Im Zug las ich jene Stelle, auf die sich Didier Eribon bezog, als er am Dienstag (dem Tag der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse: 10. Oktober) auf die Bitte, er möge in einem Satz die Quintessenz seines Buches Rückkehr nach Reims benennen, erklärte, die gewünschte Kürzestfassung bestehe im Zitat des Diktums von Thomas Bernhard über die Schule als Ursache allen Übels. In Gesellschaft als Urteil, dem Band, in dem Eribon seine Vorgehensweise in Rückkehr nach Reims erläutert, stellt er der ödipalen Familienstruktur als Mittel der Erklärung individueller wie sozialer Entwicklungen ein anderes Instrumentarium entgegen: »Schule und Kultur sollten den ›Ödipus‹ im Zentrum der Analyse ersetzen. Thomas Bernhard hat recht, wenn er uns dazu auffordert, das Schulsystem als etwas aufzufassen, durch das wir die Eingeweide der Gesellschaft betrachten können.« Die Fußnote belegt, was jeder erahnt: der Autor hat hier natürlich den ersten Band der autobiografischen Erzählungen, Die Ursache. Eine Andeutung, im Sinn.
Bernhard zum zweiten: Beim Kritikerempfang des Suhrkamp Verlags auf der Buchmesse (Mittwoch: 11. Oktober) befragte ich Eribon ganz ungeniert, wie er denn auf Bernhard aufmerksam geworden sei. So erfuhr ich nicht nur, dass er ein begeisterter Bernhard-Leser und -Gläubiger ist, vielmehr zitierte er auf Deutsch den Anfang des Einleitungssatzes aus dem zweiten Band der Autobiografie, Der Keller. Eine Entziehung: »Die anderen Menschen fand ich in der entgegengesetzten Richtung …« Auf diesen Satz habe er seine Entscheidung zur Abkehr von seinem ursprünglichen sozialen Umfeld gegründet. Auch wenn dieser Satz eher eine gelungene Erfindung war und nicht so sehr als Aussage über Bernhards Handeln gelten darf und wenn, ironische Umkehrung, bei Bernhard die entgegengesetzte Richtung in der Abwendung von der Schule und der Hinwendung zur Kaufmannslehre lag, vollzog sich diese Bewegung bei Eribon genau in die entgegensetzte Richtung, als Hinwendung zur Academia: das tut der Erklärungskraft des Satzes für Eribons Selbstanalyse keinen Abbruch.
Im Zug wollte ich mich auch vergewissern, worin der exakte Wortlaut einer mutmaßlichen Äußerung Thomas Bernhards bestand, die bei einem von der Zeitschrift Crime, »dem True-Crime-Magazin des stern«, veranstalteten »Crime Talk« im Lesezelt der Frankfurter Buchmesse (Samstag: 14. Oktober) vom Moderator, dem Österreicher David Baum, in die Debatte geworfen wurde: »Ich, Bernhard, kann mehrere Menschen umbringen.« Es handelt sich bei diesem Spruch unzweifelhaft um eine Aussage Bernhards im SPIEGEL-Interview aus dem Jahr 1980, die von der Redaktion über das gesamte Gespräch gestellt wurde: »Auch ich könnte auf dem Papier öfter jemanden umbringen. Aber eben nur auf dem Papier.« Die anwesenden Autoren der Kriminalliteratur konnten nur Zustimmung bekunden.
Ach ja, viertens: da fand am Sonntag die Nationalratswahl (15. Oktober) in Österreich statt: Könnte man aufgrund der Wahlresultate nicht versucht sein, die prophetisch-diagnostischen Fähigkeiten des Autors Thomas Bernhard zu unterstreichen?