Das Logbuch hat Christiane Hahn von der Literarischen Buchhandlung Anakoluth, Christian Dunker von der autorenbuchhandlung und Guido Ullmann von Dussmann das KulturKaufhaus zum Buchhändlergespräch in die Pappelallee eingeladen. In der Insel-Bibliothek des Suhrkamp Verlags haben sich die drei bei einem Glas Wein ausgetauscht – über ihre Rolle als »Mittler, Schleuse und Sieb«, über Lese(r)vorlieben, digitale Vorschauen, die Zukunft des Buchhandels und darüber, was Verlage besser machen könnten.
Was sind die großen Herausforderungen, vor denen ihr euch im stationären Buchhandel seht?
Guido Ullmann, Dussmann: Ich würde sagen, es ist nicht mal der digitale Strukturwandel an sich, sondern das, was damit einhergeht, nämlich die Veränderung der Erwartung und des Einkaufverhaltens der Kunden. Das Buchhändlerbild von früher – Ihr Buchhändler empfiehlt – mag zum Teil noch stimmen, doch die Kunden möchten auch die Wahl haben, was sie wann haben und wo sie es kaufen möchten. Sie agieren sehr flexibel, und darauf müssen wir uns einstellen. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, Profil zu zeigen, Akzente zu setzen und zu versuchen, den Kunden auf der einen Seite das Einkaufserlebnis zu bieten, das sie nur im stationären Handel haben können, und gleichzeitig den Service, den sie online haben, auf andere Art auszugleichen. Wir werden sowieso nicht konkurrieren können mit der Titelmenge, die die Onlineportale anbieten, aber womit wir konkurrieren können, ist die Beratung. Wir können wirkliche Beratung leisten, die sich nicht auf Algorithmen stützt.
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Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Wir sind sogar immer mehr gefragt, Empfehlungen auszusprechen. Die kurzen Meldungen auf Perlentaucher und anderen Websites kennen bestimmt 60 bis 70 Prozent unserer Kunden. Man sollte diese zwar gelesen haben, aber auch den Mut haben, davon abzuweichen. Da muss man einfach selbstbewusst auftreten. Als kleine Buchhandlung sind wir dabei vielleicht unabhängiger vom zentralen Einkauf oder von Vorgaben wie solchen, Titel eines bestimmten Verlags am Monatsende in einer bestimmten Höhe verkauft zu haben, weil Verkaufsflächen zur Verfügung gestellt wurden.
Christiane Hahn, Anakoluth: Ich habe in den letzten Jahren bemerkt, dass die Leserinnen und Leser immer öfter überfordert sind von der Menge an Titeln und damit auch von der Auswahl. Dann sind wir gefragt. Ich stehe hinter den Titeln, die ich verkaufe, und ich entdecke auch ganz viel Literatur durch Empfehlungen meiner Kunden.
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In den ersten zehn Jahren als Buchhändlerin habe ich monatlich eine Veranstaltung gemacht, aber nach dem Umzug und der Wiedereröffnung im Prenzlauer Berg musste ich mich fragen, was mir eigentlich wichtig ist. Geht es mir darum, mit Veranstaltungen noch mehr Kunden zu gewinnen oder – und das war immer mein Anliegen – junge neue Autoren zu präsentieren und ihnen eine Bühne zu bieten? Als ich mich dann entschieden habe, mich ausschließlich auf das Kerngeschäft, die Buchhandlung und die Betreuung der Kunden, zu konzentrieren, war das ein massiver Einschnitt. Aber ich brauche dafür viel Kraft und Zeit, und parallel dazu Veranstaltungen zu stemmen, schaff ich einfach nicht mehr.
Orientieren sich eure Kunden an der Literaturkritik? Merkt ihr eine Resonanz?
Christiane Hahn, Anakoluth: Auf die Kritiken im Feuilleton? Ja klar! Die Kunden orientieren sich immer stärker am Feuilleton, weil es immer mehr Neuerscheinungen gibt. Das Verhältnis gerät aber immer mehr in Schieflage, weil die Menge der besprochenen Bücher immer kleiner wird. Das finde ich schwierig.
Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Ich frage mich auch manchmal, wozu wir noch eine Rezension brauchen, wenn ein Titel schon x-mal besprochen wurde. Da hätten es drei andere Titel doch auch noch verdient. Wir schreiben deshalb auch eigene Rezensionen und veröffentlichen sie auf unserer Website und bei Facebook.
