Nicolas Mahler war im Rahmen der Leipziger Buchmesse zu Gast an der Hochschule für Grafik und Buchkunst und sprach dort mit Thomas M. Müller, Professor für Illustration, über das Thema »Ist das schon Literatur oder doch noch Comic?«. Die Veranstaltung wurde vom Graphic Novel-Verlag Reprodukt in Kooperation mit dem Suhrkamp Verlag durchgeführt.
Woher nehmen Sie Ihre Ideen?
Ich habe zum Beispiel mit dem Kollegen Heinz Wolf immer wieder Dialogfetzen von Leuten auf der Straße, die auf einen zugekommen sind, aufgeschnappt, sie nur so zur Hälfte verstanden und gar nicht gewusst, worum es eigentlich geht. Wir haben dann begonnen, diese zu illustrieren. Zum Beispiel bin ich im 15. Bezirk spazieren gegangen, und dann kamen zwei kleine Schüler, und der eine sagte zum anderen: »Das Wichtigste ist, man darf niemals aufgeben.« Das fand ich total beeindruckend, was das für eine Lebensweisheit von einem Siebenjährigen war, und dann ging er an mir vorbei und sagte weiter: »Bis man merkt, dass man eh keine Chance hat.« So geht es in Wien eigentlich ganz normal zu.
Noch ein Zweites: Da war ein Papa mit zwei Kindern, ganz süß: »Der Stärkste kriegt immer die besten Frauen.« Das sind einfach Einflüsse, Dialoge, die ich irgendwo aufschnappe. Ein anderes Beispiel: Ich habe durch Zufall eine alte Mailbox gefunden, die ich total vergessen hatte. Da waren plötzlich 10.000 Spam-Mails drin, und ich wollte die mit einem Klick löschen. Aber mir ist aufgefallen, dass die eigentlich ganz gut sind, vor allem die Namen – ich habe immer darüber nachgedacht, wie die eigentlich aussehen könnten. Das ist alles wirklich so in meiner Mailbox gewesen, und ich habe es dann illustriert, und entstanden ist Spam. Die Einflüsse können also von überall her kommen.
Was ist lustig?
Bei mir hat das Lustige immer auch etwas mit dem Gegensatz davon zu tun. Wenn ich zum Beispiel etwas Lustiges machen will, dann möchte ich, dass es von außen möglichst nicht so aussieht, als wäre es lustig. Deshalb habe ich für einen kanadischen Verlag ein Buch gemacht, das von außen wie ein sprödes Gedichtbuch aussieht und innen aber wie – ja, wie will man das nennen – Nonsens ist, aber irgendwie seriös daherkommt. Ein Gedicht heißt Streben, und andere heißen Erfolg; Zeit und Raum; Tag und Nacht. Das sind immer Wortpaare, die ich illustriert habe. Das Buch ist in Deutschland in der Insel-Bücherei neu aufgelegt worden.
Ich mache aber auch ganz klassische Comicstrips wie Flaschko. Darin geht es um einen Mann, der in seiner Heizdecke sitzt und nur eine Bezugsperson hat, seine Mutter, und fernsieht. Und mit der Situation habe ich 500 Comicstrips gezeichnet, die immer ähnlich ausgesehen haben und die aber immer neu gezeichnet waren, obwohl es eigentlich immer das gleiche Bild ist.
Erschienen ist der Strip lustigerweise in der WELT kompakt, in der Tageszeitung. Das Beispiel hier war noch eine vergleichsweise actionreiche Folge. Und die haben unglaublich viele Hass-Mails bekommen, da hat zum Beispiel einer geschrieben: »Sehr geehrte Damen und Herren, wenn ich morgens mal wieder schlechte Laune brauche, dann brauche ich nur die Flaschko-Strips anzusehen und schon ist es soweit. Ich habe der Serie nun schon öfters die Chance gegeben, lustig, witzig oder sogar hintergründig zu sein, aber die Beiträge sind einfach nur dumm.« Und besonders gut finde ich auch: »In der Hoffnung, dass mein Witze-Filter kaputtgegangen ist, habe ich meine Arbeitskollegen, darunter auch viele Akademiker, dazu befragt, aber deren Meinung zu Flaschko war zumeist noch schlimmer als die meinige.«
Würden Sie Ihre Tätigkeit als Kunst bezeichnen?
Frau Goldgruber vom Finanzamt sollte auf Grundlage des Comics Nicolas Mahler: le labyrinthe de kratochvil (erschienen bei Éditions de La Pastèque, Montréal) entscheiden, ob es sich bei der Tätigkeit um Kunst handelt:
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(Das schreiende Baby gehört übrigens zu Thomas M. Müller.)
Kann man davon leben?
