Fünf unverbundene Gedanken, Personen und Ereignisse aus meinem Leben, die, zusammengedacht, »Für immer schön« sehr nahekommen
I. American Way
Am Rand meiner Heimatstadt Grand Rapids in Michigan (wo dieses Stück spielt, wie die meisten meiner Stücke) liegt die Firmenzentrale des multinationalen Direktvertriebkonzerns »Amway«, eine Abkürzung für American Way. Ein Sektenexperte beschreibt den Konzern so: »Amway verkauft ein Marketing- und Motivationssystem, Lebenssinn und Lebensstil mit der Inbrunst von Kundgebungen und politisch-religiösen Wiedererweckungsbewegungen.«
Vor vielen Jahren, nach ein paar schweren Schicksalsschlägen, heuerte meine Tante Fay bei Amway als »Beraterin« an, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, und verkaufte Kosmetika und Lebensstil in unserer Nachbarschaft. Für immer schön ist ihr gewidmet. Eine Tür-zu-Tür-Verkäuferin von Schönheitsartikeln ist ein leichtes Ziel, ein amerikanischer Archetyp der Lächerlichkeit. Aber wenn es meine Absicht gewesen wäre, meine Tante lächerlich zu machen, hätte ich ihr das Stück weder gewidmet, noch würde ich hier explizit über ihr Leben sprechen. Obwohl ich dieser Bemerkung voranstellen sollte, dass ich die meiste Zeit meines Lebens Fay durchaus für eine Witzfigur gehalten habe. Ein Bild des Jammers! Ein Leben als Farce! In ihrer Welt war der Verkauf von Kosmetika so ziemlich die höchste menschliche Errungenschaft. Als das Leben ihr eine Schnitte Schwarzbrot reichte, tat Fay so, als verspeise sie Kaviar mit der russischen Großfürstin. Aber auf dem Weg zum Stückeschreiber ist es ein Geschenk, sich in Menschen hineinzuversetzen, die anders sind als man selbst. Und je älter ich wurde, nach eigenen schweren Verlusten und Rückschlägen, verwandelte sich Fays Fähigkeit, ihre Kämpfe lächelnd zu bestehen, für mich immer mehr in eine merkwürdige Würde. Für immer schön begann als Versuch, für Fays Leben Mitgefühl zu entwickeln.
II. Mr. Calmers/Aristoteles
Aus Gründen, die ich bis heute nicht verstehe, ließ unser Lateinlehrer in der High School, Mr. Calmer (der in Alles muss glänzen als Serienvergewaltiger auftritt) unsere Klasse ganze Passagen aus Aristoteles’ Poetik auswendig lernen und laut im Chor aufsagen. Als 15-Jähriger intonierte ich: »Die Tragödie ist eine Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache, wobei diese formenden Mittel in den einzelnen Abschnitten je verschieden angewandt werden. Durch Nachahmung von Handlung, nicht durch Bericht, durch Jammer und Schaudern, die eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirken.«
Was zum Teufel soll das? Was bringt einen Lehrer in einer öffentlichen High School in einer kleinen Stadt im mittleren Westen auf die Idee, seine gelangweilte Klasse riesige Brocken Aristoteles auswendig lernen zu lassen? Ob es eine unbewusste Prägung ist oder auch nicht, meine letzten Stücke haben sich alle an die drei aristotelischen Einheiten von Handlung, Zeit und Raum gehalten. Ist das nur nerdige Wichserei? Warum schreibt man Stücke, die in Echtzeit an einem Ort spielen? Wen interessiert das, außer deinem bescheuerten Lateinlehrer?
Gute Fragen, danke!
Hier kommt meine Antwort: Theater hat sehr wenige Vorteile gegenüber Film und Fernsehen, aber Aristoteles’ Einheiten helfen, den einen großen Vorteil zu betonen – dass da eine Gruppe warmer Körper im selben Raum sitzt und echten Menschen zuschaut, die sich ohne Werbeunterbrechung eine Geschichte erzählen. Ein Stück, in Echtzeit erzählt, nimmt automatisch Fahrt auf, je weiter es vorankommt. Da ich auch Stücke geschrieben habe, die sich nicht an die drei Einheiten gehalten haben, würde ich sagen, dass Aristoteles’ dramatisches Ziel, »Jammer und Schaudern hervorzurufen und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen zu bewirken«, leichter erreicht werden kann, wenn man sich an die griechischen Formenregeln hält. Ich behaupte nicht, Sophokles zu sein, aber ich kann zumindest nach denselben Regeln schreiben, ungefähr so, wie ich Roger Federers Tennisschläger benutzen kann, ohne unbedingt Wimbledon zu gewinnen. Mr. Calmers ist pensioniert, aber ich sollte mich vermutlich bei ihm bedanken (und mich dafür entschuldigen, dass ich aus ihm einen Serienvergewaltiger gemacht habe, wo er doch, so viel ich weiß, niemand vergewaltigt hat, und schon gar nicht in Serie).
