Nach welchem System ordnen Sie Ihre Bücher?
Die Buchsortierung folgt einer simplen Mischung aus Sprachen, Fachgebieten und Erscheinungsjahren mit großzügiger Unschärfetoleranz, und dann gibt es, wie in jeder guten Bibliothek, die Regale mit den Neuanschaffungen, die noch überhaupt nicht sortiert sind und es vielleicht nie sein werden. Viel interessanter aber ist die Sortierung von Kleinkram. Die Zuordnung geschieht möglicherweise zufällig, wahrscheinlich aber dank komplexer unterbewusster Sinnzusammenhänge. Vor Poe liegen dadurch beispielsweise ein paar Lippenstifte, ein Kerzenstummel und ein Rosenkranz. Vor den Wörterbüchern steht eine Playmobilfigur im Badedress und ein Foto meines Großvaters. Zu Kant hat es eine McDonald’s-Minion-Figur geschafft, die singt, wenn man ihre Gitarre herunterdrückt. Im Iran-Regal befindet sich eine zum Stiftehalter umfunktionierte Blechdose mit der Aufschrift Soviet. Diese einfach ins Regal mit kommunistischer Theorie zu räumen, kann nur Menschen ohne Sensibilität für unterbewusste Sinnzusammenhänge unterlaufen.
Welches Buch lesen Sie gerade?
Die von Ramachandra Guha zusammengestellte Auswahl Makers of Modern India und Judith Schalanskys Verzeichnis einiger Verluste.
Wie weit reicht Ihre Sammlung zurück?
Sicherlich gibt es einige Exemplare, die älter sind als die einhundert Jahre alte Miniaturausgabe von Goethes Faust, aber die hat eine Widmung, die man nicht oft genug zitieren kann: »Hoffe nicht zu viel vom Leben zu erwarten, und du wirst mehr bekommen, als du erwartet hast.« Dies schrieb Frau C. Janssen einer gewissen Käthe am 6. Mai 1918, einen Tag vor dem Frieden von Bukarest, ein halbes Jahr vor der Ausrufung der Republik, etwas mehr als ein Jahr vor der Unterzeichnung des Versailler Vertrags, und ich frage mich bis heute, ob Frau C. Janssen ihrer Zeit voraus war oder ihr nicht hinterherkam. Ihrem Rat zu folgen ist mir ein ums andere Mal missglückt.
Welche Bücher liegen Ihnen besonders am Herzen?
Bücher von Freunden.
Welches Regal liegt Ihnen besonders am Herzen?
Das ist eine Treppe, die ins Nichts führt und auf deren Stufen vor allem Kinderbücher untergebracht sind. Wer will, kann das neben der praktischen Nutzung auch als große Parabel auf das Lesen im Allgemeinen und auf die Kindheit im Besonderen nehmen – der Interpretationsfreude seien keine Grenzen gesetzt.
Welches Buch hat Ihr Leben verändert?
Siehe Frage 3
Welches Buch haben Sie zuletzt verschenkt?
Marion Poschmann, Die Kieferninseln. Ich verschenke gerne Bücher von ihr, aus grundsätzlicher Begeisterung und weil ich mir einbilde, dass durch meinen Buchkauf die Autorin in noch goldenere Zeiten gelangt. Mir ist bewusst, dass ich meine Kaufkraft in diesem Zusammenhang überschätze, aber andere Menschen glauben, dass sie das Weltklima retten, weil sie keine Avocados mehr kaufen. Wissen Sie, wie viel Wasser eine echte Avocado beim Heranreifen verbraucht? Fiktionale Kieferninseln sind definitiv die bessere Wahl.
Wie sieht/sähe Ihre ideale Bibliothek aus?
In jedem Fall würde sie neben Poe und Kant auch Lippenstifte und Minion-Figuren umfassen.