die ganze stadt ist untertitelt. tokio läuft mit englischen untertiteln. die englischen untertitel geben mir zu verstehen, dass das rauchen verboten ist. das rauchen ist wirklich verboten. im asphalt ist die zeichnung einer brennenden zigarette mit augen und mund. du sollst nicht rauchen, sagt sie. ich drehe den kopf, nicht rauchen, schreien die schilder. ich rauche gar nicht. du sollst nicht essen, tippt mich ein schild in der u-bahn an. nicht an das gitter anlehnen. nicht laut reden oder musik hören, nicht telefonieren und nicht am boden liegen, sagt das nächste schild. bitte hier hinstellen, bitte hier nicht hinstellen. auf keinen fall im juli oder august nach tokio kommen, sagt der reiseführer. ich bin mitte juli in tokio. die stadt verschwindet unter einer unerträglichen hitzeglocke, sagt der reiseführer. dafür sind nicht so viele menschen da, niemand stopft irgendwen in die u-bahn hinein. tokio hat mehr einwohner als österreich und alles funktioniert. ich laufe abends alleine rum und habe nie angst. überall ist etwas los, es gibt keine toten winkel. der taxifahrer lässt den kofferraum offen, hier passiert nichts. es gibt keine mistkübel, aber alles ist sauber. immer hört man sirenen, sie fahren vorbei, sie heulen im dauereinsatz. vielleicht hat ja doch jemand geraucht irgendwo.
als ausländer macht man alles falsch in tokio, aber die japaner sind da nicht so, steht im reiseführer. man ist kulant, die regeln kann man von außen nicht verstehen. ich versuche, mich unauffällig zu verhalten. auf den boden sehen und geradeaus gehen, stand da als tipp. es ist alles verkehrt herum, die autos fahren auf der anderen seite, aber auch die türknaufe und die fenster und alles ist verkehrt, scheint mir. treppe stehen links rechts, da sind pfeile, ich verliere jedes größenverhältnis. die straßen und die autos sind schmäler und die häuser auch, da passt noch ein haus rein, überall, warum nicht, und zugleich ist alles größer, manchmal stehen die straßen auf stelzen und die stadt läuft in zwei etagen und alles blinkt, große werbeschilder überall, bin ich in einem film, aber die leute sind ruhig, niemand hupt. die autos fahren umsichtig, vernünftig. alles ist vernünftig. für die unvernunft gibt es die ausgehkultur und die blinkenden viertel und das rotlicht und die raucherbereiche im park. nach ein paar tagen bin ich erschöpft. das ist der jetlag, der übernimmt jetzt. der körper glaubt, wir sind noch in wien.
am flughafen werde ich in ein in den boden aufgezeichnetes gitter verwiesen. das ist der bahnsteig für den flughafenbus. in das kästchen mit der nummer drei, bedeutet mir die frau. das flughafenbuspersonal trägt uniformen. ich bin die einzige, die wartet. immer wenn ein bus hält, soll ich eine nummer vorrücken. ich stehe eine zeitlang alleine in der nummer zwei. das ist also japan. mittlerweile sind noch zwei andere passagiere gekommen und stellen sich in die nummer drei. ein bus kommt und ein licht blinkt auf und irgendetwas springt herum. jetzt darf ich mich in das kästchen mit der nummer eins stellen. das system ist minutengenau, schwerfällig ist nur der müde körper. reiß dich zusammen, wir sind jetzt in tokio, sage ich.
in der mitte der stadt ist eine im grunde genommen ein großes schwarzes loch, darin wohnt der kaiser. oder anders gesagt, der kaiserpalast steht mitten in der stadt, der garten darum ist begehbar, aber um den kaiserpalast herum fährt eine achtspurige autobahn, da befindet sich das regierungsviertel. überall stehen männer mit schusswaffen und nicken mir zu. als ich irgendwann über den zebrastreifen gehe, gibt es ein geräusch und ich denke kurz, ich wurde jetzt erschossen. eigentlich war es so, das sehbehinderten-geräusch am ampelübergang macht ein geräusch wie eine spielzeugwaffe. pew-pew-pew.
