PROSANOVA ist ein Festival für junge Literatur, das seit seiner Gründung 2005 alle drei Jahre in Hildesheim stattfindet. Veranstaltet wird es von den HerausgeberInnen der BELLA triste, Unterstützung bei der Planung und Durchführung erhalten sie von Studierenden des Fachbereichs 2 der Universität Hildesheim. PROSANOVA | 17 stellt die Frage nach »MATERIAL, PROZESS und PROTOKOLLEN«. In diesem Sinne geben hier Paul Brodowsky, der das Festival 2005 ins Leben rief, Jacob Teich, der 2011 und 2014 als Redaktionsmitglied von Litradio für die Dokumentation und das Begleitprogramm des Festivals verantwortlich war, Martina Wunderer, die das Festival noch nie besucht hat, Andreas Thamm, der 2011 Teil des Festivalteams war, und Juli Zucker, 2011 ebenfalls Teammitglied und 2014 Teil der künstlerischen Leitung, Einblick in ihre ganz persönlichen Eindrücke des diesjährigen PROSANOVA. Ein Chat-Protokoll und ein dialogisches Festival-Journal.
Martina, 03:32, Außenbereich
»… dass leo nicht da ist und dass die boxen übersteuern.«
Andreas, 04:56, Ostertor
Es ist so hell. Wie soll ein Mensch schlafen, wenn es so hell ist? Ein junger Mann hört Metallica auf seinen Handyboxen. Wo sind die Papes? Der Weg ist so weit, so fucking weit.
Jacob, 11:24, Außenbereich
Die Stimmung positiv gedämpft, Kaffee-lastig in praller Sonne. Hinter dem Aldi läuft Singer/Songwriter-Musik, die auf die Wiese herüberweht. Dann ein Jubeln und Applaudieren aus der Eisenhalle. Am klaren Himmel drei Fallschirmspringer. – Guten Morgen Hildesheim, guten Morgen Prosanova.
Martina, 11:51, Hotel
ich habe einen ohrwurm. »es ist sommer in wien und nicht stalingrad …« gustav
Paul, 11:59, Steuerwalder Straße
Falls ihr beim Kassenhäuschen vorbeikommen solltet: Könnt ihr ein Ticket für mich bei TAXI mit Shida Bazyar reservieren? Am liebsten für 13:30 oder so, zur Not auch danach/davor …
Paul, 12:00, Steuerwalder Straße
Es folgt demnächst ein längerer Bericht von gestern Nacht, davor noch 1 Mütze Schlaf.
Martina, 12:01, Bahnhof
paul, mach ich und will dich gern begleiten. schlaf schön.
Jacob, 12:08, ALDI
»Es gibt keine Bühne, ich fühl mich unwohl.« – Man darf/soll/kann sich frei im Raum bewegen, da, wo vor wenigen Stunden noch getanzt wurde …
Martina, 12:09, Kassenhäuschen
wir kommen nicht mehr ins taxi.
Jacob, 12:09, ALDI
… der Boden noch klebrig.
Jacob, 12:33, ALDI
Andreas, 12:37, Goschenstraße
Hatte gestern übrigens eine Zecke im Rücken, die mir von einem Team zweier Nicht-Ärztinnen plus Benjamin Quaderer als Beleuchter operativ entfernt wurde. Ich empfahl der Festivalleitung, das Gelände wegen der Bedrohungssituation zu räumen.
Andreas, 12:40, Goschenstraße
Später wurde mir staunend bewusst, dass kein Mensch jemals den Dancefloor mehr liebte als Paul Brodowsky. Nikolas Hoppe, künstlerische Leitung 2011, fragte mich, wie man denn aus diesem Prosanova wieder rauskäme. »Niemals«, sagte ich, und Niko lachte ängstlich.
Paul, 12:43, Steuerwalder Straße
Das gestern war, glaube ich, meine beste Prosanova-Party ever. Drei großartige DJs, vor allem DJ Lenki Balboa zwischen 24h und 3h war das reine Glücksversprechen, Riesenmasse von tanzenden jungen Menschen im Aldi, Lächeln auf den Gesichtern allenthalben, die Beats treiben uns, die Freude, das gemeinsam zu erleben, Inseln der Euphorie bei dauerndem Erkennen von glücklichen Gesichtern.
Martina, 12:43, Dieselhalle
ach, marie gamillscheg und eva herunter. das war schön. sehr.
