Wie sieht dein Arbeitsalltag als Buchgestalterin aus? Ab welchem Zeitpunkt bist du in ein Buchprojekt involviert?
Das hängt natürlich vom jeweiligen Projekt ab. In der Regel gibt es aber bereits eine unlektorierte Fassung vom Text des Buchs, wenn ich als Gestalterin dazukomme. Am Anfang ist es mir wichtig, ein gutes Gefühl für den Text zu entwickeln. Dazu spreche ich mit den anderen Beteiligten (je nach Verlag und Projekt: Herausgeber/Verleger, Autor, Lektor, Hersteller) über ihre Vorstellungen von dem Buch, lese Teile des Manuskripts oder recherchiere Hintergrundinformationen zum Autor und dem Thema. Meistens ergeben sich dadurch schon viele Ideen, zum Beispiel welches Format das Buch haben sollte, welche Schriften in Frage kommen und welche Materialien für die Ausstattung. Ich erstelle dann Entwürfe für das Layout und das Cover, das im Verlagsalltag immer als Erstes fertig werden muss, damit das Buch beworben werden kann. Sobald der Entwurf steht und der Text aus dem Lektorat kommt, beginnt für mich die zweite Phase, in der das Buch allmählich Gestalt annimmt. Ich setze den Text, kümmere mich um das Bildlayout und, falls nötig, auch -recherchen oder illustriere. Das kann ganz unterschiedlich viel Zeit in Anspruch nehmen, je nachdem wie umfangreich das Buch ist. Nach zwei bis drei Korrekturrunden ist meine Arbeit am Buch in der Regel abgeschlossen, und es kann in die Druckerei. Danach heißt es warten auf das fertige Buch. Das Paket dann auszupacken ist immer ein aufregendes Erlebnis. Letztlich kann man nie genau wissen, wie alles zusammenspielen wird, bevor man das Buch wirklich in den Händen hält.
Du arbeitest vor allem für den Verlag Matthes & Seitz Berlin. Welche Bereiche der (Buch-)Gestaltung deckt deine Arbeit dort ab?
Für Matthes & Seitz Berlin (MSB) arbeite ich seit fünf Jahren. Angefangen habe ich mit der Gestaltung von zwei Naturkunden-Büchern pro Halbjahr. Daraus ist dann aber ganz schnell mehr geworden. Inzwischen gestalte ich den Großteil der Naturkunden-Bände, immer in enger Zusammenarbeit mit der Herausgeberin Judith Schalansky. Meine Aufgaben umfassen dabei Covergestaltung, Layout, Satz, Bildrecherche und Illustration. Die Herstellung besorgt der wunderbare Hermann Zanier. Neben den Naturkunden habe ich für MSB auch mehrere neue Reihen gestaltet, darunter die Reportagenreihe punctum und kürzlich die MSB-Paperbacks.
Mit der Naturkunden-Reihe hat der Verlag besonderen Erfolg. Was zeichnet die Bücher gestalterisch aus?
Die Naturkunden sind sowohl inhaltlich als auch formal eine besondere Reihe, und vermutlich liegt genau in dieser Verschränkung ihr Erfolg begründet. Inhaltlich umfasst das Programm eine große Bandbreite, von erzählerischen Sachbüchern über Natur- und Erlebnisbeschreibungen bis zu den ganz individuellen Tier- und Pflanzenporträts, aber auch verrückte Titel wie Peter Krauss’ Handwörterbuch der Vogellaute. Dementsprechend ist auch die Gestaltung der Reihe »offener« als manch andere. Die Bände erscheinen in historischen Buchformaten wie Oktav und Kleinquart und teilen traditionelle Merkmale der Buchgestaltung wie Fadenbindung, ein Frontispiz und einen farbigen Kopfschnitt. Allerdings geht es uns bei der Gestaltung nicht einfach nur um eine bibliophile Ausstattung, die auch noch in 50 Jahren gut aussieht, sondern vor allem darum, dem Inhalt eine Form anzumessen, die ihm gerecht wird und gleichzeitig bewahrt wie Neues schafft. Das sind oft kleine Details und Ideen. Zum Beispiel nimmt bei den Tierporträts der Einband die Farben und Eigenheiten des jeweiligen Tiers auf, und dieses Prinzip zieht sich durch bis zum Heftfaden, der nicht einfach weiß ist, sondern immer auf den Einband abgestimmt. Jedes Sachbuch wiederrum bekommt eine ganz individuell auf sein Thema zugeschnittene Gestaltung. So haben wir die Naturgeschichte der Gespenster zum Beispiel auf leicht gräuliches Papier gedruckt und die Abbildungen auf die jeweils vorhergehende Seite invertiert »durchscheinen« lassen. Die Wahren Monster wiederum spielen mit der Anmutung einer überbordenden Wunderkammer des 19. Jahrhunderts, in der damals ebenfalls allerlei Kuriositäten unserer Welt gesammelt wurden. Daher kommen die Verwendung einer verspielten Barock-Antiqua und den zwei Farben Dunkelblau und Gold für den Text und die die verschiedenen Geschöpfe illustrierenden, rätselhaften Collagen.
