Kaum eine Figur steht so singulär zwischen den Epochen wie der große »Ungleichzeitige« Jacob Böhme (1575-1624). Während Galilei, Francis Bacon und Descartes die modernen Naturwissenschaften und den Rationalismus begründeten, schuf der Schuhmacher aus Görlitz ein Hauptwerk der christlichen Theosophie, das die Philosophen des Deutschen Idealismus sowie Romantiker wie Novalis tief beeinflusste und das bis heute fasziniert.
Hermann Hesse schrieb über Böhme, die Lektüre seiner Texte erfordere »ein vorübergehendes ›Leerwerden‹, eine völlig freie Aufmerksamkeit und Seelenstille«. Der Aufgabe, diese Haltung zu erzeugen, stellt sich das Team um Ronald Steckel im Film Morgenröte im Aufgang – Hommage à Jacob Böhme, in dem die Ideen und die bildgewaltige Sprache des »ersten deutschen Philosophen« (Hegel) die Hauptrolle spielen.
Für das Logbuch sprach Johannes Ullmaier mit Ronald Steckel.
Im Booklet schreiben Sie, der Film sei das Ergebnis einer langen Pilgerfahrt? Wie und wohin verlief sie? Welche Vorgeschichte(n) gab es?
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In welcher personellen Konstellation und an welchen Orten ist der Film entstanden? Im Gegensatz zum hierarchisch strukturierten Standard der Filmproduktion wurde Morgenröte im Aufgang ja von vier mehr oder weniger gleichberechtigten Partnern realisiert. Offenkundig gab es dabei auch eine Art Pendelbewegung nach Görlitz hin, wieder von Görlitz weg und schließlich wieder hin.
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Unter welchen Produktionsbedingungen wurde der Film gedreht?
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Wie sah die weitere Arbeit aus?
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Ein Grundproblem bei der intersubjektiven Vermittlung mystischer Erfahrung besteht bekanntlich darin, dass diese sich dafür auf irgendeine Weise in der Realwelt manifestieren muss, in einem Medium, einer Sprache. Böhme ist dabei mit Blick auf die vorangegangene Tradition insofern zusätzlich herausgehoben, als er seine Offenbarungen noch mehr als andere, etwa ›klassische‹ Propheten (wie der von der Schau der apokalyptischen Offenbarung heimgesuchte biblische Johannes von Patmos) als reine Innenschau ausweist, als Auffindung der Wahrheit rein in sich selbst – worin sich unter anderem der neue, neuzeitliche Mut manifestiert, nicht als Gebildeter zu sprechen, sondern als Einzelindividuum das Wort zu ergreifen. Aber umso mehr scheinen Böhmes Offenbarungsinhalte zunächst ganz an seine Person bzw. – für uns, die wir ihr nicht mehr direkt begegnen können – an deren Sprache als Übersetzungsmedium gebunden. Und diese Übersetzung muss jetzt noch einmal ins Medium Film übersetzt werden. Unter den vielen Möglichkeiten, diese Übersetzung zu konzipieren, entscheidet sich Ihr Film konsequent dafür, Böhme möglichst außerzeitlich, also weder im historischen Kostüm noch in seiner historischen Situation darzustellen, sondern stattdessen Plätze aufzusuchen, die keinen sichtbaren Epochenindex haben, quasi ›noch nicht beschriftete Natur‹ sind. Warum?
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Wie denken Sie über andere, auf den ersten Blick vielleicht auch naheliegende Möglichkeiten der filmischen Umsetzung?
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Die Entscheidung, von Böhmes Wort, d. h. konkret vom rezitierten Text auszugehen, zieht nach sich, dass man Böhme in Ihrem Film durchweg bei der Schau, d. h. im kontemplativen Modus, oder beim ›Beschriften der Natur‹ sieht – und dazu seine Texte aus dem Off hört. Ein anderer Ansatz wäre gewesen, die Schau selbst zu bebildern. Zumal es bei Böhme ja eine Vielzahl fantastischer Bilder gibt, die geradezu dazu einzuladen scheinen, ihnen filmisch nahekommen zu wollen. Wurde das erwogen?
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Liest man die Morgenröte insgesamt, muss auffallen, dass der Film bei aller philologischen Sorgfalt bestimmte Aspekte Böhmes – etwa das Selbstbewusste, das Anti-Scholastische, das ›Moderne‹, Dynamische, Prä-Dialektische, das prozesshafte Begreifen – besonders hervorhebt, während andere, im Text genauso gewichtige, nämlich die post-mittelalterlichen Seiten, also das Finstere, Luziferische, die »Grimmigkeit« der und in der Welt, tendenziell ausgespart sind. Zudem bietet Böhme als Autor der frühen Neuzeit auf ›gut Teutsch‹ ja auch viel Derbes, teils lutherisch Polterndes. War der weitgehende Verzicht darauf eher eine pragmatische Entscheidung oder repräsentiert er eine inhaltliche Deutung Böhmes?
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Anhänger einer gnostisch-manichäistischen Böhme-Deutung könnten monieren, dessen ›harte‹ Seite käme im Film zu kurz.
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In Böhmes Rezeptionsgeschichte gab es zum einen die hehre Linie honoriger Fans: Lichtenberg, Schelling, Hegel, Novalis, Hesse. Daneben gab es aber auch diesen deutschen Sonderweg der Mystik, der sich mehr und mehr zur Deutschtümelei verselbstständigt hat, gipfelnd in der Böhme-Renaissance während der Nazi-Zeit. Die damit verbundene Gefahr wird im Booklet eingehend reflektiert. Welche Konsequenzen hatte die damit verbundene Vorsicht für den Film?
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Böhme steht geistesgeschichtlich notorisch im Verdacht, ein Pantheist zu sein. Wie denken Sie darüber?
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Die Frage der Einflussgenese, also danach, was Böhme kannte, was er gelesen, möglicherweise auch mittelbar zur Kenntnis genommen hat, ist ja in vielem bis heute ungeklärt. Wie sehen Sie zum Beispiel das vieldiskutierte mögliche Verhältnis Böhmes zur jüdischen Mystik?
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Wie die meisten geistesgeschichtlichen Traditionen ist die kanonische Mystik eine mehrheitlich männliche Angelegenheit. Welche Rolle spielen weibliche Seiten bei Böhme?
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Bei Böhme heißt es so schön: »Der Mensch ist inwendig unendlich«, das Logbuch ist im Gegensatz dazu leider inwendig endlich und deswegen: Vielen Dank, Ronald Steckel!
Anlässlich der Verleihung des Deutschen FILMGEIST Preises 2016 wird der Film Morgenröte im Aufgang – Hommage à Jacob Böhme am heutigen Montagabend, den 10. Oktober 2016 um 19:30 Uhr im Babylon Kino, Rosa-Luxemburg-Straße 30 gezeigt.
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