalige Redaktion – Jan Böttcher, Alexander Gumz, Karla Reimert, Uljana Wolf und Daniela Seel, die im selben Jahr mit Andreas Töpfer den kookbooks-Verlag gründete – war auf angenehme Art größenwahnsinnig sowie musik- und zugleich lyriklastig. Natürlich waren wir alle weit unter 30. Keine gute Mischung für den damaligen Veranstaltungskanon an Literaturhäusern. Schnell war klar, dass nur alle unsere angeblichen Schwächen zusammengenommen ein gutes Programm ergeben würden. Also: toller Text an Musik an Getränk an Endlosgespräch, alles unabhängig, ohne institutionelle Förderung und mit ordentlich Chuzpe. 2003 gaben wir auch unsere erste und bislang einzige Anthologie mit Text und Musik heraus. Das Allzeitmotto für Anthologie und Reihe stammte aus einem Gedicht von Alexander Gumz und lautet: wir müssen bis morgen reichen.
Dieses Versprechen an uns selbst haben wir eingelöst. Seit 2003 veranstaltet KOOK monatliche Lesungen an wechselnden Orten in der Stadt (derzeit im ACUD), aktuell mit Förderung durch das Land Berlin und einer erweiterten Redaktion, zu der außer den oben Genannten Josepha Conrad, Peter Dietze, Monika Rinck und Eric Schumacher gehören. Seit 2013 ist KOOK außerdem ein gemeinnütziger Verein, mit den weiteren Mitgliedern: Jutta Büchter, Bruno Franceschini, Lucy Fricke, Georg Leß, Mirko Lux, Aurélie Maurin, Friederike Scheffler, Katharina Schultens und Katja Zimmermann. Auf jeder KOOKread-Sitzung gibt es nach wie vor wilde Prosa-Lyrik-Gemische, textlastige Musik und ausreichend Luft für Gespräche. Und auch das hat sich nicht geändert: Wir freuen uns nach wie vor über jeden Text und besprechen jede Einsendung an uns in der Redaktion. Denn wir erinnern uns gut daran, wie es war, als »morgen« noch ziemlich weit weg war.
Was wollt ihr?
Eine Literatur, die sich frei von Marktgesetzen selbst entdecken darf. Dazu Engführung mit anderen Künsten – vor allem mit Musik –, die kein bloßes Nebeneinander bleibt. Sondern Gespräche – in, mit und nach der Kunst.
Was bietet ihr?
Text und Sound. Low-Fi und High-End. Sperriges, Kluges, Witziges. Entdeckungen. Kleine und größere Stars, Seite an Seite mit den Stars von morgen. Und natürlich das beste Publikum der Welt.
Wie wählt ihr aus? Autor vor Text, Text vor Autor?
Ganz simpel: Quality rules.
Moralische, inhaltliche, formale Grenzen?
Nichts, was zünftige Weltbürger*innen schocken könnte.
Inhalt oder Form?
Ach, einfach angenehm untrennbar verzahnt.
Quoten bei der Textauswahl, Genres, Geschlechter, Themen?
Und ob: mehr Auswahl, mehr Genres, mehr Geschlechter, mehr Themen. Und auch mehr Sprachen. Aber ja: reine Männerabende kommen nicht in die Tüte.
Wie finanziert ihr euch?
Bis 2015 durch pure Selbstausbeutung, Quer- und Sub-Sub-Subfinanzierung. Minimales Spendenaufkommen. Fünf Brote und zwei Fische. Dazu durch das unermessliche Wohlwollen und den wahnwitzigen Einsatz zahlloser Autorinnen und Autoren, Musikerinnen und Musiker, Fotografinnen und Fotografen. Aus lauter Dankbarkeit würden wir am liebsten schon wieder mit allen feiern und sie danach in vollklimatisierten Bussen nach Hause fahren lassen. Das war jetzt aus einem Song von KOOK-Mitgründer Jan Böttcher, aber damit hat er unser Gefühl gegenüber allen Menschen, die das nahe und weite Netzwerk von KOOK bilden, mal wieder voll auf den Punkt gebracht.
Welchem Autor, welcher Autorin würdet ihr eine Sonderausgabe widmen?
Howard Katz aus Brooklyn, dem legendären Ur-Gründer des KOOK-Labels, und seiner Band Post Holocaust Pop. Ihre Bandcamp-Seite dichtet dazu: »php, seit 1998, echte berliner Kunstszeneband. Rare, aber grossartige Konzerte. Absurde Poesie, Tanzeinlagen und feinsinniges Stilgemetzel.« Allein die kongenial-anarchische Verbindung von Gesang und Tanz (Howard), Cello und Casio (Matthias Herrmann) sowie Schlagzeug und Blockflöte (Ansgar Tappert), gemeinsam mit Felix Zoepf (Gitarre und Bass) lässt ahnen, was Berlin viel zu oft entgeht. Der Name KOOK stammt übrigens von Howard, referiert auf »kooks« und bedeutet »Spinner« – im besten Sinne.
Wer sollte eure grafischen Erzeugnisse einmal illustrieren?
Wie, sollte? Niemand. Das tut seit KOOK-Beginn schon der geniale Andreas Töpfer. Nicht nur seine kookbooks-Gestaltungen wurden mehrfach preisgekrönt. Töpfer ist und bleibt der allerdenkendste unter den Literatur-Grafikern – einer, der jeden noch so vermeintlich kryptischen Lyrikband, den er gestaltet, vorher auch studiert hat.
Was hätte Marcel Reich-Ranicki über eure Lesereihe gesagt?
Schön, dass dieser schräge New Yorker Jude an allem schuld ist!
Ist die Wahrheit oder die Lüge der Literatur immanent?
Ach, es dauert eine Weile, bis man etwas schreiben kann, was man nicht am nächsten Tag gleich wieder als Lüge zerreißen will. Wenn man den Dreh dann raus hat, spielt die Frage merkwürdigerweise keine Rolle mehr.
Und was habt ihr abonniert?
Außerirdische Podcasts. Unsichtbare Enzyklopädien, in monatlicher Folge. Modemagazine für Schlittenhunde.
Was kommt als Nächstes?
Vor dem Sommer haben wir mit einer KOOK-Redaktionslesung unseren 18. Geburtstag gefeiert. Susie Asado hat uns dazu extra ein Geburtstagslied geschrieben, das war wunderbar. Ab dem 12. September (20 Uhr, mit Luise Boege, Max Czollek, Sabine Scho und Albertine Sarges & The Sticky Fingers) laden wir erneut monatlich zu großartigen Lesungen mit Musik ins ACUD ein. Außerdem gibt es vom 24. bis 26. September in der Lettrétage, dem DOCK11 und ausland berlin bei KOOK.MONO. 12 Autor*innen mit 12 Stücken zu erleben: neue, performative Formate für literarische Texte. Im August 2019 bringen wir zum zweiten Mal mit unserem kleinen Festival »Wortgarten« tolle Literatur und Musik in die nördliche Uckermark. Und spätestens in drei Jahren feiern wir wieder, dass wir bis morgen gereicht haben.