Anfang Juli. Die Nummer auf dem Display meines Telefons kenne ich nicht. Doch die Vorwahl verrät, dass der Anruf aus dem rumänischen Festnetz kommt. Das Haus in der Rebreanu sei verkauft worden, sagt die Stimme, die ich jahrelang nicht gehört habe und doch sofort erkenne.
Ich zucke kurz zusammen. Und während ich antworte, dass ich das erwartet habe, sehe ich die Sonnenstrahlen, die sich durch die Lamellen der Fensterläden hindurch kämpfen und ein Streifenmuster im aufgewirbelten Dreck auf den Dielen hinterlassen, als ich im Februar vor elfeinhalb Jahren zum ersten Mal diese Wohnung in dem oberen der beiden Stockwerke in der Strada Liviu Rebreanu Nummer zwölf betrete. Und während ich die Stimme weitererzählen höre, erscheinen einige Gesichter, die mit der Geschichte dieser Wohnung verknüpft sind. Und es werden, und wahrscheinlich trifft das auf die Geschichten vieler Wohnungen zu, immer mehr. Doch irgendwie ist bei dieser Wohnung dennoch alles anders. Oder ich möchte, dass alles anders ist. Vielleicht möchte ich mir eine Erinnerung konstruieren, die nur wenig mit den verschiedenen Teilen und Bruchstücken der Vergangenheit gemeinsam hat. Ich weiß es nicht.
Und vielleicht sage ich auch zu der Stimme am Telefon, ich weiß es nicht. Sicher bin ich mir, dass ich der Stimme einen guten Tag wünsche und auflege. Und dass ich ab und zu glücklich war in dieser Wohnung. Und würde ich auf der Stelle dorthin fahren, der grüne Putz des Hauses wäre immer noch so blass wie vor drei Jahren oder wie vor acht, und wie er vor elf Jahren gewesen ist. Die Fensterläden würden noch immer von dem groben Strick offen gehalten werden, mit dem ich sie, ich weiß nicht vor wie viel Jahren das war, provisorisch gesichert habe. Und wahrscheinlich würde ich immer noch das Gefühl haben, die Klinke beim Öffnen der Hoftür herauszureißen, doch sonst, da erinnert nichts mehr an die Zeit in der Wohnung in der Unterstadt von Sibiu. Ein Sibiu, das ich auf Deutsch nur selten Sibiu, sondern fast immer Hermannstadt nenne.
In Rumänien sind in vielen Städten und Dörfern Straßen nach dem Schriftsteller Liviu Rebreanu benannt. Und auch wenn mir sein Name seit über fünfzehn Jahren bekannt ist, weiß ich nicht viel über ihn. Doch vielleicht ist die Tatsache, dass er Anfang der 1940er Jahre am Weimarer Dichtertreffen teilgenommen hat, ein Grund, dass ich bis heute keinen zusammenhängenden Text oder gar ein Buch von ihm gelesen habe.
Ein paar Monate zuvor. Und wieder schaust du auf diese Tür, hinter der, und auch davor, du oft genug geglaubt hast, Teil eines Publikums zu sein. Und du hörst eine summende Biene, und du spürst die Sonne auf deiner Haut. Und die Vögel sitzen im verschnittenen Wein, wo sie schon immer saßen. Und du weißt nicht, wann du aufgehört hast, hier zu sein, hier und nirgendwo sonst, ob du vielleicht noch niemals hier gewesen bist, ja, ob du einmal hier gewesen bist, so ganz ohne unruhig zu sein, ohne wieder fort zu wollen, und vollgestopft mit Wehmut, wenn du dann doch gegangen bist und jedes Mal dachtest, dass es das letzte Mal sein könnte, dass du vielleicht, wahrscheinlich, ja bestimmt, und warum denn nicht, wieder kommen und wieder gehen würdest.
Und du beginnst, wie jedes Mal, zu putzen.
Und dann räumst du auf und versuchst dich zu erinnern, wenn du in die Ecken siehst und über die Astlöcher des alten Holzfußbodens streichst und in den Ritzen zwischen den Dielen nach der Vergangenheit pulst.
Und du weißt nicht, warum, und du glaubst für einen Moment, vergessen zu haben, warum du morgen fahren wirst. Und dann trittst du wieder auf die Veranda, und der Wein wirft kaum einen Schatten. Und nebenan bellt ein junger Hund, den du nicht kennst. Und die Katzen, die sich nächtelang gnadenlos ineinander verbissen hatten und dann zu dir kamen, um ihre Flöhe zu verteilen, um dich dann doch anzustarren, als seist du ein Fremder, und die einen Moment innehielten und schließlich über die Veranda auf das Dach des Nachbarhauses flitzten, hast du schon Jahre nicht mehr gesehen.
Und im nächsten Moment hörst du einen Kauz, und du denkst, was macht der Kauz denn hier, und das Signal der Züge, die in den Bahnhof einfahren, und meckernde Spatzen und dann auch das Summen der Bienen unten am Strauch. Und die Sonne spielt wieder mit deiner Haut, und du schaust nach oben und legst die Stirn in Falten. Und du wartest und glaubst, dass du kaum je etwas anderes besser konntest, ja, nie etwas anderes gemacht hast, als zu warten. Und du wartest auf den Nachmittag, den Abend, die Nacht. Du wartest bis zum nächsten Morgen, um dann doch wieder, wahrscheinlich, denkst du, wie immer, doch dieses Mal definitiv, zu gehen.