Am 6. Dezember wurde der eben erschienene Briefband aus dem Nachlass von Christa Wolf, Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten. Briefe 1952-2011, im ausverkauften Deutschen Theater in Berlin vorgestellt. Dagmar Manzel las aus den Briefen, Christa Wolfs Mann Gerhard Wolf und die Herausgeberin des Bandes, Sabine Wolf vom Literaturarchiv der Akademie der Künste, Berlin, erzählten. Im Folgenden ein kurzer Spaziergang durch den Abend.
1968 schreibt Christa Wolf an ihre tschechische Freundin Františka Faktorová: »Briefeschreiben ist Mist, wir müssen mal wieder kommen.« Dafür, dass Briefeschreiben Mist ist, hat sie aber doch sehr viele geschrieben.
Sabine Wolf: Das stimmt, Christa Wolf war eine unglaublich produktive Korrespondentin. Hochgerechnet befinden sich etwa 15.000 Briefe im Nachlass. Akribisch hat sie von all ihren Briefen Durchschläge angefertigt, in den früheren Jahren noch mit Kohlepapier (die Jüngeren unter Ihnen wissen vielleicht gar nicht mehr, was das ist). Wir haben gerade erst angefangen, das Briefwerk zu erforschen; die Auswahl, die ich für den Band getroffen habe, ist ein erstes Angebot.
Das ist ein sehr gewichtiges erstes Angebot: knapp 500 Briefe an über 300 Adressaten. Nach welchen Kriterien wählt man aus bei einer solchen Vielfalt?
Sabine Wolf: Das war eine große Herausforderung, die immer größer wurde, je mehr ich gelesen habe. Maßgeblich war für mich die Funktion eines Briefes innerhalb dieser sechzig Jahre im Leben Christa Wolfs; die Prominenz eines Briefpartners hat weniger eine Rolle gespielt, vielmehr die Einblicke, die die Briefe erlauben: in Christa Wolfs Schreibwerkstatt, ihr Privatleben, ihr gesellschaftliches Engagement.
Christa Wolf hat im Lauf der Jahrzehnte eine wahre Flut von Leserbriefen bekommen. Wie ist sie damit umgegangen?
Sabine Wolf: Sie ist sehr ernsthaft auf alle Anliegen eingegangen. Beginnend mit den Zuschriften auf den Geteilten Himmel 1963, hat sie Leser sogar ermuntert, ihr zu schreiben, hat auf Briefe geantwortet: Erzählen Sie mir doch mehr von sich, wie leben Sie, haben Sie Kinder? Sie ist auf eingesandte literarische Versuche eingegangen, hat Ratschläge gegeben, bis hin zur Lebenshilfe. Nach und nach hat die Verantwortung für diejenigen Briefschreiber, die sich ihr gegenüber öffneten – und das in Zeiten der Postüberwachung spätestens ab den Siebzigern –, sie allerdings auch sehr belastet. Sie hat versucht, die Menschen nicht ins offene Messer rennen zu lassen. Aber es war ihr eine Verpflichtung, den Lesern zu antworten, und sie hat es auch als Chance betrachtet, ihren Erfahrungshorizont zu erweitern. Insofern war sie nicht nur Gebende, sondern auch Nehmende.
Christa Wolfs Brief an Erich Honecker steht unter dem Eindruck der Biermann-Ausbürgerung im November 1976. Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, dass die berühmte Biermann-Resolution, die einige DDR-Schriftsteller, darunter Stephan Hermlin, Sie und Christa Wolf, Sarah Kirsch, Heiner Müller, Volker Braun und andere, verfasst hatten, die vielleicht größte kulturpolitische Krise in der Geschichte der DDR auslöste. Wie war die Situation damals?
Gerhard Wolf: Das wusste man natürlich nicht, dass das eine solche Krise herbeiführen würde. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass dieses Protestschreiben, das wir in kleinem Kreis auf Anregung von Stephan Hermlin verfasst hatten, eine solche Wirkung hat. Es gab damals noch keine Bürgerbewegung, keine Kirche von Unten, aber diesem Protest schlossen sich doch viele an, Künstler, Schauspieler wie Manfred Krug, der dann beruflich kaltgestellt wurde und einen Ausreiseantrag stellte, und junge Leute, Studenten, die nichts anderes taten, als mit diesem Protestschreiben herumzulaufen, und an denen sich der Staat vergreifen konnte. Während wir mit Parteistrafen davonkamen, wurden sie eingesperrt, zum Beispiel die Schriftstellerin Gabi Stötzer – die ich später, 1992, in der Janus Press sogar verlegen konnte –, die gezeichnet war von dem Jahr, das sie im Frauengefängnis Hoheneck eingesperrt war. Solche Auswirkungen hatte unser Protest, ohne dass wir das zuerst geahnt hätten, andere waren von ihnen viel heftiger betroffen als wir, und so kam es zu diesem Brief von Christa an Honecker. Die DDR war ja ein feudalaristokratischer Staat, ein Wort von Honecker, und es konnte in die Gerichtsbarkeit eingegriffen werden.
Zwischen uns war das dann lange die Frage: dableiben, weggehen? Die Biermann-Ausbürgerung war auf jeden Fall einer der größten Fehler, die die Partei damals machen konnte. Man hätte Biermann auch einfach zurückholen und damit zeigen können: Seht mal, so kritisch geht es bei uns zu. Aber das war eben mit diesen alten Herren nicht zu machen.