5. Oktober 1999: Hecht, 62 Zentimeter, 1,5 Kilogramm, bewölkt/kalt, Saale (Röpziger Brücke/Halbinsel), 15:15 Uhr, weißer Gummifisch.
26. Oktober 1999: Zander, 44 Zentimeter, bewölkt/windig, Saale (Röpziger Brücke/Halbinsel), 16:50 Uhr, rot-weißer Gummifisch (17 Zentimeter).
20. November 1999: Zander, 46 Zentimeter, bedeckt, -1°C, Saale (direkt unter Röpziger Brücke), 13:27 Uhr, weißer Gummifisch (12 Zentimeter).
22. Dezember 1999: Hecht, 86 Zentimeter, 5,0 Kilogramm, heiter/sonnig, 0°C, Saale, (Röpziger Brücke/rechts von Omastelle), 14:55 Uhr, weißer Gummifisch (12 Zentimeter).
Ich bin sechzehn Jahre alt. Abend für Abend liege ich bäuchlings auf meinem Bett und halte fest, was der Tag an der Röpziger Brücke gebracht hat. Egal wie klein das ist, was meinen Köder gefunden hat, jeder Fisch erhält seinen Eintrag. Dass diese Schreibarbeit eine gegen das Vergessen ist, dass die Tage, die ich festhalte, mir zwei Jahrzehnte später immer noch in Erinnerung sein werden als die schönsten meiner Jugend, von all dem habe ich noch nicht die leiseste Ahnung. Jugend, Vergessen, Erinnerung: Diese Worte haben keinerlei Bedeutung im Winter 1999, es gibt sie nicht.
Juli 1999. Stunden habe ich auf der Halbinsel gestanden, über mir die Sommersonne, vor mir das unruhige Saalewasser. Weißfische schnappen an der Oberfläche nach Insekten. Draußen in der Fahrrinne gründeln die Karpfen. Auf sie habe ich es abgesehen. Nichts passiert. Obwohl ich vier der süßesten Maiskörner auf meinen Haken gezogen habe. Aus Trotz und Dummheit werfe ich Steine in die Saale. Dann geschieht es.
Drei Meter neben mir, dort, wo das Wasser nur knietief ist, jagt ein Hecht. Rotaugen flüchten in alle Richtungen. Kleine, silbern glitzernde Körper. Das geöffnete Hechtmaul hinter ihnen. Schnell hole ich meine Montage ein, schneide die Schnur ab, binde den einzigen Wobbler, den ich in meinem Beutel finde, an ein Stahlvorfach und werfe dorthin, wo das Wasser vor Aufregung zittert.
Sekunden später zerrt und reißt es an meiner Rute. Dann ist es vorbei. Vor mir liegt ein Hecht. Ich weiß nicht, ob Hechte schmecken, ob meine Mutter mich später in der Küche verfluchen wird oder nicht. Was ich weiß: Ich habe diesen Fisch gefangen. Ich werde diesen Fisch töten.
Drei Mal schlage ich mit einem Hammerstiel auf seinen Kopf, um ihn zu betäuben. Das Messer in meiner Hand ist scharf. Ein Geschenk zu meinem sechzehnten Geburtstag, ungenutzt bis zu diesem Tag. Ich weiß, wo das Herz des Hechtes schlägt: Dort, wo die Kiemendeckel enden, setze ich an. Die Klinge, die Haut, Schuppen, die sich lösen, dunkelrotes Blut, viel davon. Dann ist er tot. Es ist heiß an diesem Tag, drückend heiß.
Ich knie auf der trockenen Erde, vor mir der Hecht. Den Wobbler hat er tief geschluckt. Ich werde ihn später mit einer Arterienklemme aus seinem Schlund ziehen müssen. Sein Auge, das feine Muster auf seiner Flanke. Dieses Tier vor mir ist schön. Meine Hände sind voll Schleim und Blut. Erst zieht es in meinem Magen, dann in meinem Hals. Ich übergebe mich, anschließend weine ich, minutenlang. Stunden werde ich brauchen, bis ich mich beruhigt habe.
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Aus der Playlist
B6 Richtung Halle, 6:21 Uhr. Nebel auf den brachen Feldern. Kein anderes Auto zu sehen. 87 Km/h.
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(Sun Kil Moon. Gentle Moon.)
Alle Fotos: © Sebastian Komnick.