Guido Ullmann, Dussmann: Nachdem die Longlist zum Buchpreis erschienen war, mit der wir nicht zufrieden waren, haben wir einen Büchertisch mit Titeln gemacht, die wir gerne darauf gesehen hätten.
Welche Relevanz hat der Deutsche Buchpreis überhaupt für den Buchhandel?
Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Der Deutsche Buchpreis ist bei den Lesern ein Richtwert und eine Größe. Er läuft so gut in den Medien, dass ich mich frage, warum die Verlage den Buchpreisgewinner noch extra bewerben, das braucht es gar nicht. Gleichzeitig ist es verwunderlich, wie schnell die Wirkung bei den Lesern wieder verpufft. Der Preis wird im Oktober vergeben, und im Januar, nach gelaufenem Weihnachtsgeschäft, wird der Titel kaum noch abgefragt. Und der Preisträger kann – jetzt sind wir wieder beim Feuilleton oder bei Literatursendungen im Fernsehen – auch ganz schnell wieder vom Sockel gestoßen werden, wenn die Gegenstimmen laut genug sind oder schnell ins Ohr gehen.
Guido Ullmann, Dussmann: Klar kann es auch mal schiefgehen, aber in der Regel ist es so, dass der Buchpreis im Herbst und auch der Preis der Leipziger Messe sehr wichtig für den Verkauf sind. Wir sehen das immer, wenn die Longlist herauskommt, was für ein Interesse allein an den Leseheften besteht, da brauchen die Verlage gar nichts mehr zu tun. Der Preis entwickelt ganz von selbst eine Dynamik. Was ich vielleicht kritisieren würde, denn auch das ist nicht unabhängig vom Buchpreis, ist die große Konzentration an Spitzentiteln im Herbst. Das finde ich fragwürdig. Denn unsere Erfahrung zeigt: Auch wenn wir zehn bis zwanzig mögliche Spitzentitel im Programm haben, werden sich nur zwei bis drei durchsetzen. Der Murakami, der letztes Jahr im Januar rauskam, hat gezeigt, dass es auch anders geht. Das halte ich für sehr praktikabel, um der Kannibalisierung im Herbst ein bisschen entgegenzuwirken.
Welche Rolle spielt dabei der Autor?
Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Ich merke schon, dass ich Bücher besser verkaufen kann, wenn ich die Geschichte einbetten kann in die Vita der Autorin, wie zum Beispiel bei Brittani Sonnenbergs Roman Heimflug, das finden viele Kunden sehr gut.
Guido Ullmann, Dussmann: Mir ist schon aufgefallen, dass wir mehr verkaufen, wenn Autoren auch als Persönlichkeiten interessant sind, wie vor kurzem bei Katja Kettu, die bei Galiani Wildauge rausgebracht hat. Sie ist interessant und noch dazu sympathisch. Da kann man auch mit den Leuten werben, das ist etwas, was in der Musikbranche selbstverständlich ist. Natürlich gibt es auch Autoren, die sich gut selbst vermarkten, nur haben wir davon in der Regel nichts. Unser Bestreben muss es sein, sie oder auch die Verlage ins Boot zu holen, weil es sich inhaltlich oder umsatztechnisch lohnen könnte.
Christiane Hahn, Anakoluth: Und dann gibt es ja noch die Selfpublisher-Szene abseits der Verlage. Wir müssen uns im Buchhandel darum bemühen, auch sie mit ins Boot zu holen.
Was ist mit Feuilletondebatten wie etwa in diesem Frühjahr die Diskussion über Schreibschulen beziehungsweise die Herkunft der jungen Autoren? Beobachtet ihr, dass die Leute dann kommen und fragen, wer sind die eigentlich, die Kesslers, die Klupps dieser Welt, ich habe bis jetzt noch nichts von ihnen gelesen und will mal gucken, was es da gibt?
Guido Ullmann, Dussmann: Zum Teil merken wir die Debatten, und wir merken auch Veranstaltungen wie den Bachmann-Preis, aber sie sind, was den Absatz betrifft, nicht vergleichbar mit der Longlist des Deutschen Buchpreises. Trotzdem sind solche Diskussionen für uns interessant, weil wir damit Kunden an die Hand nehmen und Literatur lebendig werden lassen können. Wir müssen aber auch das Ziel haben, individuelle Bestseller zu landen. Wir haben festgestellt, dass sich unsere Kundschaft unterscheidet von der, die sich in den Spiegel-Bestsellerlisten wiederfindet. Da müssen wir auch bezüglich der Zusammenarbeit mit Verlagen umdenken. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass wir früher in Marketingmaßnahmen eingebunden werden. Wenn die Vertreterreise ansteht und die Vorschau produziert ist, dann sind für die Verlage auch schon die Marketingetats festgezurrt, und zwar titelbezogen. Dann stehen wir manchmal davor und sagen: Das wird aber nicht unser Spitzentitel sein.