Wie sieht deine Zusammenarbeit mit Judith Schalansky aus, Herausgeberin der Naturkunden-Reihe und selbst preisgekrönte Buchgestalterin?
Judith und ich arbeiten bei den Naturkunden sehr eng zusammen und tauschen uns auch bei anderen Projekten regelmäßig aus. Wenn das Programm für das nächste Halbjahr feststeht, sprechen wir erst einmal über die Bücher. Manchmal hat Judith schon konkrete Vorstellungen, aber häufig entwickeln wir gemeinsam Ansätze für die Gestaltung. Ich mache mich dann an die Entwurfsarbeit, und nicht selten entstehen dabei bei mir auch noch mal weitere Ideen. Für mich ist es immer ein spannender Moment, wenn ich die Ergebnisse an Judith schicke und ihre Einschätzung höre. Sie hat ein untrügliches Gespür dafür, was für ein Buch richtig ist. Durch die Zusammenarbeit mit ihr habe ich in den letzten Jahren sehr viel lernen und mich als Gestalterin weiterentwickeln können. Ich empfinde es als eine sehr harmonische Zusammenarbeit, wobei uns sicher zugutekommt, dass wir durch dieselbe Typoschule bei Betina Müller an der FH Potsdam gegangen sind.
Für den Suhrkamp Verlag hast du Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen von Philipp Weiss gestaltet. Was waren die Herausforderungen bei diesem fünfbändigen Roman?
An diesem Projekt mitarbeiten zu dürfen, hat mir riesigen Spaß gemacht. Es war eins dieser seltenen Projekte, bei denen die Zusammenarbeit mit Lektor, Autor und den Herstellern im Verlag schon sehr früh begonnen hat und dadurch viel Zeit blieb, um sich schon während des Entstehungsprozesses des Buchs inhaltlich damit auseinandersetzen zu können. Während gewisse Dinge durch den Inhalt quasi vorherbestimmt erschienen – zum Beispiel dass jeder Band gestalterische Merkmale seines fiktiven Entstehungszeitraums tragen sollte –, gab es so eine klare Vision für den Schuber nicht, stattdessen nur eine lange Wunschliste, was er bewirken sollte: die Themen der einzelnen Bände aufgreifen und verbinden, eine Art Karte für das Beziehungsgeflecht der Personen und Zeiten sein, ohne zu viel zu verraten, erklären, wie die Bände zu lesen sind, und nicht zuletzt das Buch verkaufen. So sind am Anfang Entwürfe entstanden, die mit der Idee einer Ars magna beziehungsweise eines kosmografischen Atlas’ spielten. Das war grafisch interessant und gefiel auch allen, aber das Problem war, dass es aussah wie das Cover zu einem kulturhistorischen Sachbuch und für einen Roman zu verkopft wirkte. Dabei ist es meiner Meinung nach eine der größten Stärken von Weiss’ Roman, dass er es schafft, dass sich der ganze Kosmos von Ereignissen, Personen und Beziehungen spielend leicht vor einem ausbreitet, sich immer neu verknüpft und den Leser in seinen Bann zieht. Mein leichtes Unbehagen mit dem Cover führte schließlich dazu, dass ich kurz vor der Vorschau noch mal alles in Frage stellte und ein neues Cover von Hand zeichnete. Den Titel schrieb ich mit einem japanischen Pinsel in einen gemalten Kreis, drum herum breiteten sich gekrakelte Schriftkreise, gezeichnete Erdkugeln und Beziehungsgeflechte aus. Was vorher infografisch detailliert dargestellt war, wurde durch diese Neuinterpretation nun andeutungshaft, chaotisch, sympathisch. Dieses Cover ist es dann letztlich auch geworden. Der Titel funktioniert nun wie eine Art Logo für das Buch, das die einzelnen Teile mit einer großen Leichtigkeit verbindet.
