Der Theaterautor Mehdi Moradpour war im Verlauf der letzten zwei Jahre drei Mal im Iran. In drei Teilen erzählen seine Fotografien und Bildunterschriften von seinem Blick auf das Land. Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2.
Es wird Krieg geben. Es wird keinen Krieg geben. Es wird auf keinen Fall einen Krieg geben (in einer Buchhandlung).
Es gab jemanden und es gab niemanden unter dem saphirblauen Gewölbe. So könnte ein Märchen anfangen. Hier. Hier, wo ich bin. Fata Morgana. Berge, Felder und reiche Städter. Das Schreien der Schwäne mit verdrehten Flügeln, gemixt mit einer Radiostimme aus der Nachbarschaft: »Instex, so heißt das europäische Programm, das einen sanktionsresistenten Handel mit dem Iran ermöglichen soll. Doch …«. Jemand schaltet das Radio aus (Vorsicht, Triggerwarnung: Pathos!) und man hört Musik: »Lost my love, lost my life, in this garden of fear«. Jedenfalls, hier, wo ich bin, am Kaspischen Meer: Büsche und Büffel. Steine und Schweine. Hühner und Hosen. Und das Sausen. Das Jaulen. Und dazwischen Platanen (Vorsicht, Triggerwarnung, ja, zu spät, das war teilweise Eigenwerbung, teilweise aus reines land zitiert, dem eigenen Stück … Und dann wieder Musik: »In a brave new world: a brave new world« (Das ist doch Iron Maiden!).
Trauriger Automat nahe der Talsperre »Amir Kabir«: Seit Juni 2018 stellen (lassen) viele Banken ihren Zahlungsverkehr mit dem Iran ein (einfrieren). Übrigens: Das Phänomen, in Dingen und an Orten Gesichter, vertraute Wesen oder Gegenstände zu erkennen, wo eigentlich keine sein sollten, nennt man Pareidolie (klingt wie die Phantasiesprache eines Automaten).
Währenddessen im Vergnügungs-Tal »Darakeh« in Nordteheran. Manche kommen um zu wandern, manche um zu klettern, andere wiederum wegen »Shekamgardi«, wörtlich: mit dem oder für den Bauch spazieren gehen (hier: süß und sauer Eingelegtes usw.).
Eine Teppich-Performance von der Gruppe »Amata« (ein Freund, Anwalt, erzählt mir: »Man sagt, wegen der Sanktionen sind landesweit 30 Milliarden Dollar unter den Teppichen versteckt!«).
Auf dem zweitgrößten Friedhof der Welt »Behescht-e Zahra« (Zahras Paradies). Über eine Million Gräber. Ein Ozean der Seelen. Hier gibt es sogar Brücken und Unterführungen für Autos. Mein Vater fängt plötzlich an zu flüstern. Wenn er fertig ist, sagt er mir, wenn man diesen Spruch zehn Mal (oder waren es 30?) laut aufsagt, kommen die Seelen der Verstorbenen aus der Familie an die Gräber und besuchen uns. Dann, als würde er sich Mut zusprechen wollen, rezitiert er weiter, immer lauter. Und ich so: »Baba!! Reicht es vielleicht auch nur drei Mal?«
(Vorsicht, Triggerwarnung: Eigenwerbung) Vier exportierte Blutegel sind ein Barrel Erdöl wert:
»die frau holt ein glasgefäß, zur hälfte mit klarem wasser gefüllt, und sagt:
’sieben egel statt op. vier für die krampfadern, drei für den fersensporn‘
die ringelwürmer sehen aus wie haarknäuel-massen mit bunten seifenrückständen
‚der hintere saugnapf hakt sich fest. in dem vorderen ist die mundöffnung‘
vierhundertneunzig kalkzähne nagen sich durch die hautschichten«
(aus dem eigenen Theatertext ein körper für jetzt und heute).
Eine Freundin bestellt Granatapfelsaft mit Mango-Stückchen, ich Selleriesaft. Wir kommentieren beide die Wahl der anderen Person: »Hhmm!«. Dann erzähle ich ihr: »Das habe ich wirklich gemacht! Eine Stunde lang, von elf Blutegeln! Ich habe ja über Transformation von Körpern, Selbstversuche und soziale Zukunftswünsche geschrieben. Das Schwinden des sozialen Verantwortungsgefühls ist doch die große Krankheit des modernen Kapitalismus. Deswegen wollte ich es auch selbst ausprobiert haben, bevor ich es einfach so runterschreibe … um herauszufinden … «. Sie trinkt lustvoll einen Schluck, schaut mich entspannt an und sagt: »Das ist so eine Mischung aus New-Age-Esoterik und Politpunk-Aktionismus«.
»I see the way you move … It’s fluid … Nein … gib nicht vor zu suchen, gib nicht vor zu denken … Ich weiß, dass du verletzt bist … Ich sehe die Tränen hinter diesen Augen … And I can’t wipe them clear … bleib nur auf der Lauer, mit hinter den Lidern gespannten Augen, und einer Stimme lauschend, die nicht einem Dritten gehört« (Samuel Becketts Texte um Nichts lesen, Tash Sultanas Song Jungle hören und mit dem Handy fotografieren).
Im Iran, munkelt man, gibt es:
Underground Banks
Underground Books
Underground Publishers
Underground Partys
Underground Alcohol
Underground Bands
Underground Casinos
Underground Universities
Underground Undergrounds
Die Choreografin und Performerin Elahe von der Gruppe »Amata« sagt: »Underground ist Mainstream! Wir müssen in die öffentlichen Räume …«
(auf dem Bild wiederholt sich das Wort »Wiederholung«).