Christiane Hahn, Anakoluth: Gerade bei jungen deutschsprachigen Autorinnen und Autoren braucht es, glaube ich, die Debatten im Feuilleton nicht. Es ist simpel: Leute, die lesen, können denken. Diejenigen, die zu mir kommen, sind sozusagen schon Teil des Diskurses. Die schreiben oder wollen schreiben. Die sind auf Lesebühnen unterwegs und suchen und gucken und haben von Namen gehört. Das ist einfach ein anderes Publikum. Die brauchen das deutsche Hochfeuilleton nicht, um teilhaben zu können.
Guido Ullmann, Dussmann: Doch, weil sie sich davon abgrenzen müssen oder wollen. Ich glaube, dass der Diskurs im Feuilleton zusammengehört mit dem, was in den Buchhandlungen stattfindet, ob man sich jetzt davon abgrenzen oder genau die diskutierten Texte lesen möchte.
Ich habe herausgehört, dass ihr die Zusammenarbeit mit den Verlagen als unbefriedigend empfindet. Wo seht ihr Verbesserungsmöglichkeiten?
Guido Ullmann, Dussmann: Zwei Sachen: Erstens erwarte ich von Verlagen, dass sie Stellung beziehen für eine Vielfalt auf dem Büchermarkt, und das heißt, das muss man ganz deutlich sagen, dass sie Stellung beziehen gegen Amazon. Gleichzeitig möchte ich auch nicht mehr hören, dass wir gegen Amazon nicht ankommen. Da würde ich vor allem uns Buchhändler in die Pflicht nehmen. Wir sollten analysieren, was Amazon gut macht und was Kunden erwarten, das wir ähnlich gut machen können. Der zweite Punkt sind digitale Vorschauen. Selbst wenn viele Buchhändler sagen, sie wollen unbedingt weiterhin ihre gedruckte Vorschau, um Eselsohren reinzumachen, sollten Verlage in elektronische Vorschauen investieren. Hinter der Angst davor steckt oft die Befürchtung, dass die digitale Vorschau Auswirkungen auf die Vertreter haben könnte. Das sehe ich aber getrennt. Auf den Vertreter würde ich nicht verzichten wollen. Er ist genau der, der uns helfen kann, die Akzente zu setzen, die uns im Sortiment wichtig sind.
Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Genau deswegen bin ich dankbar für den Kontakt zu Spezialisten, für die gewachsenen Beziehungen. Viele Vertreterinnen und Vertreter begleiten uns seit Jahren, wir wissen, dass sie das Profil der Buchhandlung gut kennen und auch mal sagen, von diesem Titel reicht euch vielleicht die Hälfte, nehmt lieber von dem anderen mehr. Das ist es, was die Kunden nachher bei uns erwarten, und das möchte ich nicht missen. Und ich selbst komme zwar mit digitalen Vorschauen gut klar, aber ich weiß auch von Buchhändlerabenden, dass Kollegen, die drei grauen Strähnen mehr haben, sich weiterhin ein gedrucktes Exemplar wünschen.
Christiane Hahn, Anakoluth: Meinetwegen müssen die Vorschauen nicht gedruckt kommen, und die Leseexemplarkisten brauche ich auch nicht, da ist oft nichts drin, was mich interessiert. Ich schaffe es ohnehin nicht, alles zu lesen, und ich werde auch nicht unverschämt mit meinen eigenen Leseexemplarforderungen. Ich weiß ja, was ich jede Woche bewältigen kann. Ich gucke lieber die Vorschauen durch und wünsche mir das, das und das, und dann möchte ich auch nicht mehr darüber diskutieren. Ich glaube, dass ich da vielleicht etwas selbstbewusster auftreten muss gegenüber Verlagen. Meine Schwerpunkte kann man ja an bestimmten Zahlen, bei bestimmten Häusern sehen.