Vom Comiczeichnen leben ist natürlich schwer, das weiß jeder. Ich habe das Glück, dass ich nicht nur Comics zeichne, sondern auch Witze. Ich habe zum Beispiel jahrelang für eine Autozeitung gezeichnet, und nach 5 Jahren, nach 10 Jahren bin ich sogar mit solchen Zeichnungen durchgekommen:
Und für so etwas gibt es eigentlich immer Bedarf, bei Zeitungen, die eigentlich relativ langweilig sind wie Wirtschaftszeitungen, Automagazine. Die wollen irgendwas zur Auflockerung. Und damit kann man eher Geld verdienen als mit Comics, zum Beispiel in einem Ärztemagazin. Und Werbung gibt es auch manchmal.
Was machen Sie sonst noch?
Filme habe ich eine Zeitlang auch gemacht. Zu dem folgenden Film habe ich eine gute Geschichte. Es gibt einen Vertrieb für künstlerischen Kurzfilm in Österreich, und die haben den Film abgelehnt aus drei Gründen, also total abgelehnt – (»Das ist ja schrecklich, furchtbar, so etwas kann man ja nie zeigen!«): 1. Es ist ein Kinderfilm, wir zeigen keine Kinderfilme. 2. Der Film ist total sexistisch. Und 3. Es ist überhaupt kein Film.
Wie verhält es sich bei Literaturadaptionen? Ist das wie Lesen und nebenher Bilder machen?
Literaturadaption ist für mich schon etwas Absurdes, weil man sich ja immer die Frage stellen muss: »Warum? Warum soll man das eigentlich machen?« Und ich finde, wenn man schon so etwas Absurdes und Sinnloses macht, dann muss man es schon ganz absurd und ganz sinnlos machen. Meine Arbeit ist eigentlich immer das Streichen. Deshalb ist es mir erstaunlich leicht gefallen, aus Büchern nur das herauszunehmen, was mich interessiert, und auf keinen Fall zu versuchen, das ganze Buch zu illustrieren. Das würde mich zum Beispiel nicht interessieren. Zumindest nicht als Comiczeichner, vielleicht als Illustrator schon. Man pickt sich dann Momente heraus, die man interessant findet, der Text läuft normal weiter, und es ist nur eine zusätzliche Illustration. Aber im Comic ist das anders. Beim Bernhard-Buch war es natürlich kompliziert, weil der Text von Thomas Bernhard ja davon handelt, dass ein Mann jeden zweiten Tag ins Kunsthistorische Museum in Wien geht und sich immer das gleiche Bild ansieht: Den weißbärtigen Mann. Das ist die äußere Handlung. Ende. Das ist nur innerer Monolog. Also eigentlich ein Buch, das sich nicht direkt für eine Bebilderung eignet. Ich bin aber auf einen Trick gekommen: Was der Mann tut, ist in gewissem Grad eine Kunstbeschimpfung. Er merkt kritisch an, dass diese ganzen Bilder, die im Museum an der Wand hängen, ja Staatskunst sind, von reichen Mäzenen in Auftrag gegeben und so weiter. Dass die Künstler überhaupt nicht die aufregenden, selbstlosen Typen sind, sondern einfach kitschige Heiligenszenen für viel Geld gemalt haben. Und dass diese Bilder auch gar nicht so gut sind, teilweise total misslungen. Mir ist dann die Idee gekommen, dass ich das Buch über die Bilder erzählen kann. Also über die Gemälde. Ich habe mir dann die Passagen aus dem Text genommen, die mich interessiert haben, im Museum recherchiert und dann die Texte mit den Bildern zusammengebracht. Weil ich das schon so lange mache, war das für mich keine große Geistesanstrengung, sondern eher die Frage: Welches Bild ergibt irgendwas Neues, wenn man es zu welchem Text dazugibt? Und das hat erstaunlich gut funktioniert. Das geht aber nicht bei jedem Bild-Text. Der Bernhard ist ein Sprachteppich, gut zu beschreiben, wenn man den Text hat, man übernimmt die Sprache und schiebt die Bilder durch. Bei Musils Mann ohne Eigenschaften war es anders, da hat das nicht funktioniert. Weil Musil schon viel zu bildlich schreibt. Das Buch habe ich einfach quergelesen und Passagen überblättert, die mich nicht interessiert haben. Diese Essenz habe ich mir notiert und das Buch dann noch einmal ganz gelesen. Es ist aber nichts dazugekommen, der Handlungsbogen hat für mich schon beim Querlesen funktioniert. Ich wusste relativ schnell, was sich als Bild eignet, was mich interessiert.
Was steht als Nächstes an?
Das nächste Suhrkamp-Buch, ein Gedichtband, ein Vampir-Comic, aber das steht schon relativ lange da und rutscht immer weiter nach unten auf dem Stapel, weil Vampire so out sind. Vielleicht Zombies, aber das ist ja auch schon wieder zu spät. Aber die Gedichtbände kommen jetzt. Und ich beschäftige mich gerade mit einem super Projekt: Ich habe nämlich alte Auktionskataloge gesammelt, und aus denen montiere ich jetzt einen Gedichtband, die Gedichte heißen dann zum Beispiel: Zwergstrupp.