Nina Bußmann über Material und Recherche für ihren Roman Der Mantel der Erde ist heiß und teilweise geschmolzen.
Und was, fragte er, kann man tun, um als Figur in deinem Roman vorzukommen? Ich antwortete: Gar nichts, so etwas geschieht oder geschieht nicht.
Wir gingen spazieren durch die Altstadt im Zentrum von Granada, Kirchen und Kolonialvillen, alles hatte deutliche Farben. Er war der Neffe einer Freundin, er hatte uns in seinem Auto hierhergefahren und zum Mittagessen auf dem Stadtplatz vor der Kathedrale eingeladen. Er hatte uns schon ein paarmal durch die Gegend gefahren und eingeladen, von einer Geschäftsreise frischen Fisch aus dem Nicaraguasee mitgebracht, mich nach meiner Ankunft mit dem Auto vom Flughafen abgeholt, ich hätte ihm schon auch gern mal einen Gefallen getan.
Und es wäre gut gewesen, jemanden wie ihn in der Geschichte zu haben, einen jungen Unternehmer und Vater, der eine Werbeagentur gegründet hatte, Imagefilme für Baustoffhersteller drehte, gern gebratene Nudeln aß, Accounts in allen wichtigen sozialen Netzwerken pflegte, Filme wie Men in Black mochte, sich bemühte, regelmäßig im Fitnessstudio zu trainieren, darüber nachdachte, mit seiner Frau zusammen ein kleines Eigenheim in einer neuen bewachten Siedlung zu kaufen (soweit ich weiß, trennten sie sich stattdessen nicht viel später). Schaut: Es gibt gar nicht nur Kleinbäuerinnen, fliegende Händler. Es gibt auch Großstadtbewohner mit silbernen Notebooks und Businessplänen und Beziehungsproblemen.
Meine Arbeit, sagte ich ihm, ließe sich schlecht planen, ich könnte deshalb solche Versprechungen nicht machen. So funktioniert es nicht, sagte ich. – Wie denn dann? Kurz abgelenkt, schauten wir einer auffallenden Gestalt nach, die eine Art Einkaufswagen mit vielen daran geknoteten Stoffstücken und Plastiktüten vor sich herschob, gefolgt von einer losen Formation von Hunden. So etwas, sagte er, gibt es bei euch nicht, für solche Leute habt ihr in Deutschland spezielle Aufbewahrungsorte. Ihr habt immer alles sortiert.
In Wirklichkeit lassen sich beim Erzählen schon Pläne machen. Es kann dann etwas dazwischenkommen. Wie beim Häuserbauen, beim Imagefilmdrehen, bei geowissenschaftlichen Feldstudien. Ohne Versprechen kann es gar nicht losgehen.
In einem Buchladen in Managua gab es die neu herausgegebenen Poetikvorlesungen von Julio Cortázar zu kaufen, gehalten 1980 in Berkeley. In einem der ersten Abschnitte spricht er von der Begeisterung, die ihn erfasste, als er in der Zeitung vom Problem der Antimaterie und von der Heisenbergschen Unschärferelation las und verstand, dass »ein Physiker feststellen kann, dass es Dinge gibt, die sich nicht absolut so und so verhalten, dass sie auch anders sein können, und dass es keine wissenschaftliche Methode gibt, sie zu messen oder zu berechnen, trotzdem sind sie vollkommen gültig, vollkommen wirksam, dass die Unbestimmtheit also kein Privileg der Literatur und die Naturwissenschaft keineswegs aufgehoben ist in einem zufriedenstellenden System von Regeln, in dem alles beweisbar ist, man schreitet auf einem bestimmten Weg voran und gelangt zu neuen Gesetzen, die die vorangegangenen erklären, und umgekehrt. […] [D]ie Literatur erschien uns als eine Form der ars combinatoria, wo die Phantasie eingeht, die Vorstellungskraft, die Wahrheit, die Lüge, alle möglichen Behauptungen, Theorien, Kombinationen, und oft laufen wir Gefahr, schlechte oder falsche Wege zu gehen. Die Wissenschaftler vermitteln dagegen den Eindruck von Ruhe, Sicherheit und Vertrauen.«
Aus: Julio Cortázar, Clases de literatura, Berkeley 1980. Edición de Carles Àlvarez Garriga. Mexico D.F., 2013; 2. Vorlesung, Die phantastische Erzählung II – Die Zeit.
Die Physik der festen Erde und ihres Inneren hat einen klar abgegrenzten Gegenstand. Er besteht aus Flüssigkeiten und Gestein. Allerdings lässt er sich zum großen Teil weder anschauen noch berühren. Es gibt Techniken und Technologien, ferngesteuerte Tauchroboter, die Bilder und Bodenproben aus dem Marianengraben liefern können, Breitbandseismometer, Hydrophone, mathematische Modelle, um auch Unzugängliches zu fassen zu bekommen.