Paul, 12:46, Steuerwalder Straße
… und plötzlich wird mir klar, dass das Flowerlebniss beim Tanzen (gestern/immer, wenn es sich einstellt (= selten), dieses ›Bass. Bass. Bass.‹ oder ›Jetzt. Jetzt. Jetzt.‹ (frei nach R. Goetz Rave), eigentlich das Gleiche ist, die gleichen Endorphine freisetzt wie das (seltene) Flowerlebnis beim Schreiben, Freitagnachmittag im Sencharausch, ›Satz. Satz. Satz.‹, und dann natürlich in diesem Moment, eben gerade jetzt auf der Tanzfläche, der Gedanke, dass Goetz genau diesen Textflowrausch, der den Tanzflowrausch doppelt, auch beim Schreiben von Rave (ca. 1997) gehabt haben muss, als er »Bass. Bass. Bass.« in seinen Computer hackte.
Paul, 12:51, Steuerwalder Straße
Nebenbemerkung – Juli Zucker mag ihre Musik »gut laut« (R. Neumeister), was man daran merkt, dass sie immer vor den Boxen tanzt, und Florian Kessler führt immer stille Gespräche mit seinen Händen, wenn er tanzt, und Clara Ehrenwert mit Cha-Cha-Cha-Moves.
Paul, 12:58, Steuerwalder Straße
Das entspannt feministische DJ-Line-up. Auch das trägt zur Euphorie bei (nur leider verpasse ich den Moment zu fotografieren, in dem sie alle drei megalässig hinter dem Pult stehen). Und Helene Bukowski, »sie tanzt einfach ikonisch« (M. Kames über H. Bukowski am Donnerstag), die, als ich ihr beim Holen der nächsten Gin Tonics sage, wie glücklich mich die Party macht, sagt mit kleinem Lächeln und in die Luft gereckter Hand: »Und ich hab das Booking gemacht!«
Martina, 13:04, Außenbereich
Paul, 13:06, Steuerwalder Straße
Später, nach dem Ende der Party drinnen, hängen wir zu elft draußen neben dem Aldi, Victor, Lena, Karl, Stefan, Shida, Clara, Kies und Bierzeltgarnitur, letzte Biere vor uns auf dem Tisch, Kichern, Fröhlichkeit, der Plan durchzumachen, wir legen Lenas Handy auf den Tisch und machen via Spotify Musik an, Lenas weiße, privilegierte Fingerkuppe muss für jeden Song das Handy entsperren, Lana Del Rey, Summertime Sadness/Video Games, schließlich Born to Die, während uns die handbreit über den Bäumen stehende Sonne zart in den Rücken steigt.
Paul, 13:07, Steuerwalder Straße
… sorry fürs Monologisieren, aber das musste einfach raus.
Martina, 13:08, Außenbereich
ach, paul.
Juli, 13:11, Bett
süß! ich wollte mir eigentlich nur nen kleinen snack besorgen (1 schokocroissant, 20 liter capri sonne), bin aber leider unter einem baum eingeschlafen. hi!
Paul, 13:11, Steuerwalder Straße
Kurz zu Café Engelke am Bhf., Käse-Ei-Brötchen kaufen.
Jacob, 14:14, Rasselmania
»So lange recherchieren, bis man sich frei genug fühlt, zu erfinden.« – Svealena Kutschke über die sogenannte Wahrheit (oder Wahrhaftigkeit?) in der Literatur.
Martina, 14:15, Rasselmania
svenja leiber zitiert adorno: »kunst ist magie, befreit von der lüge, wahrheit zu sein.«
Jacob, 14:21, Rasselmania
Und Sascha Macht hält’s von vornherein mit der Lüge …
Martina, 14:22, Rasselmania
… der lüge und der wahrhaftigkeit.
Jacob, 14:23, Rasselmania
»Ich sehe zwar aus, als ob ich schwitze, aber ich recherchiere.« Sascha Macht
Jacob, 14:28, Rasselmania
Die Kohärenz der Literatur führe automatisch zur Lüge, so S. Kutschke (und J. Teich wieder: »Ja, ja, ja!«).
Martina, 14:28, Rasselmania
svealena kutschke holt nach, was die diskussion gestern zu autofiktion ausließ.
Andeas, 15:07, Hauptbahnhof
Prosanova strahlt rüber. Die Menschen sind seltsam fröhlich. Knusprige Ente mit Juli. Sie führt ihre sämtlichen Besitztümer in einer Tasche mit sich.
Paul, 15:13, Außenbereich
Ich alge [= ich unterwasserphotosynthetisiere]. (Frei nach M. Kames)
Paul, 15:20, Außenbereich
Ist jemand bei Laura Naumann vor der Tür?
Martina, 15:23, Vor dem ALDI
alle bei maren.
Paul, 15:26, Außenbereich
Alles klar. Viel Spaß, ist super!
Martina, 15:26, Vor dem ALDI
also ich finde prosanova »nicht ein bisschen toll, sondern toll.« (rené pollesch)
Paul, 15:36, Dieselhalle
Einlasssituation und Intro zu Laura Naumanns Ich warte schon seit drei Fantas auf meinen Auftritt. Dazu läuft That’s Not My Name von The Ting Tings. Hat mich schon gekriegt.
