Im Rahmen der »NaNe«-Party 2017, einer Veranstaltung des NachwuchsNetzwerks des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Berlin – Brandenburg, sprach Raimund Fellinger, Cheflektor des Suhrkamp Verlags, mit Fabian Thomas, Projektreferent des Börsenvereins, am 8. Februar 2017 im Buchhändlerkeller darüber, was einen guten Lektor ausmacht und wie die Programmarbeit funktioniert.
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Im Interview mit dem SZ-Magazin sagte Raimund Fellinger über seine Arbeit einmal: »Die Zeit der Oberlehrer, die ein rotes Fragezeichen an den Rand malen oder ›Ausdruck!‹ hinschreiben, ist vorbei. Ich notiere meine Änderungsvorschläge mit Bleistift an den Rand oder schicke einen Brief oder korrigiere direkt in der Datei, ohne die Funktion ›Änderung nachverfolgen‹. Die Arbeitsgrundlage lautet: Das sind meine Vorschläge. Macht damit, was ihr wollt.« Im Gespräch mit Fabian Thomas und dem Publikum bekräftigte er das erneut – doch zuvor stellte er sich den folgenden Fragen:
- Wie war Ihr heutiger Arbeitstag? (00:01:50)
- Wann lesen Sie Manuskripte? (00:11:04)
- Wie hat sich Ihre Arbeit über die Jahre verändert? (00:15:10)
- Wie gelingt der Berufseinstieg? (00:23:17)
- Welche Entscheidungen bereuen Sie und was ist Ihnen im Vergleich besonders gut gelungen? (00:28:05)
- Welche Rolle spielen Verkaufsargumente bei Programmentscheidungen? (00:32:00)
- Welche Kriterien müssen ›gute Bücher‹ erfüllen? (00:34:28)
- Wie oft gibt es das noch, dass Autorinnen und Autoren ein Werk schaffen, das als Werkausgabe erscheinen kann? (00:38:35)
- Wie viele Titel betreuen Sie pro Jahr? (00:46:13)
- Sind Autorinnen und Autoren heutzutage weniger ›dankbar‹ als früher? (00:47:11)
- Lesen Sie auf Papier oder am Bildschirm? (00:52:51)
- Würden Sie die Arbeit in einem Verlag oder der Buchbranche an sich empfehlen? (00:53:27)
- Wie sind Sie darauf gekommen, den Korrektur Verlag zu gründen? (00:59:23)
- Welche Kompetenzen müssen Lektorinnen und Lektoren für die Zusammenarbeit mit Autorinnen und Autoren mitbringen? (01:04:22)
Raimund Fellinger gab in seinen Antworten unter anderem einen Einblick in seine alltägliche Arbeit: Besprechungen mit Autorinnen und Autoren, Programmsitzungen im Verlag, aber auch das Verfassen von Klappentexten. Im direkten Kontakt mit den Autorinnen und Autoren seien vor allem Sensibilität und Empathie gefragt, betonte er. Als Lektor müsse er manchmal alles stehen und liegen lassen, was er stehen und liegen lassen könne, um ein abgeschlossenes Manuskript zu lesen: »Man muss sich einlassen, und der Autor muss davon überzeugt sein, dass man sich einlässt.« Andererseits müsse man sich auch trauen, die Autorinnen und Autoren zu kritisieren, und für Entscheidungen einstehen, die hart sein können, wenn Meinungsverschiedenheiten zum Beispiel unüberbrückbar werden, sodass man auf die Publikation eines Buchs verzichten muss.