III. Straßen der Kindheit
(Das Zuhause der Einbildungskraft)
Als Kinder spielten meine Freunde und ich »Himmel und Hölle« auf einem Spielfeld, das wir vor unserem Haus in einer ruhigen Vorortstraße mit Kreide auf den Asphalt zeichneten. Wenn wir Cookie treffen, hopst sie singend durch »Himmel und Hölle« vor einem Haus in einer ruhigen Vorortstraße, obwohl ihre Füße schmerzen. Sie zieht einen ihrer hochhackigen Schuhe aus, er ist voller Blut, sie schüttet es aus. Sie zieht den anderen Schuh aus, da ist noch mehr Blut, sie schüttet es aus. Dann setzt Cookie ein strahlendes Lächeln auf und geht los, um an die Tür zu klopfen und Schönheitsprodukte zu verkaufen. Indem ich dieses verrückte Bild im Haus meiner Einbildungskraft abspeichere, fällt es mir leichter, extreme Situationen emotional zu erden.
IV. Being there
Als Schüler sah ich 1979 den Film Being there (Willkommen, Mr. Chance) mit Peter Sellers. Das war anders als alles, was ich je gesehen hatte, der Tonfall war so seltsam, die Komödie so unaufgedreht, ich war fasziniert. Am Ende des Films, wenn die Hauptfigur buchstäblich auf Wasser wandelt, hören wir aus dem Off eine Totenrede, Zitate aus dem Leben des gerade Verstorbenen, der ein sehr reicher Industrieller war. »Als ich ein Kind war, erzählte man mir, Gott habe den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen. In diesem Moment beschloss ich, Spiegel herzustellen.« Als ich begann, Für immer schön zu schreiben, tauchte dieser Satz ungebeten in meinem Kopf auf und erwies sich als der perfekte Grund für Cookie, Kosmetika zu verkaufen, um Gottes Liebe zu beweisen.
(Eine Nebenbemerkung zur Kreativität,
um die es in diesem Essay im Grunde geht)
Man sollte keinen magischen Hokuspokus um die Kreativität machen; Leute, die behaupten, Inspiration käme aus irgendeinem Jenseits, wollen nur besonders cool wirken und die Normalsterblichen ausgrenzen, die für ihre Kunst hart arbeiten. Kreativität ist nichts anderes als Kleinkram, zusammengefügt in einem noch nicht dagewesenen Muster. Eine Zeile aus einem Film. Ein Lateinlehrer. Himmel und Hölle. Eine gruselig sektiererische Direktverkaufsfirma. Winzige Teile, die zueinander finden, wenn Du lange genug wartest (und ich habe über zwanzig Jahre auf dieses Stück gewartet), die sich gegenseitig anziehen, abstoßen und wieder zusammenkommen, um zu einem Kunstwerk zu werden, ob es nun ein Gedicht, ein Lied oder ein Gemälde ist. Der Trick und der Wahnsinn beim Versuch, ein Künstler zu werden, ist die nötige Disziplin, auf der Lauer zu liegen.
V. Sisyphos/Frau auf einem Motorrad
Das letzte mir bewusste Teilchen bei der Entstehung von Für immer schön war die Philosophieklasse, die ich als Teenager besuchte und die die erste Frau unterrichtete, die ich je in einer Lederjacke und auf einem Motorrad gesehen hatte (ich lebte ziemlich behütet in einer sehr konservativen Stadt). Obwohl ich mich nicht an ihren Namen erinnere, weiß ich noch, dass sie uns Camus’ Mythos des Sisyphos lesen ließ, und vielleicht, weil ich sie so scharf fand oder weil mein 14-jähriges Hirn dermaßen bereit war, mir einen Reim auf den fehlenden Sinn des Lebens zu machen, bleibt das ein Meilenstein für mein Denken über die Welt. Camus argumentiert, dass Sisyphos’ Kampf um den ewig rollenden Stein vielleicht das beste Modell für den modernen Menschen ist, um in den Aufgaben seines eigenen Lebens Sinn zu finden. »Eine Erfahrung zu leben, das eigene Schicksal, heißt, es ganz und gar zu akzeptieren. Der absurde Mensch möchte herausfinden, ob es möglich ist, ohne Auftrag zu leben. Er bejaht sein Schicksal, und sein Bemühen wird deshalb unablässig sein. Es gibt kein höheres Ziel, als das eigene Abenteuer von Herzen zu bejahen.«
Dieses Ja wurde zu Cookies wichtigstem Mantra. Am Ende des Stücks ist sie blind und schleppt den Körper ihrer toten Tochter mit sich, doch sie versucht noch immer, Kosmetika zu verkaufen für eine ordentliche Beerdigung. Aber selbst jetzt lächelt sie und bejaht. Man kann ihre Haltung natürlich lächerlich finden, und ein Teil von mir findet das auch. Der größere Teil von mir respektiert Cookie und meine Tante Fay für ihre Entschlossenheit, das alles nicht nur zu ertragen, sondern das Abenteuer ihres Lebens von Herzen zu bejahen. Ich bin um jeden Tag froh, an dem mir das auch gelingt.
Der Text erschien erstmals 2017 im Oktoberheft von Theater heute.
Aus dem Amerikanischen von Barbara Burckhardt.