PROSANOVA ist ein Festival für junge Literatur, das seit seiner Gründung 2005 alle drei Jahre in Hildesheim stattfindet. Veranstaltet wird es von den HerausgeberInnen der BELLA triste, Unterstützung bei der Planung und Durchführung erhalten sie von Studierenden des Fachbereichs 2 der Universität Hildesheim. PROSANOVA | 17 stellt die Frage nach »MATERIAL, PROZESS und PROTOKOLLEN«. In diesem Sinne geben hier Paul Brodowsky, der das Festival 2005 ins Leben rief, Jacob Teich, der 2011 und 2014 als Redaktionsmitglied von Litradio für die Dokumentation und das Begleitprogramm des Festivals verantwortlich war, und Martina Wunderer, die das Festival noch nie besucht hat, Einblick in ihre ganz persönlichen Eindrücke des diesjährigen PROSANOVA. Ein Chat-Protokoll und ein dialogisches Festival-Journal.
Jacob, 10:06, Eisenhalle (Hildesheim)
Das Frühstücksfernsehen verspricht gute Gespräche. Ein erster Geheimtipp?
Martina, 10:12, ICE (Berlin – Interlaken)
die schlagzeilen – schlaflos in new york: wer röstet den stärksten kaffee? comey wirft trump-regierung »lügen« vor. buße für hundefutter. ezb-chef draghi deutet kurswechsel bei zinsen an.
Jacob, 10:18, Eisenhalle (Hildesheim)
Das Gefühl, zu scheitern, »bei jedem einzelnen Absatz des Buchs«.
Jacob, 11:13, Dieselhalle (Hildesheim)
»Wenn es eine Form gibt, die jemanden ausschließt, dann ist diese Form nicht schön, sondern hässlich.« Lann Hornscheidt
Jacob, 11:20, Dieselhalle (Hildesheim)
»Zunächst finde ich poly immer besser als mono …«
Paul, 11:20, Steuerwalder Straße (Hildesheim)
Noch im Kater (nicht Holzig, nicht Blau, der andere) – gestern dann doch noch auf DJ LOVE (what a name) gewartet und dafür zwischen vier und sechs die erste tolle Partystrecke des Festivals erleben dürfen.
Jacob, 11:23, Dieselhalle (Hildesheim)
»Formen, wo man nicht mehr sagen darf« – hier eine wirklich tolle Gesprächsstrecke.
Jacob, 11:46, Dieselhalle (Hildesheim)
Wow! (Nur, dass wir uns nicht missverstehen: Keine Ironie meinerseits – das Gespräch ist richtig gut.)
Paul, 11:50, Steuerwalder Straße (Hildesheim)
… Hände in der Luft, hohe Levels von excitement überall, dankbare Gesichter, während hinter den mit Goldfolie abgeklebten Fenstern der ALDI-Halle langsam die Sonne aufgeht.
Paul, 11:54, Steuerwalder Straße (Hildesheim)
Hier um die Ecke bei Caravaning-Center Lauth habe ich vor 16 Jahren zum ersten Mal in meinem Leben einen Walzenschleifer ausgeliehen, um meine Dielen selbst abzuziehen. Ein bisschen schleift’s auch jetzt noch im Kopf, aber das wird schon.
Martina, 12:00, ICE (Braunschweig)
jacob, wer spricht denn? (goldfolie, walzenschleifer – schön)
Jacob, 12:03, Dieselhalle (Hildesheim)
Die Überschrift (oder Zusammenfassung) könnte auch lauten: Die lebenslange Herausforderung des Sprachgebrauchs und der Sprachveränderung – Margarete Stokowski, Lann Hornscheidt, Roman Ehrlich und Guido Graf.
Jacob, 12:07, Dieselhalle (Hildesheim)
Bei jedem zweiten Satz denke ich: »Ja, ja, ja!«
Martina, 12:16, ICE (zwischen Braunschweig und Hildesheim)
ich habe einen ohrwurm: walzenschleifer, walzenschleifer … clemens setz empfiehlt als ohrwurm-cleaner das hören aufgezeichneter kaugeräusche. ich hab noch einen apfel in der tasche.