Nach dieser ersten Hürde gab es aber natürlich noch weitere Herausforderungen zu meistern. Besonders viel Zeit ist zum Beispiel in die Enzyklopädien geflossen, für die ich die historischen Abbildungen zu Weiss’ Texten recherchiert habe. Mindestens ebenso anspruchsvoll war der Satz der Cahiers, dem Notizheft einer Wissenschaftlerin, das zugleich auch einen Blick in ihr Seelenleben ist. Philipp Weiss hatte die inszenierende Typografie in seinem querformatigen Manuskript zu diesem Band schon angedeutet. Meine Aufgabe bestand nun darin, seine Intention zu verstehen und die richtige Seitenkomposition für unser Hochformat und den passenden typografischen Ton beziehungsweise eine angemessene Inszenierung zu finden. Obwohl das zwangsläufig anders aussehen musste als im Originalmanuskript, war Philipp Weiss ein wunderbarer Arbeitspartner und sehr aufgeschlossen für meine Lösungen und Ideen. Die letzte Herausforderung war dann auf jeden Fall das besonders lange Warten auf das fertige Buch, denn der Schuber konnte erst produziert werden, als die fünf Bände fertig waren, damit die Maße stimmten.
Mit wem tauschst du dich für gewöhnlich kritisch aus? Woher nimmst du neue Ideen?
Da ist wie schon erwähnt natürlich Judith Schalansky. Ansonsten zeige ich Entwürfe auch häufig meinem Mann oder Freunden, die nicht jeden Tag mit Gestaltung zu tun und daher einen frischen Blick von außen haben.
Die meisten Ideen finde ich entweder im Gespräch mit anderen über die Bücher, beim Lesen oder beim Machen. Ich arbeite auch gern analog mit Pinsel, Tusche und Stiften, und da entstehen nicht selten interessante Zufälle. Ansonsten finde ich auch in antiquarischen Büchern immer wieder eine gute Inspirationsquelle. Typografie ist ja eine traditionsreiche Kunst und Altes neu zu interpretieren finde ich spannend.
Gibt es aktuell Trends in der Buchgestaltung? Was fällt dir auf? Was gefällt dir?
Ich habe das Gefühl, dass es wieder eine Hinwendung zum gestalteten Buch gibt und auch herstellerische und haptische Qualitäten wieder verstärkt eine Rolle spielen. Vielleicht liegt es an der zunehmenden Digitalisierung unseres Alltags oder der Konkurrenz durch E-Books und digitale Medien. Das Buch kann dazu einen sinnlichen Gegenpol bieten.
Was magst du an deinem Beruf am meisten? Was am wenigsten?
Am schönsten finde ich, dass ich durch die Bücher mit so vielen spannenden Themen in Berührung komme, die mir sonst wahrscheinlich entgehen würden. Aber ich liebe auch die Arbeit an sich. Es ist ein Privileg, den ganzen Tag mit schönen und interessanten Materialien, Schriften und Bildern arbeiten zu dürfen und daran mitwirken zu können, wie ein Produkt entsteht, das einen Inhalt erfahrbar macht und das andere Menschen wertschätzen und sie bestenfalls inspiriert.
Am schwierigsten an meinem Beruf finde ich, dass es wenig Sicherheiten und Planbarkeiten gibt. Es kann immer passieren, dass sich eine Übersetzung oder ein Lektorat als aufwendiger herausstellen als angenommen und sich Projekte dann ungünstig verschieben und überschneiden. Wenn dann noch enge Zeitpläne hinzukommen, kann das schon mal zu langen Arbeitstagen führen. Aber andererseits empfinde ich es auch als großen Vorteil, selbstbestimmt zu arbeiten und mir meine Zeit frei einteilen zu können.
Woran arbeitest du gerade? Was sind die nächsten Projekte?
Ich bin gerade in Elternzeit, mein aufregendstes aktuelles »Projekt« ist also gerade mein kleiner Sohn zu Hause. Ab dem Herbst 2019 bin ich dann wieder zurück im Büro und schon gespannt, welche schönen Projekte dann auf mich zukommen.