Auch wenn sich im Zeitalter von Google und Wikipedia das Beharren auf Genauigkeit vor allem im Umgang mit Daten als Anachronismus erweist – der Hinweis sei gestattet, dass 1989 die erste selbständige Publikation von Gérard Genette im deutschsprachigen Raum erschien, Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, übersetzt von Dieter Hornig, publiziert unter dem Titel Seuils (Schwellen) zwei Jahre zuvor im Verlag du Seuil (um Connaisseure der Wortspiele zu enttäuschen: in diesem Haus hat Genette alle Bücher veröffentlicht). Die deutsche Erstausgabe brachte der Campus Verlag auf den Markt, nicht der Suhrkamp Verlag, dessen Lizenzausgabe im suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2001 erschien. Es war nicht gelungen, den Verleger Siegfried Unseld davon zu überzeugen, das Buch ins Programm aufzunehmen: dagegen sprachen entweder als pedantisch und ergebnisarm verschriene strukturalistische Methoden, trotz Roland Barthes, oder der unvertraute Name (der in Frankreich seit 1969 Aufsatzsammlungen hauptsächlich zum Erzählverfahren bei Marcel Proust vorgelegt hatte), vielleicht auch die Aussicht, im eigenen Verlag eine Theorie der Lektorentätigkeit und Autorenaktivität zu präsentieren, die in seinen Augen etwas Selbstverständliches hatte: Klappentexte zu schreiben, Copyrightangaben sorgfältig zu formulieren, Zwischentitel zu gradieren, öffentliche Äußerungen der Schriftsteller etc. Deshalb griff der Lektor des Suhrkamp Verlags auf ein Mittel zurück, von dem er sich die Aufklärung seines Chefs über zurückliegende Irrtümer versprach: Er verfasste eine in den höchsten Tönen lobende Rezension des Buches, die Wolfram Schütte in der Frankfurter Rundschau zum Druck beförderte.
Zu kurz kam in der Würdigung die Distanz, die Ironie, in der Gérard Genette seine Unterscheidungen vornahm (bereits in deren Benennung: unter Peritext wird abgehandelt, was auf den ersten vier Seiten der Buchveröffentlichung vor sich geht, und der Epitext wird unterteilt in einen öffentlichen und einen privaten) und die taxonomisch geschiedenen Elemente in höhere Stufen reintegriert. Solche Zurückhaltung ist geboten, wenn man – wie Genette als einer der ersten – in seiner Theoretisierung als Fluchtpunkt die Tiefenstruktur abbilden will, aus der alle literarischen Werke hervorgehen und auf die sie zurückzuführen sind.
Der Titel der deutschen Ausgabe war, im Nachhinein, eine kluge Entscheidung, gerade weil die (einige Zeit später einsetzende) breite Rezeption des Haupttitels den Untertitel als falsch hinstellte: Wer gegenwärtig über Bücher redet und nicht weiß, was Paratexte sind, verliert sein Mitspracherecht (das gilt für das ganze ABC der Zunft: Ästhetik, Buchwissenschaften …, IT, … Lektoratsstudiengänge … Zeitzeugenbefragung). Die Konsequenz: Die im Untertitel noch als Beiwerk zum Werk abgewerteten sprachlichen Manifestationen gelten inzwischen als dem Werk ebenbürtig, ihnen wird die allergrößte Wichtigkeit (vielleicht zuviel?) beigemessen.
Jenen, die Paratexte nicht kennen, sei gesagt, dass das Statement, das sie gerade lesen, oszilliert zwischen verlegerischem Epitext, offiziösem allographen Epitext und öffentlichem auktorialen Epitext.
Nachrufe auf Gérard Genette sind u.a. hier erschienen:
Neue Zürcher Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Süddeutsche Zeitung
Le Monde