Auf dem Weg zur Konferenz, der die Autobahn 2 war, saß ich neben meinem Freund Arnold G. auf der Rückbank eines Tesla Model S. Wir sprachen über Liebesgedichte und Faschismus. Zur Unterfütterung seiner Thesen las mein Freund von Zeit zu Zeit aus Bolaños Stern in der Ferne vor. Einmal, unsere Fahrerin beschleunigte vom Rasthof auf die rechte Spur und von dort auf die linke, verfiel Arnolds an und für sich angenehme Stimme zwei Mal zwei Komma sechs Sekunden lang in apathischen Singsang, das Lallen erschlaffter Muskulatur: »Einer der Gefangenen, der Norberto hieß und im Begriff stand, verrückt zu werden, versuchte, auf den Zaun zu klettern, der den Hof der Männer von dem der Frauen trennte, und begann zu schreien: eine Messerschmitt 109, ein Messerschmitt-Jäger der Luftwaffe, der beste Jäger von 1940«, schrie Arnold. »Ich schaute ihn scharf an, ihn und danach all die anderen Häftlinge, und alles schien in ein durchscheinendes Grau getaucht, so als würde sich das Lager La Peña in der Zeit auflösen. Der verrückte Norberto krallte sich wie ein Affe an den Zaun, lachte, rief, der Zweieieite Weltkrieieieg seieiei auauauf die Erde zurückgekehrt, sie hätten sich getäuscht, die den Dritten erwartet haben, es sei der Zweieieite, der wieieieder- und wieieieder- und wieieiederkehrehrehre.«
Ängst is now a Weltanschauung machte dann schon voll Spaß, knapp vierzig Autorinnen waren ins Ballhaus Ost gekommen, um über das zu sprechen, was allzu oft und irr »Rechtsruck« genannt wird, ganz so, als habe auch in Europa ein Pinochet geputscht, als sei hier jüngst ein Allende ermordet worden und mit ihm ein System untergegangen, an das zu glauben mehr als die sich verausgabende Batterie einer Pinguinrutsche bedeutet habe. Am dritten Tag kam Thomas Arzt fix und fertig aus der Mittagspause zurück, er sei gerade angerufen worden, Deutschlandfunk, sagte er, Maja Ellmenreich, sagte er und wischte sich Schweißperlen von der Stirn. »Reden Sie auf ihrer Konferenz eigentlich nur über rechts oder, etwas vereinfacht gesagt, auch mit rechts«, habe sie gefragt und weiter: »Aber rein theoretisch ist es für Sie auch völlig in Ordnung, ins Gespräch mit rechten Stimmen zu treten, oder wollen Sie lieber unter sich bleiben, so wie Sie das jetzt auf dieser Konferenz tun?« Und da wunderte ich mich also ein bisschen über Maja, war es mir doch gar nicht so vorgekommen, als hätte ich die letzten Tage in einer homogenen Gruppe verbracht. Antifaschismus ist ja genauso wenig eine Tugend wie das eigene Alter oder das Wissen darum, dass die Welt keine Scheibe ist, und politisch eben nicht links oder rechts, sondern, so dachte ich, immer noch ein gesellschaftlicher Konsens, von der Bundeswehrgeneralin bis zum Krankenpfleger, Raumpfleger und jeder Verwaltungsangestellten der Humboldt-Universität zu Berlin. Wer, grübelte ich, wer sollen diese »rechten Stimmen« überhaupt sein, von denen Maja sich wünschte, Nazis und Goldmund hätten auch sie eingeladen? Stößt man, um mal nur ein Beispiel zu nennen, an den rechten Rand der SPD, wartet dort ja nach wie vor Thilo mit seinen in der DVA erschienenen Büchern, und so, wie ich die Leute um mich herum wahrnahm, wäre es für niemanden ein großes Ding, mit einer Lektorin des Verlags zu sprechen.
Als die Konferenz vorüber war, hörte ich gerade den Song Du Hund auf meinem Walkman: »Was gibtʼs, was mir nur der Rektor sagen kann? Mein Magen tut mir weh, ich will nicht in die Schule«, als Arnold hupend auf der Pappelallee hielt, und da bestieg ich also die sichere und aufregende Limousine, in der mein Freund mir anvertraute, niemand habe ihm gesagt, dass man sich in einer Stadt Parkplätze mieten könne.