Enter Hydra.
Hydra sagt: We’re all doin’ it for the clicks.
Hydra sagt: Andauernd der eigene Marktwert hier, der fliegt einem andauernd um den Kopf, da kann man sprechen, wie man möchte, kann man sprechen, wie einem die Köpfe gewachsen, andauernd sucht einen der eigene Marktwert auf, andauernd springt der einen an, wenn man endlich das Gefühl hat, jetzt ist es aber genug, jetzt einfach nur einen Kaffee mit Kardamom mit der und der und ein Wein mit dem und dem und schon geht das wieder los, das Abwägen, das Investieren, das Symbolische, die Haltung, die richtige, die nicht mehr überprüfbare, die absolut festgesetzte, die hysterische, die auf jeden Fall bitte jetzt hier bei mir platzierte, um sich abzusichern, die mir mehrfach ins Gesicht hineinposaunte, um sich abzusichern, wie wir hier sitzen und einfach nur einen Kaffee mit Kardamom trinken wollen, aber andauernd den Marktwert neben uns sitzen haben.
Hydra sagt: Entschuldigung, aber so bin ich, postfaktisch from the bottom of my heart, Marktwert hin oder her, da braucht es schon eine Asyl-Sonderverordnung, um mich draußen zu halten, aber draußen stimmt ja auch nicht mehr, und Rand stimmt auch nicht mehr, ist ja längst Zentrum hier geworden, also ich muss mich nicht bewegen, mir zieht’s den Boden unter den Füßen weg.
Hydra sagt: Entschuldigung, aber weil wir hier immer schon Zentrum gewesen sind, muss ich mich auch immer bewegen, damit kein anderes Leben durchkommt, damit das nicht aus dem Boden schießt, auf dem ich stehe, das leuchtet dir doch ein.
Hydra sagt: Das ist nicht meine Stimme.
Hydra sagt: Rechte Tendenzen fallen nicht vom Himmel, rechte Tendenzen wachsen aus guter alter, kapitalarmer Erde zuerst unbemerkt in den Randgebieten, dann langsam in den Außenvierteln und schließlich, nur dass es dann längst zu spät ist, auch in den Innenstädten. Wenn die Innenstädte endlich etwas mitbekommen, brennt längst alles rundherum.
Hydra fragt, ob es tatsächlich immer an den Rändern beginnt, mit den Rechten. Die Idee, dass etwas verloren geht, wie Arbeit, Werte, Sicherheit, Kultur, Nation etc., entsteht doch oft gerade dort, wo bereits etwas vorhanden ist. Etwas mehr, als dass man sich randständig fühlen müsste. Aber zu wenig, um im Zentrum angekommen zu sein.
Hydra muckt auf: Aber war die Rechte doch nicht immer schon im Zentrum, hier bei uns?
Hydra überlegt: Oder das Rechte? Egal.
Hydra sagt: Rechtes Gedankengut wächst darum gern auf anständigen Rasenflächen von Menschen mit mittelständischem Besitz. Wo die Erde herstammt, für solchen Rasen, ist recht unterschiedlich. Manchmal kommt sie vom Baumarkt aus der Vorstadt. Manchmal von der Bio-Gärtnerei ums Eck. Manchmal vom Land, wo das Elternhaus steht. Aber dort ist auch nicht unbedingt Kapitalarmut daheim. Da ist ein Swimmingpool im Garten. Kleinbürgerliche Nationalismen also, von den Wurzeln her betrachtet.
Hydra fragt wieder: Aber was hat der Buchmarkt, was hat die Kunst, was haben die Theater, was die Verlage, was die Massenmedien, was die Filmindustrie, was die Kunst- und Kulturschaffenden, die eh immer an allem, also bitte jetzt mal eine einfache Antwort: Was hat denn bitte Jeff Koons mit all dem, was heute passiert, zu tun?
Hydra insistiert: Was hat denn überhaupt irgendwer mit irgendwem zu tun? Keiner hat doch mit irgendwem was zu tun, niemand hat mit irgendjemandem hier irgendwas zu tun, sind doch alle mit sich selbst am Tun andauernd, da hat doch keiner Zeit, um mit was anderem noch zu tun zu haben, was also habe ich mit all dem zu tun?
Hydra sagt: Zurück zum, nein, ins Zentrum, wo ich mir die Miete nicht mehr leisten kann.
Hydra sagt: Bitte nicht zurück ins Zentrum, denn diese Mitte will ich mir nicht leisten.
Hydra insistiert: Aber was, was bitte habe ich mit dir zu tun?