Martina, 15:39, ALDI
auch bei maren »autopoetische ohrwürmer«.
Paul, 15:44, Dieselhalle
Hier wird an Hamlet der Bechdel-Test gemacht. Gertrud: »Seit 1603, Ophelia, unterhalten wir uns über nichts anderes als Hamlet! … Aber: Was denkst du eigentlich über den Krieg, Ophelia? Oder über Bleaching?«
Martina, 15:45, ALDI
»ob man am ende mit text beladen hier rauskommt. oder einfach nur zerzaust.«
Martina, 16:02, ALDI
ich bin gerade sehr glücklich. herzquetschend. danke maren.
Andreas, 16:04, ALDI
Stefan Vidovic will einen Toast auf die Spiritualität um uns herum erheben. Ist allerdings nicht mehr zurechnungsfähig. Zeit, den Absprung zu finden. Vier Stunden Autofahrt vor der Schnauze.
Martina, 16:18, ALDI
kennt ihr das, wenn etwas so schön ist, dass einem die tränen kommen?
Paul, 16:30, Auf dem Weg zum Festival-Zentrum
Ja. Gerade eben zum Beispiel.
Andreas, 16:43, Auto
Das war’s. Wie Clara Ehrenwert hätte man es machen sollen, morgen freinehmen. Hat man nicht. Eine Runde über das Gelände, Tschau sagen, kurz mit einem Baby abhängen, großen Katerquatsch reden. Auch ein schöner Festivaltag. Danke Prosanova und danke Suhrkamp. Tschau Leute, bis in drei Jahren.
Jacob, 16:56, Außenbereich
Angefüllt, erfüllt, gerührt aus Marens Entschuldige mal, ich denke, das wird jetzt eine Weile driften* entlassen, könnte ich mir keinen schöneren Abschluss vorstellen. (Der Zug geht in zweieinhalb Stunden – lasst mich so lang auf der Wiese sitzen …)
An euch, an alle: Danke!
Martina, 17:20, Auf dem Heimweg
Paul, 20:45, Eisenhalle
Die Künstlerische Leitung 2017. Helene Bukowski sagt: »Das ist jetzt die letzte Veranstaltung von PROSANOVA 2017 … Ich hoffe, dass ihr nicht in ein allzu tiefes Post-Prosanova-Loch fallt. Ich werde auf jeden Fall in ein ziemlich tiefes Loch fallen, aber das ist in Ordnung.« Das Bedanken beim Team durch die jeweiligen Künstlerischen Leitungen ist immer schon der emotionalste Moment aller Prosanovas. Prosanova ist nicht zu denken ohne Kollektiv-Spirit. Und die Zuschauerinnen bilden für 4 Tage ebenfalls ein an den Rändern ausfransendes Kollektiv auf Zeit. Dazwischen das Kollektiv der Künstlerinnen, die einerseits eng mit der Künstlerischen Leitung und dem Team in Kontakt sind, andererseits selbst zu Zuschauerinnen werden und so nach ihren Veranstaltungen sehr entspannt zugänglich sind für alle anderen Zuschauerinnen (vgl. im Gegensatz dazu die 30-Sekunden-Begegnungen (samt Kotau) beim Signierritual bei der klassischen, sagen wir: Literaturhaus-Lesung …), was das angelaugt porenoffene Rezipieren (ab Tag 2) auch zu einem großen Gemeinschaftsding werden lässt.
#crewlove #andoncemoretearsinmyeyeswhileheleneisspeakingandalmostcryingherself
Juli, 23:36, Prosanova-Bus Richtung Berlin
sehr geehrte damen und herren, ich darf mich wieder in den ruhestand verabschieden. sobald man es endlich geschafft hat, allen hallo zu sagen, muss man schon wieder ciao sagen. friends, jokes, sonnenschein. alles köstlich also. was schlecht beim festival war: ich durfte nie herausfinden, wer in der freundschaft von victor kümel und clara ehrenwerth höflicher oder alberner ist. »voll schön«, sagen alle über alles mögliche. dass dieser chat nun enden muss. menschen produzieren müll. was klasse war: rike scheffler, keine frage. zehn stunden geballte freundschaft mit juan guse. shida bazyar hat sich auf dem heimweg über runtergefallene fernbedienungen kaputtgelacht. neue friends, alte friends. wörter, die ich eher schlecht finde: veranstaltung, event, sich einlassen. die busfahrt ist klasse. tim holland hat snake gespielt. kabeljau & dorsch führen intime gespräche auf der rückbank. fabian thomas und ich hören musik. jemand von litradio checkt seine aufnahme. beste erschöpfte stimmung. jetzt ZOB. endlich! dann dusche, dann schlaf. danke für die aufmerksamkeit, take it easy, ciao leute, also dann!