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Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Und noch ein Wunsch: Warum diese ollen Aufkleber? Weil wir gerade in der Insel-Bibliothek sitzen: Ich finde diese 10-Euro-Aufkleber ganz furchtbar, bei uns wissen ohnehin fast alle, wie viel die Insel-Bücherei kostet…
Das klingt so, als ob die Verlage an der Realität der Buchhändler vorbeiarbeiteten und es überhaupt keinen Austausch gibt.
Guido Ullmann, Dussmann: Es geht um Zusammenarbeit, darum, näher zusammenzurücken, flexibler zu werden, was das Marketing betrifft. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass wir mit den Werbekampagnen der Verlage, die als solche gekennzeichnet sind, nicht arbeiten können. Wenn wir Werbekampagnen haben, dann müssen wir sie selbst besetzen können. Es geht um Glaubwürdigkeit. Unsere Kunden honorieren es nicht, wenn wir einen Tisch haben, der ganz offensichtlich Werbung für einen Verlag macht. Es funktioniert viel besser, wenn wir unsere eigenen Schwerpunkte setzen. Da liegen dann vielleicht Titel verschiedener Verlage auf einem Tisch, aber es ist unser Thema.
Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Was die Verlage deutlich besser machen können, und da sind auch die großen gemeint: Benennt doch bitte die Inhalte. Was man bei Lebensmitteln verlangen kann, muss auch bei Büchern gelten. Mir sind Inhaltsangaben vorne auf der Klappe oder hinten deutlich wichtiger, als dass eine Frauenzeitschrift eine Empfehlung ausspricht, das hilft uns auch nicht. Zum Beispiel Lisa Kränzler: Das Buch kommt eingeschweißt. Das wollen viele auch eingeschweißt kaufen, weil sie den Moment des Auspackens schön finden, erster sein und so weiter. Und dieses Buch ist ohne Frage ein Knaller. Lisa Kränzlers drittes Buch, aber nun kennen noch nicht alle die Autorin oder haben den Vorgänger Nachhinein gelesen. Das neue Buch heißt Lichtfang, und hinten drauf steht: »Wer gegen Zeit und Licht ziehen will, braucht mehr als eine Waffe«, aha, und Oliver Jungen vom Cicero weiß noch: »Eine ganz eigene Stimme verschafft sich hier Gehör.« Bringt doch lieber eine kurze Inhaltsangabe und achtet darauf, dass die Vita immer mal wieder aktualisiert wird. Wenn ein etablierter Autor das 27. Buch schreibt, das man immer noch einkauft, weil er noch schreiben kann, und die Vita ist dieselbe wie beim 15., ist das irritierend. Da muss ja in der Zwischenzeit einiges passiert sein. Lasst euch nicht auf Eitelkeiten der Autoren ein, das ist zwar immer nur begrenzt möglich, aber ich finde, wenn jemand 70 ist, dann muss er auch nicht als 45-jähriger abgebildet sein, das ist doch unglaubwürdig.
Christiane Hahn, Anakoluth: Auch diese Empfehlungen von VIPs aus Funk und Fernsehen finde ich schwierig.
Guido Ullmann, Dussmann: Ich bin ganz fasziniert, dass ihr mehr auf die Rückseite guckt, während mir die Vorderseite viel wichtiger ist. Was natürlich erklärbar ist. Wir haben große Tische und im Verhältnis zur Zahl der Kunden geht bei uns weniger über Empfehlungen im direkten Kundengespräch, obwohl wir das natürlich auch gerne machen. Die meisten entscheiden sich im Bruchteil einer Sekunde, und da ist natürlich die Vorderseite noch viel wichtiger. Allerdings wäre weniger Masse sicher hilfreich.
Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Ich glaube auch, dass viele Verlage gut daran täten, auf den einen oder anderen Titel zu verzichten, um das Budget, das dadurch frei wird, in ein anderes Projekt zu stecken. Ich möchte natürlich nicht, dass die literarischen Titel darunter leiden, aber auf den hundertsten 10 Etagen zum Liebesglück-Titel in derselben Saison kann ich verzichten, auch wenn er natürlich zur Kasse wandert. Doch zurück zur Frage, was Verlage konkret für den Buchhandel tun können. Zunächst: Erst mal dran glauben. Der Börsenverein ist fast in die Luft gegangen, als wir verkündet haben, dass der stationäre Buchhandel ein Plus eingefahren hat. Dabei strömen gerade neben Amazon noch andere Online-Anbieter auf den Markt, die auch im Fernsehen Werbung schalten, wovon eine Einzelbuchhandlung nur träumen kann. Da könnten Verlage zum Beispiel durch eine groß angelegte Buy-Local-Kampagne helfen, raffinierterweise vielleicht auch online. Dafür müsste es einen Verlagszusammenschluss geben, möglichst groß gefasst, weil die Botschaft bei den Kunden noch nicht angekommen ist: Geh in eine Buchhandlung deiner Wahl und bestelle vor 16:30 Uhr ein Buch, dann hast du es am nächsten Tag.