Hydra sagt: An manchen Tagen stehen sich meine vielen Köpfe im Weg. Dann verdecken sie die Sicht darauf, dass es nicht wenige sind, die gegenwärtig etwas miteinander zu tun haben wollen und auch tatsächlich haben. Dass soziales und politisches Engagement nicht verschwindet, sondern vielleicht sogar gewachsen ist, viel zu selten jedenfalls erkannt wird, wo es vorhanden ist. Dass die Komplexität der Welt mit einer wachsenden Fähigkeit von Einzelpersonen einhergeht, Wissen zu vernetzen und Handeln auf globale Bedingungen hin zu überprüfen. Dass auch institutionell, wenn sicher oft zu langsam und zu wenig sichtbar, politisch Verantwortliche nicht immer den Marktwert im Blick haben, sondern manchmal, in den besten Stunden, Solidarität und Humanität.
Hydra gibt also zu, sich oft (viel zu oft) um den eigenen Hals zu schlängeln und dabei zu vergessen, dass selbstreferenzielles Gejammer zur konkreten Verbesserung der Umstände nichts beiträgt.
Hydra sagt also: Selbstreferenziell zu werden, sollte nicht damit verwechselt werden, selbstreflexiv zu bleiben.
Hydra schreit: Jetzt aber alle mal Ruhe hier und Marktwert!
Hydra sagt: Ich habe damit überhaupt nichts zu tun.
Und Hydra zischt zurück: Ruhe.
Hydra sagt: It’s true, we’re all doin’ it for the clicks.
Hydra sagt: No, i’m not, i’m doin’ it for the chicks.
Hydra sagt: Eines Abends in der Kneipe, beim Umarmen eines mir unbekannten Menschen mit guten Kontakten in die Kunstszene denke ich mir, ich kenne den nicht, ich finde den nicht sympathisch, aber ich bemühe mich um ein wirklich betont freundschaftliches Grinsen, denn er könnte mir einmal nützen, dieser mir unsympathische Mensch mit guten Kontakten in die Kunstszene.
(Hydra möchte umarmt werden, aber alle schütteln den Kopf.)
Hydra beschließt: First world problems, so viele von denen, es braucht eine Sonderverordnung für first world problems, die ab sofort in Kraft tritt. Alle first world problems bleiben von nun an draußen.
Hydra hält also fest: Outsourcing aller first world problems, die gehen uns gar nichts an, hier geht ja niemanden mehr irgendetwas, von daher sollen sich doch jetzt mal die anderen, ab jetzt also sind alle first world problems third world problems.
Hydra sagt: I’m pro choice, pro lgbt, pro refugees and pro capital.
Hydra sagt das, aber im Spiegel sagt sie schon wieder was anderes, sie sagt: I’m pro constitution, sure.
Hydra liest einen Artikel in der Welt, online, Stand: 1. Februar 2017, Lesedauer: 8 Minuten, da steht: Gorsuch [also der Gorsuch-Neil] steht für die von Scalia geprägte Rückkehr zu einer Verfassungsauslegung, die sehr nah am ursprünglichen Text der damaligen Autoren bleibt. Er hält nichts von der Idee, dass die Verfassungsauslegung der modernen Zeit angepasst werden muss, etceterapepe. Hydra denkt darüber nach, was die Rückkehr zu einer Auslegung, die sehr nah am ursprünglichen Text der damaligen Autoren bleibt, bedeutet. Siehe: Die Verfassung der founding fathers [nie: founding mothers]. Siehe: Die Bibel. Siehe: Die Dramen der deutschen Klassik. Hydra macht einen Haken und denkt sich: Recht hat er, der Gorsuch-Neil.
Hydra setzt sich die T.-S.-Eliot-Maske auf und rezitiert in die Runde: ›What shall I do now? what shall I do? I shall rush out as I am, and walk the street, with my hair down, so. What shall we do tomorrow? What shall we ever do?‹ The hot water at ten. And if it rains, a closed car at four. And we shall play a game of chess, pressing lidless eyes and waiting for a knock upon the door.
Hydra schaut zu, wie die Abwässer vorüberrauschen, wie die Kapitalströme vorüberziehen, wie der internationale Waren- und Menschenverkehr vorüberzieht, lange. Lange.
Hydra sagt: No, it’s true, i’m just doin’ it for the dicks.
(Hydra eher a-part, zu sich, oder zu einem anderen Ich hin: Und wenn es keine clicks wären, wäre es ein alternativer Status, den wir präsentieren wollen, we’re quite helpless, are we, we just want to be loved, nur ein click ist keine Liebe, it’s the symbolic economy, stupid.)
Hydra sagt: Ich habe damit zu tun.
Hydra fragt: Wer hat das jetzt gesagt, aber alle schütteln den Kopf.
Exit Hydra.