Der Livländer Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) wuchs auf im zweisprachigen Raum, der Ort selbst trug zwei Namen: Dorpat (deutsch) und ebenso sein Anagramm: Tarbot (livisch). Man spricht fließend: lettisch, estnisch und – gebrochen – deutsch. Dementsprechend kommen ebenso drei gleichsam koexistierende Zustände zu sich, zur Sprache zusammen, in einander (häufig) überlagernden, (unaufhörlich) immerzu intermittierenden und (fortdauernd) iterierenden, (währenddessen) zurückweichenden und (stimmig) wieder untereinander einholenden Perioden, schwankenderen Phasen und oft trollatisch wechselständigen Unruhen und Tonlagen.
Wie ein von Bülten und Palsen gedrupft buckeliges Ungelände mit verhökerten Horsten und Windsandsenken und knuppigen Bröckel-, fast Kies-Drumlins, Inversions-Holme und Wort-Motten, wie Gnomen graues Gestein, Felsflächen und Schrammen: alles Wink-schliffe Riß- und Geschiebeformen, mit lettischen Findlings-Lehnwörtern im Livischen durchsetzt, esthnische phrasierte Flinstänze und Lieder aus gestanzten Wörtern, die auf die Welt vergessen sind, nur unbedingt beides, auftauchen und erscheinen. Was sie sagen bzw. selbstvergessen tun, aber kein Ding davon wüssten zu erinnern, nicht ununterdessen – umständehalber mitunter allenthalben Bedingungen: ist das Buch? Eins?
Ein »Areal-Abecedarium im Livland-deutschen Wortlaut«, d.i. livisch-deutsche Wörter aus der Lebenszeit des späten Lenz sowie die suffixlosen Laut- und Geräuschwurzelverben als »Herde der Verkehrung« (Lenz) ummantelt die Bewandtnisse und verschränkt sich mit arealen Wortaggregaten aus eigenlos verstehensfreiem Deutsch. (Beispiel: alfanzen Baruschnik, Czekan, Deicht und Deistel, einkowern, Fallblan, Hackelwerk, iandern, Mälzlis marachen, Närig, Padocken-Pagler, Quaddel-Jahn, Sachtliken, Tannaw, Wadmal, Yunnan, Zehnder)
Schon die baltisch areallinguistische Sprachungemeinschaft bildet, verbindet und formiert die arealen Areale ihrer Wind-sedimenten Landschaft, wo Worte (wie Blumen) blühen aus den Dünen und treiben (rogel, wie Wolken, aus der Luft gegriffen), Flick-Wortfetzen in Lettisch und Estnisch inzwischen: Der eingedeutschte Dichter Lenz erlernt (»Luftgeistersprache«) sprechen auf dem Brodelboden eines nichtdeutschen Fundaments aus Trümmersprachen, strukturdurchsetzt von Abschellerungen und Splitt-Silben zerscherbelten Satzwort-Koppelungen und Wortsatz-vergabelten syntaktischen Netzen. Und selbst das wenigdeutsche Wort »Grenze« wurzelt, wortwörtlich, in ebendiesem Sprachareal – als Verpflanztes, nicht Gesätes; – »graniza« meint »die deutsche Eiche«.
Solche phontaktischen, unbeständig changierenden Grenzen zwischen der deutschdeutschen Restsprache und den slavisch-baltischen, ja, ideophon glänzenderen Wortwechselbälgern sind, wie Unlinien ineinander (geminierend) auf der einen Hand, die unter den je anderen der beiden, Joch-verschiedenen, Linz und Lunz sind und tun. Anverwandelt als Akustisches Krakelee, schlucklaute Silbenknäuel, labiale Zungen- und Mundwurzellaute, Räuspern, Schmatzen, das Atmen und Schnalzen komplexer Wort-für-Wort-Aggregate und Zusatz-Strukturen mit Silbenschnitt-lispelnden Ton-Koppelungen »und und und«.
Jedes Wort für Wort verspricht, ist und hat seine Zeit. Die Gegenstände bleiben nicht umgeformt, umrandet und ausgestanzt durch und durch, die Sprache, vielmehr Schemen, Schatten und Konturen treten in Erscheinung, umrissen von uneintönigen Umlauten davon, welche den bloßen Äußerungen ihre innere Kindheitsform entsinnen: jede Welt in der Welt mündete aus einer Kinderwelt von A bis Z, von Kujen, Riegen und Saden verhäufte Schwaden in den Sielen (das Livland des 18. Jahrhunderts): in der Tatform schlafendere Wiesen, »untergegangene« und bedeutungsleere, wortförmig plötzliche, sofort wieder zerfallende, geborgte Iktus-Silben disparat (von »abängstigen« etwa bis »Zibchen«). Wort für Wort erfährt dadurch eine springlebendig purzelnde Darstellung der »Idee des Lenzens« in Weltgestalt, fast metrisch a-taktiert versetzte Einzelereignisse bald und oft unvertauter Laute. Eine hellfarbige Glossen- und Stoßton-Prozession in Form von Worten und Formen ohne Worte unzusammengehöriger Namen und Dinge, rhythmisiert durch Wörter und Sachen, zwischen denen sich die Grenzen- und Ideengeschichte der innerdeutschen Grenzen des Verstehens ohne Fäden zieht.
Unzusammen mit Zäsuren bilden sich-in-sich andauernd rhythmische Inversionen der nichtsdestotrotz stromernden Sprach- und Fließgefüge ineinander aus, um die die ganze Zeit ganz, auf Lücke gesetzt und zerstückt, in eben der Weise zerredet erscheint wie die Schwebungen im zeitleeren Wortraum Ton-in-Ton: Die Sätze sind (und springen), wie Steinchen über das Wasser pitscheln (und dort Figuren zeichnen): Jede Vorstellung davon ist ein rumorender Ohrwurm (ging Lenz durchs Gebirg?) und wird wortstill umbetont zu einem jetzt völligeren Gewoge allein selbstverständlicher Worte einer ganzen Menge davon, für die gilt: wo viele Worte sind, ist viel Stille.
Und wenn Lenz einräumt, man solle ihn lieber Linz oder Lunz heißen (Lanz und Lonz), als zu glauben, dass sich im Namen etwas (noch und noch) anderes zutrüge, sagt er dennoch mit und zugleich, unentwegt interferierend ins Livische, von einer Niederung, vom öden Niederwald, dass er zwirnt und eine Neigung dafür zeigt, was den Ausschlag gibt: Lants und lonts sind im Livischen tautologisch wie die Waldung, von Stamm zu Stamm vorschreitend, auch). Und lunz ist (istert) das, was seiner Diktion sooft einfloß, luns meint: »quabbeln«. So wie das livische Wort Lenz die »Öse« zum Zuhaken übersetzt, als Kettenglied, Schleife oder Bändchen. – Ist, weiß und bleibt Linz und Lunz die Frage nach dem Deutschen eine deutsche Frage?