vorwort zu den podesten
1. eigentlich traue ich mich nicht, über jemanden zu schreiben, der noch lebt, und schon gar nicht über jemanden, den ich persönlich kenne. 2. es ist so einfach, einen mann auf ein podest zu stellen, schließlich erinnert er uns ja immer an etwas oder jemanden – an all die vielen anderen männer auf podesten davor. und wenn mir etwas bekannt vorkommt, dann ist es auch viel einfacher, es anzunehmen. soll wohl so sein, wo es doch immer schon so wahr. keine podestaktionen. 3. die jungen sind noch nicht fertig, mit den toten kann man machen, was man will, die funken nicht rein usw, und wer bist eigentlich du? 4. zeitgenössisch, was ist zeitgenössischer, als sich auf die frauen zu besinnen, die eigentlich schon da sind. friederike mayröcker abstoßend fremd infantil scheint mir alles zu sein was ich bisher geschrieben habe – ja, das ist gut –
1) die verweigerung
oder, das bockige, die inkonsumierbarkeit: innovative kunst ruft immer auch eine veränderung von rezeptionsgewohnheiten hervor, stellt die alten zumindest in frage. die verweigerung der erwartungshaltung, die verschiebung der grenze, was als kunst betrachtet werden kann. wenn gute unterhaltung die erwartungshaltung der bürgerlichen ära ist, dann ist der skandal die verschiebung der grenze. wenn der skandal zur marketingstrategie und das wohlkalkulierte vor – den kopf stoßen schon zur erwartungshaltung geworden ist, die oberfläche der empörung zum guten ton, dann läuft das inkonsumierbare vielleicht in richtung des fragilen, in die subtilität hinein, in die tiefe des stroms, den auszuloten eine zeittechnische herausforderung wird. die verweigerung der kunst ist vielleicht immer auch ein stückweit, die anforderungen erfüllen, indem man sie nicht erfüllt. SINNFREIE ZONEN wenn die erwartungshaltung ist, dass einem die kunst ein programm an die hand gibt, ein bisschen sicherheit in einer komplizierten welt, einen astreinen sinn, einen mundgerechten happen an gewissheit: was habe ich erfahren, was habe ich gelernt, wozu war es gut, was ist der sinn, dann besteht die verweigerung vielleicht darin, keine mundgerechten häppchen zu servieren, über die wir uns ohnehin alle einig sind: die rezipienten nach vorne stoßen: jetzt seid ihr dran, eure arbeit ist gefragt, eure mitarbeit, im assoziationswandel, im aufblättern des möglichen.
die verweigerung kann natürlich nicht selbszweck sein, dann ist die verweigerung nur noch ein leerer gag, sie muss aus sich selbst entstehen, sie muss sich aufbäumen, weil es so sein muss. die entrüstung des publikums ist eine lapalie gegen das chaos der wirklichkeit, gegen die bodenlosen zumutungen gegen die menschlichkeit, die man sich jeden moment detailliert vor augen führen kann, aus den untiefen des internets, aus den untiefen der welt, digital transparent gerieben: diese bodenlosigkeit einen moment wirklich anzunehmen bliebe nur der selbstmord als ausweg, oder wie. man hat uns den filter weggezogen, indem die informationen jeden moment zugänglich sind, es bleibt nur der filter der ignoranz, den man sich wie balsam in die augen schmiert, in radikaler dankbarkeit, vielen dank. entrüstung ist ein spiel für privilegierte leute, die nichts zu verlieren haben, meine generation lebt in der vollen transparenz einer völlig bodenlosen welt, in der jede provokation nur ein weiteres spiel ist.
bei mayröcker ist es das radikale nicht-erzählen, das radikale sich auserzählen als gar nicht vorhandener im nicht erzählen, das ständige verschlungen werden und ausgespuckt aus und in die eigene subjektivität hinein, die fließt, da draußen in der welt, an einem vorbei. jeder mensch ist ein brunnen, im langsames ausschöpfen des einen versteht man irgendwann vielleicht ein bisschen etwas von der ganzheit der welt.
ist dieser gedankenstrom nicht ein bisschen wie der vorgriff eines digitalen gedankenstroms – wie puderleichte pollen sinken in mich die worte also die worte bestäuben mein hirn, und am unteren rand des papptellers die worte an meine leser:
2) das eigene
dann glaube ich noch, dass es etwas eigenes gibt, in der kunst, wie auch immer das aussieht, einen kern der überzeugung, der sich auch endlos wandeln kann, was etwas anderes ist, als nur hier bisschen kreativ und da ein bisschen erfinderisch sein. im endeffekt ist im kern die kunst immer auseinandersetzung mit existenziellen fragen. fragen nach gesellschaftlichen möglichkeiten, nach der eigenen wahrnehmung, nach subjektivität, emotion und durchlässigkeit, nach der welt. der künstler bleibt auch mal stehen und ist sperrig und bockig wie ein alter esel. der künstler dreht sich um und sieht auch mal den eigenen tod und winkt auch mal dem tod zu. also die künstlerin. der künstler ist nicht reibungslos, sondern eine reibe, und das tut weh. bin meine eigene atrappe der künstler, also ich meine die künstlerin, ist nicht nur ein label, die angebliche aalglatte perfektion der neuen selbstständigkeit. dem künstler pfuscht alles in die effizienz rein, der eigene körper, die unwägbarkeiten des eigenen ich, die welt, die immer nicht so will, die sich immer erst bitten und überzeugen lassen muss, die zeit, die immer so kurz ist, die existenz, die man hat, die nie mehr ist, als immer zu wenig. ach wie es handelte!
3) traum, wahn, stollen
und es trieb mich an die maschine und ich rollte aus meinem bett und ich eilte zur machine wenn die kunst nicht am wahn dran ist, nicht am traum dranhängt, dann weiß ich nicht. wenn das wesen der kunst nicht das traumhafte, tiefe rumbohren ist im unwägbaren, im wahn, in den schichten des menschlichen, des denkens und der vorstellung, dann weiß ich nicht. sich ganz hineinsteigern in die materialität der sprache welche die elektrisierung erzeugt wenn kunst nicht auch vision ist, dann weiß ich nicht. wenn man die vision nicht von geschäftstüchtigkeit unterscheiden kann, dann ist schon alles egal. der vision eigen ist, dass nur der visionseigner sie sieht. wer wiederum seine visionen nicht umsetzen kann, bleibt im sumpf der eigenen visionen stecken –
4) 5) 6) nachwort) kein platz mehr.
Der Text erschien erstmals im Theater heute-Jahrbuch 2019. Welche Künstler*innen sie bewunderten, beneideten oder verehrten, wurden 16 Theaterkünstler*innen für diese Sondernummer befragt.