Das größte Problem für Lektorinnen und Lektoren – wie für alle anderen Verlagsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter auch – sei dabei jedoch schon immer gewesen, dass sie unter Zeitdruck arbeiten müssen: »Gleichzeitig das Angekündigte abwickeln und ein Programm für das Halbjahr danach erarbeiten – und beides muss man unter Druck, aber trotzdem mit dem Anspruch, das Höchstmögliche und Beste zu erreichen. Das funktioniert, wenn man ehrlich ist, nicht immer.« Allerdings habe sich bezüglich dieses Problems über die Jahre nicht viel geändert. Veränderungen habe es eher in Bezug auf die Voraussetzungen und Prozesse gegeben, die beispielsweise die Herstellung beschleunigt hätten, und die digitale Textbearbeitung zöge auch Konsequenzen für das Schreiben nach sich. Man könne aber nicht unbedingt davon sprechen, dass Lektorinnen und Lektoren mittlerweile Produktmanagerinnen und -manager geworden seien, denn: »Im Prinzip hat sich die Arbeit nicht geändert.« Im Zuge dessen stellte er auch noch einmal heraus, dass Lektorin oder Lektor kein Lehrberuf sei. Ein möglichst generelles Studium sowie die Beherrschung einer exotischen Fremdsprache seien zwar von Vorteil und Praktika wie Volontariate würden lohnende Einblicke in die Praxis ermöglichen, letztlich spiele aber der Zufall eine große Rolle. Wenn man Lektorin oder Lektor werden wolle, solle man so viel Vorwissen haben, wie man nur haben könne, planen ließe es sich aber nicht.
Auf die größten Missgriffe und Fehleinschätzungen angesprochen, erklärte er, warum er den Erfolgstitel Empört Euch! von Stéphane Hessel nicht im Programm des Suhrkamp Verlags gesehen und deshalb abgesagt habe. Auch bei Umberto Eco habe er mal nicht aufgepasst, gab er zu. Aber wenn jemand behaupte, sie oder er habe nie falsch gelegen, dann hätten diejenigen ein schlechtes Gedächtnis, oder es würde sich um nachträgliche Besserwisserei handeln. Glücklicher sei es für ihn mit Ulrich Becks Risikogesellschaft gelaufen: »Ulrich Beck hat mit Risikogesellschaft einen Begriff geprägt, der die letzten vierzig Jahre bestimmt hat und sicher noch die nächsten vierzig Jahre bestimmen wird. Da kann man sich einigermaßen zurücklehnen und sagen: Hast du mal gut gemacht!« Dass bei derartigen Programmentscheidungen auch Verkaufsargumente, zum Beispiel der Zeitgeist, eine Rolle spielen würden, sei derweil gar keine Frage. Das wichtigste Argument sei jedoch, dass der Titel zum Programm des Verlags passe. Alle weiteren Kriterien – die wohlgemerkt für Literatur und Theorie unterschiedlich ausfielen – seien nur am Text direkt zu beantworten. Für einen neuen Autor, allemal im Suhrkamp Verlag, spreche allerdings, wenn die Lektorin oder der Lektor sich vorstellen könne, dass diese Person in der Lage sei, ein Werk zu schaffen. Aktuell würde die Gesetzgebung zur Urheberschaft es allerdings erschweren, ein solches Werk über zehn, zwanzig Bände zusammenzuhalten, da die Autorinnen und Autoren ihre Verträge nach einigen Jahren widerrufen könnten. »Dann können Sie die Idee, dass mal irgendwann ein Werk in ein und demselben Verlag erscheint, vergessen.«
Schließlich zeichnete Raimund Fellinger nach, wie aus seiner Präsidentschaft der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft die Idee für den Korrektur Verlag hervorging, der alles mache, »was in einen möglichen Zusammenhang mit dem Werk von Thomas Bernhard zu stellen ist«, zum Beispiel die Veröffentlichung der Briefe von Anneliese Botond, der ersten Lektorin von Thomas Bernhard, an den Autor. »Der Korrektur Verlag leistet sich in Bezug auf Thomas Bernhard Sachen, die sich der Suhrkamp Verlag nicht erlauben kann«, so sein Fazit. Der Korrektur Verlag ist also eher ein Liebhaberprojekt, für das sich ab und an Zeit findet: »Man gönnt sich ja sonst nichts!«