– tag 6. es ist samstag, der 8.7.2017.
ich bin in klagenfurt, sitze erhitzt in meinem hotelzimmer, na ja.
draußen lockt ein praller, heißer sommertag: eisdielen mit neckischen verkäufern, ein badesee, der einfach nur wunderbar ist, touris in urlaubskleidern und strohhüten. und über allem das träge, ruhige flair der kleinstadt. ich genieße das, tag 2 bis 4 waren angenehm, es ist schön hier. aber heute finde ich da irgendwie nicht rein. deshalb bleibe ich im hotel, esse mehrere nutellabrötchen (selbstverpflegung), schwitze viel und meide den fernseher. in dem wütet vermutlich g20, polizei-armee in hamburg, berichterstattung mit fokus auf krawalle anstatt auf das, was drinnen reiche über arme draußen beschließen. und dazwischen irgendwo orf und der große bachmannpreis. das alles halte ich heute fern.
– kurz bevor ich angereist bin, erzählt mir L in berlin, immer wenn sie den namen ingeborg bachmann höre, denke sie an diesen einen song der beatles:
eleanor rigby / picks up the rice in the church where a wedding has beeeeen / lives in a dreee-aaam / sie höre dann stets die melodie des liedes, aber mit ingeborg bachmanns namen anstelle eleanor rigbys. als L lauthals los singt: ingeborg bachmann, lalalalaaa lalalaaa lalalaaa lala-laaaa …, ahne ich, dass mich diese melodie in klagenfurt begleiten wird. so kommt es dann auch, jeden tag. manchmal singe ich sie leise vor mich hin, ingeborg bachmann, lalala …, unter der dusche. manchmal auch laut am lendkanal, wenn ich mich allein glaube und fahrrad fahre.
– lange bevor ich angereist bin, stehe ich in einer engen new yorker postfiliale in williamsburg und schicke meine bewerbung für den literaturkurs ab. (damals weiß ich noch nicht, dass die tutorien äußerst fundiert und gut sein werden, dass ich in klagenfurt mit komplimenten überhäuft werde, schöner text starker text wichtiger text, dass ich so lange visitenkarten von fremden zugesteckt bekomme, bis ich irgendwann nachts im hotel nervös und traurig auf dem klodeckel sitze, mit einem nutellabrötchen in der hand und dem gefühl im magen, der nächste, gut verkaufbare, kurzlebige trend zu sein.)
die postangestellte, die gerade noch ausgerufen hat, aus chile kämen die schönsten frauen, das sähe man ja wohl an ihr, haha! – bemerkt in letzter sekunde, dass sie australia statt austria in den computer eingegeben hat. lachend korrigiert sie die anschrift und wiederholt zweimal den namen des empfängers, in breiter, us-amerikanischer aussprache: heimo strempfl. heimo strempfl – is that a real name? als ich wenige monate später heimo strempfls freundliche hand schüttle, verkneife ich mir die frage.
eigenartig, denke ich jetzt, dass diese post aus einer welt & einem moment in eine so andere welt mit so anderen momenten gereist ist. und dass sie mich aus meinem alltag in ein paar holiday-meets-business-momente des literaturbetriebs manövriert hat.
– an tag 5 treffe ich mich mit verschiedenen leuten, die für die literatur arbeiten. ich rede so lange über mich, bis ich mundgeruch habe. später, auf dem heimweg, bitte ich jugendliche um eine zigarette, wir kommen ins gespräch. klagenfurt ist tot, sagt eine angetrunkene 20-jährige resigniert. aber in graz gehe es ab. ihre augen kommen ins leuchten, ich bin überrascht. die klagenfurter jugend, hatte ich angenommen, sei bestimmt froh hier. das große graffiti in einer unterführung hatte ich als hinweis darauf gedeutet: ENJOY LIFE! neben die breitflächigen buchstaben waren sogar zwei waffeln mit bunten eiskugeln gesprüht.
später entdecke ich noch mehr street art:
ich weiß nicht, was das ist. es gefällt mir gut.
ich weiß nicht, was das soll. es gefällt mir nicht.
diese skulptur steht im fenster der rezeptionshalle meines hotels als eine von vielen. ich bin zu lasch, irgendwen verantwortliches anzusprechen und zu erklären, weshalb das exotisierende skulpturen-ensemble von elefanten, zebras und dunkelhäutigen männern mindestens fragwürdig ist. lieber fahre ich an den see und tauche durchs weiche, türkisblaue wasser. na ja, denke ich später, vielleicht ist es gut, auch mal urlaub von den eigenen überzeugungen zu machen.
nein, denke ich jetzt, ist es nicht.
und deshalb kann ich auch diesen bachmann-preis nicht weiter verfolgen, der fernseher bleibt ausgeschaltet. die von teilen der jury genussvoll performte bösartigkeit greift mich an. ich habe sie gestern, an tag 5, nicht verdauen können. mit nutellabrötchen geht das leichter, obwohl auch die irgendwie problematisch sind. hätte ingeborg bachmann nutella etwas abgewinnen können? vielleicht, denke ich erschrocken, dreht und wälzt sich die arme frau seit 41 jahren in ihrem grab herum. vielleicht gräbt sie ihre nägel seit 41 jahren in erde oder holz oder was auch immer um ihre überreste herummodert, und formt lautlos die worte: bitte aufhören! die öffentliche vernichtung von schriftsteller*innen ist nicht in meinem sinne! leute please, stop it, ich war doch cool drauf, mir ging es um inhalte! ach verzeihung, diese teigware mit der schokoladenen butter, die sieht interessant aus, dürft‘ ich wohl –
– ingeborg bachmann!
lalala-la lala-la lala-la lala-laaaa!