Guido Ullmann, Dussmann: Auf Dauer werden wir aber trotzdem nicht erfolgreich sein, wenn wir nicht auch online gut sind. Und online haben wir es eben mit Konkurrenz zu tun, die sehr, sehr viel Geld hat und auch deswegen sehr gut ist. Selbst für große Häuser wie Dussmann zum Beispiel ist es keine leichte Aufgabe, damit zu konkurrieren.
Welche Konsequenzen habt ihr für eure jeweiligen Onlineauftritte gezogen?
Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Wir haben einen regen Traffic, was unsere Facebook-Seite angeht, und wir versuchen, darüber mit vielen Leuten Kontakt zu halten, indem wir immer wieder Informationen bringen, die weit über unsere Veranstaltungen hinausgehen, damit man erkennt, dass wir was anderes anbieten, dass wir den Mut haben, Titel auszulassen, weil sie nicht in unser Profil passen.
Christiane Hahn, Anakoluth: Ich hab im Sommer selbst eine Website gebastelt, mit WordPress. Das ist meine Visitenkarte im Netz, da ist auch ein kleiner Blog mit dabei. Aber ich hab eine klare Entscheidung gegen einen Onlineshop getroffen, nachdem ich vor vielen Jahren mal einen Onlineshop von einem der Barsortimente ausprobiert habe. Ich mache das nicht. Ich finde, die Shopsysteme, die die Barsortimente den Buchhändlern zur Verfügung stellen, sehen alle gleich aus, die haben für mich kein Gesicht.
Guido Ullmann, Dussmann: Es wächst gerade eine Generation heran, für die es vollkommen selbstverständlich ist, sich im Netz zu bewegen. Wenn man online nicht präsent ist, ist man für sie nicht sichtbar. Deswegen glaube ich auch, dass es wichtig ist, das eigene Schaufenster online zu haben. Die Onlineshop-Systeme der Barsortimente können da tatsächlich nicht die Lösung sein.
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Christiane Hahn, Anakoluth: Ich würde erst dann ins Onlinegeschäft einsteigen, wenn es Möglichkeiten gäbe, die ich auch selber bedienen kann, wenn ich sozusagen im Netz relativ schnell und gut abbilden kann, was ich im Laden mache. Vielleicht habt ihr das Projekt buchhandel.de vom MVB Marketing- und Verlagsservice beobachtet. Das ist, sage ich immer, das abgespeckte VLB. Ich bin sehr kritisch dem VLB gegenüber, ich finde es undemokratisch und nutze es auch nicht. Ich habe die Datenbanken der Barsortimente, und ich habe das Internet, ich bin quasi zwölf Stunden am Tag online. Ich würde gerne jene Online-Projekte unterstützen und an ihnen teilhaben, die eine offene, demokratische Metadatenbank für Bücher aufbauen und gezielt stationäre Buchhandlungen mit ihren individuellen Sortimenten einbeziehen. Ich wünsche mir, dass die Verlage es schaffen, eine solche Metadatenbank mit allen bibliografischen Angaben zu füllen, mit Bild- und Textmaterial zu einzelnen Titeln, mit wöchentlichen Updates der lieferbaren Titel, meinetwegen auch mit einer Art Archiv der vergriffenen Titel. Diese Metadaten für jeden einzelnen Suhrkamp-Titel zum Beispiel sind ja da, Suhrkamp hat das ja. Und wenn die Verlage das in eine Datenbank einspeisen würden, die offen ist für uns Buchhändlerinnen und Buchhändler genauso wie für alle anderen Verlage und für die potentiellen Endkundinnen und -kunden, dann wäre viel gewonnen. Wenn nicht sofort Amazon als erster Treffer bei der Internetrecherche aufploppt, sondern ein offenes Verzeichnis aller lieferbaren Bücher in diesem Land geschaffen wird – baff.
Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Nehmt ihr Amazon-Pakete für Leute an?