Martina, 13:18, Rudolf-Diesel-Straße (Hildesheim)
gerade freundschaft mit einer siebenjährigen geschlossen. sie hat mir beim überqueren der straße geholfen und mir von ihrem schultag erzählt. jetzt ist sie links abgebogen und ich rechts und bin angekommen.
Martina, 13:19, Vor der Eisenhalle (Hildesheim)
Paul, 13:50, Rasselmania (Hildesheim)
Auch hier wieder doppelte Liveness. (Zuschauen, wie Text entsteht vor unseren Augen (Sackgassen, Zwischenhänger inklusive), hier noch dadurch forciert, dass 2 Performer die entstehenden Texte laut lesen, entsprechend dem Schreibtempo stockend, zögernd korrigierend (= Ästhetik der spontanen Bedächtigkeit)).
Martina, 13:52, Rasselmania (Hildesheim)
»oder vielleicht doch schnell heiraten? weil dann ist das gerahmt. und ich liebe rahmen.«
Paul, 13:55, Rasselmania (Hildesheim)
Und auch hier wieder die Verbindung von »Gehirn« und maritimen Lebewesen, »Quallen«, wie bei Kames gestern (da waren es »Gehirn« und »Algen«).
Paul, 14:14, Eisenhalle (Hildesheim)
Nikolas Hoppe sagt: »Bin gerade erst gekommen. Das ist krass, weil ich das Gefühl habe, ich kenne alles und kenne alles nicht. Ich kenne ganz viele Leute und viele nicht. Und auch das Festivalzentrum kommt mir irgendwie bekannt vor, dabei laufe ich hier gerade frisch rum. Natürlich auch weil man die Bilder gesehen hat im Vorfeld. Aber auch: Das überzeichnet sich irgendwie, die Festivalzentren in der Vergangenheit sind hier irgendwie mit anwesend.« Vielleicht gibt es jetzt beim 5. Prosanova so was wie eine Prosanovafestivalzentrumsästhetik.
Paul, 14:25, Infokiosk (Hildesheim)
Gleich noch ein Bild hinterher zur PN-Festivalästhetik.
Paul, 14:59, ALDI-Parkplatz (Hildesheim)
Laura Vogt liest aus ihrem Roman So einfach war es also zu gehen. Meine erste richtige Entdeckung des Festivals! Ich bin begeistert! Ihr leicht Schwyzerdütsch eingefärbtes Hochdeutsch hat was von Mooskissen, Fuchsschädeln, Gneis und einer kernausgebrannten, »von innen noch glosenden« Esche. Ich muss an einen großartigen Essay von Peter Weber denken (BELLA triste Nummer sechs, Sonderausgabe zur Schweizer Literatur), in dem er von der Vertikalität des Schwyzerdütsch schreibt, das sich in der hochdeutschen Schriftsprache (Horizontale der norddeutschen Tiefebene, die mit dem ICE durchfahren wird) aufgehoben wiederfindet. Die bedächtige Schweizer Sinnlichkeit.
Jacob, 15:11, Eisenhalle (Hildesheim)
Flucht vor dem Regen unter das Prasseln des Wellblechdachs, dazu ein Streichquartett.
Martina, 15:31, ALDI (Hildesheim)
in der aldi-halle, wohin wir vor dem regen geflüchtet sind, ist der raum beengter und die akustik eine andere als draußen auf dem parkplatz. die stimmen der lesenden vermischen sich, schweizerisch, österreichisch, norddeutsch, plattdeutsch, wortfetzen, satzfetzen aus sechs verschiedenen texten. stört aber nicht. im gegenteil. und die deko ist super.
