Der Theaterautor Mehdi Moradpour war im Verlauf der letzten zwei Jahre drei Mal im Iran. In drei Teilen erzählen seine Fotografien und Bildunterschriften von seinem Blick auf das Land.
Die erste Feststellung: Auch die süße Limone ist von den Preissteigerungen infolge der Wiederaufnahme der US-Sanktionen (darin steckt »sanctio«, heilig) betroffen. Limu Shirin, Lumie oder, ja, Patriarch-Zitrone, ja wirklich, in jedem Falle viel süßer als die Melone, schmeckt zitronig und süß, aber dann böse und bitter, wenn sie einige Minuten nach dem Aufschneiden noch nicht aufgegessen worden ist (passiert mir aber nicht).
»Die Kopie entspricht nicht dem Original«. Buchdruck im Untergrund. Niedrige Verkaufszahlen in den Buchhandlungen und Boom des illegalen Straßenverkaufs in Großstädten. Graswurzelbewegung für die Einen, Zerstörung des Buchermarktes für die Anderen. Auf der Straße können persische Literatur, de Beauvoir, Nietzsche und Bücher über Religion, Yoga, Atheismus und moderne Sexualität dicht nebeneinander stehen (liegen).
In allen Städten, am Rande fast jeder großen Straße, rufen unzählige irdische Gespenster von den Bauskeletten und leerstehenden Rohbauten täglich die Ermahnung herab: »Hier wird nicht, nie wieder! weitergebaut. Vorsicht!« Wie eine unruhige Feuerflamme, rauchlos, unsichtbar: »Die Baumafia!«.
»Unschuldig, aber immer schuldig gesprochen« steht da. Und dann, ungefähr: »Nicht getroffen, aber nicht vergebens«.
»Gehen wir atmen, in den Norden!« Mal raus aus The Great Smog der Metropole. Kandovan-Pass: auf halber Strecke zwischen Teheran und Kaspischem Meer, auf der beliebten Bergstraße, Chalus-Straße oder Road 59 genannt. Schroffe Berge, gleißender Schnee, heißer Tee. Am Rande des verschlafenen Tals finde ich unter dem Schnee Plastiksäcke, ach nee! Dann weiter: ein 1886 Meter langer Tunnel, Serpentinenszenerien und zwischen den zackenartigen Felsen: kalte Bergluft.
Bumblebee (Englisch für Hummel), rechts, und Optimus Prime, links, beide kultige Spielzeugfiguren und Roboter-Superhelden aus den Transformers-Filmen, bewachen wie Erzengel den Eingangsbereich der zwischen dem Kaspischen Meer und einem Naturschutzgebiet liegenden Fast-Food-Kette »Optimus« (oder die halb-fertige Mall) in der Stadt »Motel Ghoo«. Einst, d.h. vor der Revolution 1979, wurde die Stadt wegen der verruchten Vergnügungsstätten »Das Sündenbabel des Nordens« genannt. Seit einigen Jahren ist sie ganz dem Massentourismus geweiht.
Zurück in Teheran: Kräfte sammeln in »Mah Banu« (Monddame). Im besten, sakrosanktesten und imposantesten Nüsse-Süßigkeiten-und-Trockenfrüchteladen Teherans, und der Welt (Ischschwör! Und ja, Nüsse besitzen für manche eine gewisse Art von Heiligkeit).
Zurück in Teheran: Kräfte entschärfen. Eine Freundin sagt: »Meine Freundin, die bei der staatlichen Reederei gearbeitet hat, wurde auch von ›Ta’dil‹ betroffen«. Der Begriff, seit einigen Monaten im Brennpunkt des öffentlichen Interesses, bedeutet Mäßigung, Entschärfung, aber auch Reduzierung, Verkleinerung. Sie wurde im Zuge jüngster Massenentlassungen … entschärft, rausgeschmissen. Auf dem Foto zu lesen: »Traditioneller Marxismus, industrieller Marxismus: Anlässlich des 200. Geburtstages von Karl Marx«. (Die besagte Freundin hat einige Wochen später einen neuen Job in einer Spedition, einen Teilzeitjob. Sie sagt mir: »Ich bin wieder von Europa enttäuscht! Gegenüber der US-Sanktionen ist Europa machtlos«.)
Ein schattenreicher Blick auf die Jamkaran-Moschee und den Hausberg »Khidr« in der Stadt Ghom. Der islamische Prophet »Khidr«, der in einer besonders engen Beziehung zum biblischen Propheten Elija steht und von manchen sogar mit ihm gleichgesetzt wird, hat sich einer Legende nach einst mit dem zweigehörnten mythologischen Wesen Dhul-Qarnayn (Herrscher über Ost und West) auf die Suche nach Unsterblichkeit und der Quelle des Lebens begeben. Und Wikipedia sagt (Quelle!): »Der Bau und die Entstehung der Jamkaran-Moschee, die rund um einen Brunnen errichtet worden ist, basiert auf einer Überlieferung, der zufolge der 12. Imam und der kommende Messias der Schiiten, genannt Mahdi, nach seiner so genannten kleinen Verborgenheit dort erschienen ist.« Der Erlöser Mahdi befindet sich jetzt nach der Lehre der Zwölfer-Schia in der großen Verborgenheit. Seine Rückkehr wird für die Endzeit erwartet.
Wir fahren weiter, in Richtung der Stadt Isfahan, und hören ein persisches Lied. Darin geht es um eine verhexte Stadt, um einen Wald aus Glas und um grünes Feuer (alles pathetische Metaphern, denke ich). Und dann, plötzlich, während der Song »Angel By The Wings« der australischen Sängerin Sia folgt: ein Wolkenbruch, eine Wolkenwand vor uns. Und ich denke, gleich bläst der brennende Erzengel Israfil in die Trompete und dann haben wir das Jüngste Gericht, oder wie?