ich bin am anderen ende der welt und suche das rathaus. auf das rathaus kann man gratis hinauffahren und dann sieht man die stadt von oben. das rathaus ist nicht zu übersehen, der architekt, die größe, die architektur, alle haben sich übertroffen, stahl und beton, steht im reiseführer. ich laufe drei stunden herum, es ist schon dunkel, jedes gebäude ist das größte, das ich je gesehen habe, jedes gebäude hat sich übertroffen und jedes ist aus stahl und beton. am zweiten tag habe ich noch keine app. ab dem dritten tag habe ich drei apps für die stadt. da ist ein pfeil und ich weiß immer, wo ich bin. irgendwann finde ich das rathaus, es ist schwarz und hat zwei rechteckige hasenohren. ich fahre hinauf, es ist schon finster. zuerst werden die taschen kontrolliert, dann stehen wir lange im aufzug, die leute flüstern und alles ist mucksmäuschenstill. oben angekommen falle ich in ein schwarzes meer. der horizont ist kein maßstab, the sky’s the limit. unersättlich und endlos, das ist die stadt. „maman, c’est rigolo, la nuit“, sagt ein kind neben mir. lustig ist die nacht unter uns. in den meterhohen fenstern spiegelt sich ein reigen aus souvenirläden, der in der mitte des raums versammelt ist.
ich fahre aus der stadt hinaus. kilometerlang wurde ein künstlicher strand aufgeschüttet. warum nicht. die private u-bahn macht einen loup wie eine achterbahn und schon sieht man tokio von außen, von der anderen küste aus. ich bin überwältigt. alles ist so groß. das ist die zukunft. der sonnenuntergang ist blutrot. das ist der smog. warum nicht alles neu bauen. die holzhäuser waren ohnehin nicht für die ewigkeit gedacht, warum nicht in die zukunft gehen, in europa kettet man sich an die alten häuser dran, als wäre da die identität drin, in japan ist die identität in jedem einzelnen eingeschweißten geschälten wachtelei, in jeder pink gefärbten und in blumenform gepressen suppeneinlage, denke ich mir, in jeder winzigen geste, denke ich mir, in jeder verteilten visitenkarte, in jedem schriftzeichen und in den hierarchien und jeder anordnung drin. warum nicht im nächsten wolkenkratzer. die identität ist wie ein prinzip, genau wie die pantheistischen götter, die in jedem ding leben. hier drin zum beispiel, sagt ein schauspieler, und zeigt auf eine wasserflasche. selbst die tempel, so wird mir beim essen erklärt, waren nicht für die ewigkeit gedacht, alle paar jahre baute man daneben den tempel neu auf und zerstörte den alten. dreitempelwirtschaft. oder man baut ihn nach aus stahl. oder eine ganze stadt aus dem boden. die götter fühlen sich überall wohl, solange der mensch arbeitet und vernünftig ist, so scheint mir. ich besuche einen tempel aus stahl. das ist alles durcheinander, sagt jemand. du warst ja nicht dort, sage ich, ich war ja mit meinem körper wirklich dort.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
am zweiten tag beherrsche ich noch immer die landessprache nicht und es wird mir langsam peinlich. wie soll ich mich hier bitteschön integrieren.
und warum ist das sushi rechteckig? na, weil die behältnisse auch rechteckig sind, denke ich mir in einem geistesblitz, und plötzlich macht alles so viel sinn. ich steige in die u-bahn. am ersten tag habe ich noch keinen vielfahrerpass, sondern ein papierticket, das man genau auslegen muss. ständig piept es. alles wird streckengenau abgerechnet, beim hinausgehen schluckt die maschine dann den fahrschein. er kommt nicht mehr heraus. die stadt behält sich die fahrscheine vor. ich stehe da und bin traurig. aber unter der stadt, denke ich mir, ist ein riesiges behältnis, wo alle eingesaugten fahrscheine aufgesammelt werden, und dann gibt es einmal im jahr ein großes fest, wo sie alle in die luft fliegen und auf den boden regnen, und den boden von tokio bedecken, das fest der vergänglichkeit.