Paul, 15:39, ALDI (Hildesheim)
»Mein Körper wird zu einer wandelnden To-Do-Liste.« Margarete Stokowski
Paul, 15:44, ALDI (Hildesheim)
»Der Hüpfball hat zwei Hörner, also Dinger zum Festhalten. Gelb und weich und abstehend. Ungefähr so, wie man sich den Penis von Bart Simpson vorstellt, wenn man das will.«
Paul, 15:53, ALDI (Hildesheim)
Das Auf Inseln-Lesungsformat ist, glaube ich, das einzige Format, das seit 2005 praktisch unverändert überlebt hat (damals noch in einer Kleingartenanlage und unter dem Titel Laubenrausch, der Name Auf Inseln dann ab 2008 – und immer, wenn’s nicht regnet, open air).
Jacob, 16:01, Dieselhalle (Hildesheim)
Die erste Veranstaltung, bei der nicht mehr alle Menschen reinkommen, glaube ich. (Don’t believe the hype?)
Jacob, 16:04, Dieselhalle (Hildesheim)
Paul, 16:17, Backstage (Hildesheim)
Ich bin tatsächlich nicht in die Dieselhalle reingekommen. #believethehype
Paul, 16:20, Backstage (Hildesheim)
Cooler Koffer (and I know whose) …
Jacob, 16:23, Dieselhalle (Hildesheim)
»Warum muss ich immer diejenige sein, die sich wehrt?«
Jacob, 16:26, Dieselhalle (Hildesheim)
Wenn’s (Achtung, jetzt kommt’s) authentisch wird, wird’s interessant, wird das Persönliche mehr als das, ein strukturelles Abbild, ein gesellschaftliches, oder irgendwie so …
Paul, 16:57, ALDI (Hildesheim)
Leichtes Lampenfieber. Gleich geht es los mit dem Ingebach-Borgmann-Preis!
Paul, 16:58, ALDI (Hildesheim)
Meine Mitwettbewerberinnen.
Jacob, 17:01, ALDI (Hildesheim)
Liegt’s am Regen, dass auch hier das Interesse wieder größer ist als der Platz?
Martina, 17:02, Vor dem ALDI (Hildesheim)
ich werde hoffentlich nicht das zweite mal abgewiesen. der regen hat auch aufgehört.
Paul, 17:04, ALDI (Hildesheim)
Voll voll.
Paul, 17:04, ALDI (Hildesheim)
[Toll.]
Martina, 17:06, ALDI (Hildesheim)
ich bin als vorletzte reingekommen, weil drei menschen ihre plätze freigegeben haben. danke. angekündigt wird die suche nach dem wahren und schönen nach österreichischem brauch.
Martina, 17:14, ALDI (Hildesheim)
eine herrliche power-point-präsentation zur »symbolischen traditionsverkettung« durch literaturpreisvergabe.
Jacob, 17:18, ALDI (Hildesheim)
»Aber das sind alles nur Zahlen. Vermutlich ist die Wirklichkeit viel komplizierter …«
Martina, 17:23, ALDI (Hildesheim)
florian kessler plädiert mit verve »für mehr ungerechtigkeit in der literaturlandschaft – für ungerechte preise, für blöde preise, für den lyrikpreis münchen.«
Martina, 17:24, ALDI (Hildesheim)
nicola richter wittert befangenheit und seilschaften.
Martina, 17:27, ALDI (Hildesheim)
jetzt kommt paul mit sexy trinkerstimme. ich fürchte, ich bin befangen.
Jacob, 17:30, ALDI (Hildesheim)
Befangenheit ist okay, glaube ich – es kommt mir fast schon zu banal vor, um es zu problematisieren, denn: Wer ist es nicht?
Martina, 17:32, ALDI (Hildesheim)
anerkennung für übersetzer und den blick auf ränder finde ich aber auch unbefangen gut.
Martina, 17:34, ALDI (Hildesheim)
ich rufe team quaderer ins leben.
Jacob, 17:35, ALDI (Hildesheim)
Ich bin befangen.
Martina, 17:56, ALDI (Hildesheim)
ach, benjamin.
Jacob, 17:58, ALDI (Hildesheim)
Ach Nikola, ach Florian, ach Paul, ach Kabeljau & Dorsch, ach Prosanova.