Seit einiger Zeit behauptet sich in der belletristischen Buchcovergestaltung ein bestimmtes Motiv: Die Dame ohne Gesicht. Man sieht sie auf schwermütigen oder heiteren, historischen oder zeitgenössischen, leichtfüßigen oder hochdramatischen Romanen. Man begegnet ihr in Deutschland genauso wie in Frankreich, Amerika, England. Mal fehlt ihr der ganze Kopf, mal nur ein Teil. Häufig sieht man sie auch nur von hinten. Oder von vorne, aber dann sind ihre Gesichtszüge dekonstruiert. Man soll sie offenbar möglichst nicht identifizieren oder beschreiben können, diese Coverheldin. Interessant.
Selbstverständlich gibt es noch viele weitere, sehr populäre Umschlag-Elemente. Da wären die historischen Fotos in gesättigter Sepia-Ästhetik, Männer und Frauen bei unbeschwerten Tätigkeiten wie Cabrio fahren, Bogenschießen oder Einander-in-die-Arme-fliegen. Einzige Voraussetzung hier: Die Motive stammen aus der Zeit »dazwischen«, also den Fünfzigern oder der Weimarer Republik. Oder gleich aus dem unbedenklichen Cavalleria-rusticana-Milieu.
Noch ein Dauerbrenner, und das nicht erst seit der Erfindung des Schwedenkrimis, ist die versonnene Krypto-Landschaft. Hier: die zu Eis gefrorenen Verästelungen einer Baumkrone (oder ist es ein Schatten? Das Gangliensystem?). Dort: eine verschwiemelte Straßenszene, die auch ein Kettenkarussell sein könnte.
Überraschend beliebt sind auch laufende Kinder und niedergeschlagene Tiere. Oder die Rückkehr der Holzschnittgrafik aus dem 19. Jahrhundert, mit der bereits Charles Dickens seinen Serienroman The Old Curiosity Shop bebildern ließ. Und die man jetzt auf Büchern wie Dörte Hansens Altes Land wiederfindet. Und wahlweise auch die monitorfreundliche »flache«, fast scherenschnitthafte Illustration, die an die Fünfziger- und Sechzigerjahre erinnert und die man heute auf vielen heiteren Chick-Lit-Romancovern wiedersieht.
Niemandem aber begegnet man so verlässlich und häufig wie ihr, der Dame ohne Kopf, respektive Gesicht.
Wie kommt das nur?
Bei Romanen über Marie Antoinette oder Anne Boleyn würde man sich derlei nicht fragen. Aber wie ist es mit Stoffen oder Geschichten, in denen die Heldinnen nicht guillotiniert werden? Ist die Dame ohne Kopf ein alter Varieté-Trick, aber auch Bestandteil moderner Marketing-Strategien? Ist sie ein mokanter Wink, oder entspringt sie vielmehr dem Wunsch, es möglichst vielen Buchkäuferinnen recht zu machen? Wie wir ja wissen, möchte man sich mit seinen Romanhelden identifizieren, auch hat man eigene Vorstellungen davon, wie sie auszusehen haben. Wenn die Heldin laut Phantasie einer holden Meissener Schäferin gleicht, auf dem Cover aber rötlichblondes Rosshaar und eine aufstrebende Nase hat, könnte das schon irritieren.
Oder ist alles ganz anders?
Wolfgang Staisch weiß und erklärt es. Seine Münchner Agentur Zero ist seit 25 Jahren Marktführer für Buchgestaltung in Deutschland.
Herr Staisch, Fällt Ihnen selbst auf, wie häufig die Dame ohne Gesicht Buchcover schmückt?
Ja, da ist schon etwas dran.
Aus der Werbepsychologie, auch aus dem Magazinjournalismus kennen wir die Regel, dass der Mensch den Käufer direkt anzusehen hat. Warum gilt das für Bücher nicht?
Tatsächlich sind Buchcover, vielmehr ihre Entstehung, eine etwas okkulte Angelegenheit. Wir bekommen von den Lektoren ein Briefing ihrer Bücher, auf der Grundlage fertigen wir mehrere Entwürfe an, dann wird in einer gemeinsamen Sitzung darüber diskutiert. Frauengesichter polarisieren nun einmal, sind geschmäcklerisch. Vollabbildungen lösen also mehr Diskussionen aus.
Wen, außer die Lektoren, haben Sie beim Entwerfen noch vor sich?
Sicher, man bedient die Zielgruppe und deren Sehgewohnheiten. Vor allem aber muss man den Buchhandel überzeugen, und der ist traditionell nicht wahnsinnig experimentell. Hinzu kommen technische Sachzwänge. So ein Cover ist nicht besonders groß, man muss Optik und Typo unterbringen, nur selten funktioniert das übereinander. Wahrscheinlich auch ein Grund für die vielen Anschnitte und Rückenperspektiven der Damen: Sie sind spannender, wirken »gestalteter«, letztlich eben auch literarischer.
Gibt es weitere Trends?
Ich würde nicht wirklich von Trends sprechen. Aber Typografie ist ein klares Merkmal von Modernität. Früher wurde ein passendes Bild zur Typo gesucht, heute macht man sich die Bilder passend, sie sind fast alle montiert, retuschiert, es werden Lichteffekte addiert oder Filter eingebaut. Sie müssen heute auch als ganz kleine Abbildung – sprich: im Internet – funktionieren, auch das spielt eine Rolle. Häufig heißt es in einem Briefing: Das Cover von diesem Buch soll aussehen wie dieses oder jenes sehr erfolgreiche. Denn was erfolgreich ist, wird kopiert. Damit duplizieren sich Motive über die Jahre. So kommt es auch, dass auf der Bestsellerliste nicht unbedingt die am schönsten oder originellsten gestalteten Bücher zu finden sind. Von einem Krimi erwartet man beispielsweise die Farbkombination Rot, Schwarz und Weiß.
Bleibt die Cover-Ästhetik auf die Art nicht komplett statisch?
Nein. Der Weg zu einer Veränderung ist subtil, langsam, findet in Nuancen statt. Und irgendwann kippt es, weil jemand was anderes macht. Und damit Erfolg hatte.