– die tage in klagenfurt sind angenehm ereignislos, vieles wiederholt sich. mein alberner ohrwurm, das baden im see, das fahren der immer gleichen wege mit dem rad, ständig mit netten leuten abhängen, die ich kaum kenne, das sprechen über texte.
aber auch:
kack-dynamiken wahrnehmen. in der art, wie frauen und männer in der jury zu wort kommen, welche redeanteile es gibt, wer sich wie durchsetzt. wenn sich ein männerbund zusammenfindet, um dem von einer frau vorgelesenen text »frivoles« anzukreiden. wenn kurz zuvor ein inhaltlich ähnlich »frivoler« text eines mannes kollektiv als großartig befunden wurde. wenn willkür zu macht wird. wenn immer noch nicht gegendert wird, wenn über die jury und die zum wettbewerb eingeladenen gesprochen wird, als hätten sie alle einen penis. wenn rassistische, kleine spitzen mich piksen, ohne es zu wollen: die skulpturen in meinem hotel. jackie thomaes text, der das wort anschwärzen benutzt und legitimiert, als wäre egal, dass in der deutschen sprache die meisten verbindungen mit dem wort schwarz/dunkel negativ, und die meisten verbindungen mit dem wort weiß/hell positiv besetzt sind. schwarzmalen, schwarzfahren, schwarzarbeit, sich schwarzärgern vs. weiße weste, helle sein, helles köpfchen usw. jackie thomaes text, der, so sympathisch ich sie als person finde, das leidige denkmuster wir, die weiße gesellschaft vs. die, das sind die anderen aus fremden kulturen reproduziert. jackie thomae, auf die ich mich viel mehr beziehe, als ich möchte. was ist da los? ich verrenne mich. nicht der text ist das problem, sondern die art, wie er besprochen wird. im internet lese ich verschiedenes und denke: mir sind die augen aufgegangen.
»The jury collapsed in their own Germanic whiteness to an extent that should be part of a curriculum in a critical whiteness course. It was almost like a performance. Klaus Kastberger, who teaches in Graz, said: ›we have to learn how to use servants again properly. They used to have rules for that and how we are lost without the rules.‹ He also asked to be explained the foreigner’s motivation because it wasn’t entirely clear to him. Why would he be intimidated by a washing machine (the story (…) says literally: he didn’t want to break another expensive machine that he could never pay for). Meike Feßmann said we need to have a discussion about his cultural background and how it influences his actions, echoing, partially WORD FOR WORD, the statement of the white woman in the story who, in case that wasn’t clear, wasn’t supposed to provide a how-to of white behavior. The protagonist takes selfies ›to impress the girls‹, but somehow that didn’t reach Hubert Winkels, who thought it was a picture to impress the relatives ›in Bosnia, Senegal or wherever‹ (IN BOSNIA, SENEGAL OR WHEREVER). TWO different judges used the phrase ›clash of civilizations‹ to describe what happened, and Michael Wiederstein (…) thought the ›moral of the story‹ was that people should clean more themselves. Kastberger repeated that this was not how you treated servants, that in the 19th century Austrian monarchy, servants were treated much better and we should learn from that and I think it was at this point that I may have lost my mind.«
oder andere beispiele:
die neckischen eisverkäufer, die mich einfach nicht auf deutsch ansprechen. die verkäuferin in einer boutique, die mir sagt, es gäbe das kleid auch in nude, also in hautfarbe, womit sie ihre eigene meint. eine literaturagentin, die mich an einem abend mit einer handpuppe in gestalt eines pferdes anspricht. das pferd bewegt sein maul, die literaturagentin spricht mit verstellter, hoher stimme, redet etwas von fans auf twitter. dann sagt sie bzw. das pferd zu mir, es sei ein schaf. seine und meine haut seien gleich. erst heute, an tag 6, kapiere ich, sie meinte: sie ist ein schwarzes schaf.
es gibt vieles, über das ich ausgiebiger schreiben sollte, wütender oder analytischer, denke ich und wische mir das nasse gesicht am saum meines t-shirts ab.
es ist immer noch heiß im zimmer, draußen immer noch intensiver sommer, blauer himmel, schwüle luft. der wörthersee, die berge, das gefühl von urlaub, alles greifbar nah. na ja, denke ich, vielleicht mache ich später weiter, nachdem ich ’ne runde schwimmen war. oder na ja, denke ich, vielleicht auch nicht.