Christiane Hahn, Anakoluth: Nicht mehr.
Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Wenn ich sehe, es ist ein Staubsauger drin, dann bestimmt, aber wenn es ein einzelnes Buch ist und ich sogar den Empfänger kenne, dann finde ich das taktlos.
Vor kurzem gab es ja wieder Streit mit Amazon wegen der eBook-Konditionen. Amazon sagt im Grunde, eBooks müssen billiger werden. Ist das vielleicht nur vorgeschoben, um Macht auszubauen? Warum ist nicht längst ein Aufschrei durch die Verlage gegangen, hört mal Amazon, wir erklären jetzt euch und der gesamten Leserschaft, was Bücher wert sind, was eBooks wert sind?
Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Weil die Angst vor Repressalien einfach zu groß ist. Jetzt sind es nur die Titel der Konkurrenz, die nicht gelistet werden, Gott sei Dank nicht die eigenen. Ich würde mich freuen, wenn Verlage oder der Börsenverein wirklich betonten, dass die Buchpreisbindung auch im eBook-Bereich weiterhin wichtig ist, sonst sind wir nämlich im Buchbereich auch bald bei einem Verhältnis von 70 zu 30 wie in der Musikbranche, und das würde eine Ausdünnung im Angebot bedeuten. Wenn keiner mehr Geld mit seiner Kunst verdient, warum sollte sie oder er damit weitermachen? Wenn wir dem Künstler nicht mehr zur Seite stehen, egal, ob er Musik macht oder schreibt, dann sind wir alle verloren.
Wer liest tatsächlich eBooks? Habt ihr in den Jahren, in denen ihr jetzt im Buchhandel tätig seid, festgestellt, dass sich die Lesegewohnheiten eurer Kunden verändert haben?
Guido Ullmann, Dussmann: Menschen werden auch zukünftig Bücher lesen. Dabei werden sie je nach Situation und Bedarf für sich entscheiden, auf welchem Medium sie lesen wollen und ob sie online oder stationär einkaufen wollen. Wenn allerdings die Grenzen zwischen Buch und eBook und zwischen online und stationär für Kunden keine Rolle mehr spielen, muss es auch unser Ziel als Buchhändler sein, diese Grenzen aufzuheben. Ganz gleich, wie sich Kunden entscheiden: Das, was sie haben möchten, muss schnell und überall verfügbar sein.
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Christian Dunker, autorenbuchhandlung: Natürlich dürfen wir die kommenden Generationen nicht verpassen, in der schon Vierjährige wissen, wie so ein Smartphone nach dem Auseinandernehmen wieder zusammengebaut wird. Andererseits hat das gedruckte Buch im Kinder- und Jugendbuchsegment zuletzt auch wieder ein Plus gemacht, und Kinderbücher werden ja meist von Eltern oder Paten oder Freunden der Eltern gekauft. Da stellt sich die Frage, warum man Kindern weiterhin lieber ein gedrucktes Buch in die Hand gibt als Technik. Möchte man irgendwas erhalten, möchte man was konservieren, oder möchte man etwas schützen und über das gedruckte Buch vermitteln? Außerdem sollten wir uns klarmachen, dass steigende eBook-Zahlen natürlich auch noch andere Folgen haben. Es wird zum Beispiel kein Stauraum mehr gebraucht, es kann vielleicht nur noch virtuell verkauft werden. Und wenn wir an dem Punkt sind, brauchen die eBook-Anbieter uns auch nicht mehr als Zapfstellen.
Guido Ullmann, Dussmann: Der natürliche Ort, um eBooks zu verkaufen, ist sicherlich ein Onlineshop. Nun ist es aber so, dass eBooks für Leser oft einen Zusatznutzen darstellen. Man möchte auf der einen Seite die schöne, vielleicht hochwertige Hardcoverausgabe eines Buches besitzen und auf der anderen das gleiche Buch unterwegs lieber elektronisch lesen. Ich finde, diesem Anspruch wird man mit Downloadcodes in den Büchern sehr gerecht. Wir sollten offen sein für solche Lösungen, wenn es darum geht, auf das Leseverhalten der Kunden einzugehen.
Christiane Hahn, Anakoluth: Wir leben ja eh in vielen Welten. Aber ganz entscheidend ist dabei: Worum geht es eigentlich bei all dem, was wir hier tun? Es geht um Inhalte.
Die Fragen stellte Patrick Hutsch.