Im Zuge einer Vervollständigung der Bibliographie von Peter Suhrkamp – schließlich sollte man für den 70. Geburtstag des von ihm 1950 begründeten Hauses gewappnet sein – mussten die Jahrgänge der seit 1947 erscheinenden Zeitschrift Merkur daraufhin autopsiert werden, ob der Vortrag »Gegenwartsaufgaben des Verlegers« (1947, H. 5, S. 791-795) die einzige Publikation bis zu seinem Tod 1959 war. Dem war so. Im Novemberheft des Jahrgangs 1952 findet Peter Suhrkamp allerdings Erwähnung in einer Besprechung mit dem Titel »Geleistete Berufung«: Ihm komme das Verdienst zu, anlässlich des 75. Geburtstags von Hermann Hesse – immer diese Jubiläen, ich weiß, das kann molestieren – 1952 eine sechsbändige Ausgabe, Gesammelte Dichtungen, veranstaltet zu haben. Die Rezension von Karl August Horst wird im Inhaltsverzeichnis alles andere als bibliographisch korrekt angekündigt, nämlich als »Rezension zu: Siegfried Unseld: Das Werk von H. H., ein Brevier; Hermann Hesse: Gesamtausgabe«. Denn die Monographie trägt den Titel Das Werk von Hermann Hesse. Ein Brevier. Zum 75. Geburtstag des Dichters und weist Siegfried Unseld lediglich als Herausgeber aus. Auf sie (Berlin und Frankfurt am Main, 72 Seiten, 1 DM) geht der Rezensent jedoch nicht weiter ein, er zitiert aus ihr lediglich den Satz, wonach die Gesamtausgabe nur jene »Dichtungen« enthalte, die der Autor einer Aufnahme für würdig befunden habe. Somit galt das Urteil »geleistete Berufung« allein Hermann Hesse.
Knappe Rekapitulation zum Thema Unseld – Hesse: 1951 war Siegfried Unseld von der Universität Tübingen promoviert worden mit einer Arbeit über »Hermann Hesses Anschauung vom Beruf des Dichters«. Den Dichter besuchte er im selben Jahr in der Schweiz, und er muss beim Treffen sowohl einen bleibenden Eindruck hinterlassen als auch den eindeutigen Wunsch nach einer Verlagsbeschäftigung artikuliert haben, jedenfalls stellte Peter Suhrkamp ihn zum 7. Januar 1952 ein. Seine erste Aufgabe: die Erarbeitung eben jenes Brevier, das bereits vier Monate später zur Auslieferung an die Buchhändler anstand. Unter der gestrengen Anleitung seines prinzipiell strengen Lehrherrn brachte es auf der jeweiligen linken Seite bio-bibliographisches Material, auf den rechten Seiten Briefauszüge Hesses.
Eine eingehende Würdigung der ersten von Siegfried Unseld im Suhrkamp Verlag herausgegebenen Publikation druckte die in Ulm erscheinende Schwäbische Zeitung (für die er im Übrigen unter der Chiffre »ld« zahlreiche Bücher des Suhrkamps rezensierte), gezeichnet: »Dr. M. M.-G.« Mit dem Band Gedichte der Maria Müller-Gögler hatte Unseld 1947 sein Gesellenstück bei der Ausbildung zum Buchhandlungsgehilfen im Ulmer Aegis Verlag abgeliefert, weshalb es nicht weiter verwundert, wenn es in der Rezension heißt, der Herausgeber sei »nicht nur ein genauer und gründlicher Kenner des Lebenswerks von Hermann Hesse, er vereinigt überdies mit einer jugendlich glühenden Verehrung für den Dichter die Sachlichkeit der wahren Ehrfurcht.« Es wird als Vademecum für Hesse-Frischlinge wie -Connaisseure gepriesen, das vor allem die Nachwachsenden studieren sollten.
Der sonst mit Lob eher geizende gestrenge Lehrherr vermeldete in einem Brief an Hesse (22. Juli 1952), nicht nur habe das Baden-Württembergische Kultusministerium das »Brevier« an alle Primaner verteilen lassen, darüber hinaus werde es allen in Briefen zum Jubiläum an den Verlag »besonders erwähnt«. »Eine Reihe von Buchhandlungen hat es benutzt, um ihren engsten Kundenkreis damit zu beschenken.«
Auch wenn es zu den vielen historisch fragwürdigen Urteilen zählt, die Ursprünge zeitlich näherliegender Leistungen mit in die Vergangenheit projizierenden Erfolgen zu begründen, erlaube ich mir, die vom Rezensenten gewählte und auf das Werk Hesses sich beziehende Überschrift »Geleistete Berufung« als Charakterisierung einer der bedeutendsten verlegerischen Wirkungen von Siegfried Unseld zu begreifen. – Wird so aus der Fehllesung einer Überschrift von Hermann Hesse zu Siegfried Unseld eine Bestätigung des bereits Gewussten?
Siegfried Unseld verstand den Verlegerberuf nicht als im Augenblick sich ereignende oder durch äußere Umstände (sozialer, ideologischer Art oder als Erbverpflichtung) angeblich aufzwingende Berufung, für ihn waren Berufung wie deren tägliche Realisierung zu erarbeiten und zu erstreiten.