Nina Bußmann über Material und Recherche für ihren Roman Der Mantel der Erde ist heiß und teilweise geschmolzen.
Die physikalischen Gesetze sind sehr streng, aber für alle gleich.
Will eine Welle in der Erde von einer festen Schicht in die andere schlüpfen, so kann sie das nur, wenn sie sich vierteilt und teilweise ihren Charakter und ihre Richtung ändert. […]
Wie bei einem Massenlauf starten alle Wellen zur selben Zeit. Je nach Vorwärtskommen zieht sich die Schar weit auseinander. Einen bestimmten Kontrollpunkt durchlaufen sie zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlicher Verfassung. Manche sind dann schon durch Dämpfung oder mehrfache Teilung auf der Strecke geblieben. Im Unterschied zu einem Massenlauf besitzen Erdbeben kein Endziel, sondern laufen nach allen Richtungen, bis sich ihre Energie verzehrt hat.
Aus: Franz Jacobs, Immer wieder bebt die Erde. Verlag Neues Leben, Berlin / DDR, 1985
Sie wollen sich also, fragte er kurz nach meiner Ankunft in Managua, sozusagen aufladen mit Eindrücken, für die Arbeit an einem Buch? – Ja, so ungefähr.
Genauer hatte ich es mir wirklich nicht überlegt. Wenn du keine bestimmte Frage an das Land hast, hatte mir eine Freundin gesagt, musst du auch nicht nochmal hin. Ich hatte schon einmal eine längere Zeit in Nicaragua verbracht, es war fast vierzehn Jahre her, an Gerüche, Fortbewegungsarten, Wetterlagen, Essgewohnheiten erinnerte ich mich. Es hätte schon gereicht für eine Geschichte über das Gehen auf unsicherem Boden und den ratlosen Blick auf postkoloniale Verhältnisse. Was ich wissen musste (wie sieht es da inzwischen aus, wahrscheinlich gibt es mehr Hotels, fast überall Internetzugang, auch der Regierungswechsel wird sich irgendwie bemerkbar machen), wäre auch aus der Ferne in Erfahrung zu bringen gewesen. Und das, was nicht gleich zu sehen ist (unter welchen Bedingungen lebt diese Gesellschaft, wie verteilt sie ihre Güter, wie ist das alles so geworden?), sowieso.
War das Ich an dem Ort, über den es spricht? Weiß es, wovon es redet? Viele finden es unbedarft, so zu fragen, man weiß doch jetzt: Kunst wird nicht aus Authentizität gemacht, Erfahrungsberichte von Reisenden gibt es genug, Zeugenschaft beweist noch gar nichts, im Gegenteil, wer zu nah an den Dingen steht, hat schon gar keinen Überblick. Nur weil ein Ich zusammenhängend berichten kann (»ich war dort, viele Wochen / Monate lang, es roch oft nach Ruß, ein Mal hörte ich aus den fernen Wipfeln des Nebelwalds brüllende Affen, mehr als ein Mal wurde ich gefragt, ob ich wirklich allein unterwegs sei, gelegentlich wurde es dann unangenehm, die meisten Menschen aber waren sehr offen und freundlich zu mir«), kann es noch nicht sagen, warum es nun gerade diese Erlebnisse aufzählt und nicht andere.
Der Blick aufs Unbekannte soll unverstellt sein, aufmerksam und wach. So die Hoffnung. Als sähest du alles zum ersten Mal. Das kann nur gut sein für die Literatur. Oft gelingt das aber nicht: die Sachen anschauen, den Leuten zuhören, am besten vorher alles verlernt haben, was du über solche Länder gelernt hast. Oft ist man in der Fremde einfach zu sehr mit dem eigenen Körper beschäftigt, um überhaupt die Augen offen zu halten. Im besseren Fall ist man verunsichert.
Mechanische Seismographen, gebräuchlich bis ins späte 20. Jahrhundert, nutzten das Prinzip der Trägheit: Eine an einer Feder oder einem Draht aufgehängte Masse macht die Bewegungen ihres von seismischen Wellen erschütterten Gestells nicht mit. An der Masse ist eine Schreibspitze befestigt, die die Bewegungsdifferenz auf eine Registriertrommel überträgt. Auch ferne und schwache Bodenbewegungen werden sichtbar: zittrige Linien.